Sich erinnern, das braucht und sucht immer auch den anderen oder die andere. In kleinen informellen Gruppen Gleichgesinnter kann das Geschehene anders und besser bewältigt werden, kann eine Tradition oder auch eine Achse nach vorn, in die Zukunft entstehen. Schon früh schlossen sich im Westen Flüchtlinge und Vertriebene in informellen Gruppen und lokalen Vereinen zusammen. In Nordrhein-Westfalen entstanden 1951 und 1952 mit den „Königsberger Sammlungen” in Duisburg und der „Riesengebirgsbauernstube” in Hohenlimburg die ersten Heimatsammlungen bzw. –stuben. Bis 1964 wuchs ihre Zahl auf 34 an. Im Jahr 2001 existierten allein in NRW einschließlich der größeren bundes- oder landesgeförderten ostdeutschen Museen 46 Heimatstuben und Sammlungen.
3 Dazu kommen mehrere Bibliotheken und Forschungseinrichtungen. Sie dienen heute nicht nur der Pflege der Erinnerung, sondern bauen über gemeinsame Projekte ebenfalls Brücken in die Herkunftsregionen und fördern das Bewusstsein einer gemeinsamen Geschichte.
Die Präsidentin des BdV, Frau Erika Steinbach, bei einem Vertriebenentreffen. Foto: Bund der Vertriebenen 2001.
21 Landsmannschaften und 16 Landesverbände sind im Bund der Vertriebenen (BdV) zusammengeschlossen, der sich als offizielles Organ der Heimatvertriebenen versteht. Im Kalten Krieg politisch instrumentalisiert und instrumentalisierbar, gilt er auch heute noch vielen als revisionistische Einrichtung – und trägt durch seine Verlautbarungen selbst einiges zu diesem Bild bei. Dass seine bereits 1950 verabschiedete „Charta der Vertriebenen” den expliziten Verzicht auf Rache und Vergeltung enthält sowie ein Plädoyer für ein geeintes Europa, gerät darüber leicht aus dem Blickfeld, genau wie die Tatsache, dass im BdV mittlerweile sehr unterschiedliche Strömungen vertreten sind. Besonders aus den Heimatvereinen oder dem Frauenverband im BdV gingen zudem zahlreiche vorwärtsweisende Kooperationsprojekte hervor. Heute vertritt der BdV mit derzeit etwa zwei Millionen Menschen nur noch eine Minderheit und viele der in ihm Organisierten besuchen die Verbandstreffen vor allem deshalb, um dort alte Bekannte, Freunde und Nachbarn wiederzusehen.
In den meisten Städten und Gemeinden Westdeutschlands erinnern öffentliche Denkmale und Straßenschilder an die verlorenen Heimaten und an die Opfer von Flucht und Vertreibung. Auch die Motive vieler Kirchenfenster und Altärbilder greifen diese Themen auf; daneben finden sich Darstellungen von Neubeginn und Integration. Sie verweisen nicht zuletzt auf die Vertriebenen-Seelsorge der katholischen und protestantischen Kirchen. Zahlreiche Städte und Gemeinden übernahmen bereits in den 1950er Jahren Patenschaften über die nun bei ihnen lebenden Bewohner und Bewohnerinnen bestimmter Städte, Kreise oder Gemeinden in den Herkunftsgebieten.
4 Später gingen aus vielen dieser Patenschaften Partnerschaften mit den jeweiligen Kommunen in Osteuropa hervor, die nun den gleichberechtigten Austausch zum Ziel haben. Sie werden von vielen Vertriebenen, Orts- und Kreisheimatgruppen entscheidend mitgetragen.
Im Kino griff vor allem der Heimatfilm das Schicksal der Flüchtlinge und Vertriebenen auf – ohne allerdings auf die Ursachen für Flucht und Vertreibung einzugehen. Im Vordergrund standen vielmehr die Erfahrungen nach der
Ankunft im Westen und die Suche nach einer neuen Heimat. Die Botschaft des Heimatfilms war, dass es zwar schwer, aber nicht unmöglich ist, auch im Westen wieder heimisch zu werden. Er zeigte tolerante Einheimische und anpassungsbereite Vertriebene, ließ beide in dem für das Genre typischen „Happy End” zusammenwachsen – und vermittelte bereits in der Mitte der 1950er Jahre, dass die
Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen erfolgreich abgeschlossen war, was der Realität in keinster Weise entsprach. Der Heimatfilm entwickelte sich in den 1950er Jahren zum deutschen Kinogenre schlechthin. „Grün ist die Heide”, ein Film mit expliziter Vertriebenenthematik war der erfolgreichste Film dieser Zeit.
Flucht, Vertreibung und Heimatverlust sind Themen vieler Romane, die in den ersten Jahrzehnten nach 1945 meist von Angehörigen der Erlebnisgeneration verfasst wurden. In den letzten Jahren meldeten sich verstärkt auch Angehörige der nächsten Generation zu Wort. Sie thematisieren unter anderem das Aufwachsen im Westen und reflektierten ihr Verhältnis zur Heimat ihrer Eltern und Großeltern. Dass Flucht, Vertreibung und Integration auch Spuren in den hier geborenen Kindern und Enkeln der Flüchtlinge und Vertriebenen hinterließen, machen Autorinnen und Autoren wie Reinhard Jirgl, Christoph Hein, Stephan Wackwitz, Olaf Müller, Petra Reski und Tanja Dückers deutlich. Sie setzen sich heute aus der Sicht der zweiten und dritten Generation mit diesen Themen in ihrer Familiengeschichte auseinander.