Home | Der LWL | Soziales | Psychiatrie | Jugend/Schule | Kultur

Der Ablauf von Flucht und Vertreibung

Dagmar Kift


Herkunftsgebiete der deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen.
Herkunftsgebiete der deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen.

Über 15 Millionen Deutsche, neuere Schätzungen gehen von fast 17 Millionen aus, verloren nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat, ca. 2 Millionen dabei auch ihr Leben. Zwischen 1948 und 1950 lebten knapp 4,5 Millionen von ihnen in der DDR (1948) und etwa 8 Millionen in der BRD (1950). Die meisten der in der Bundesrepublik lebenden Flüchtlinge und Vertriebenen (über 4,5 Millionen) stammten aus Schlesien, Ostpreußen und Pommern, d.h. aus den östlich der Oder und Neiße gelegenen Ländern Deutschlands, die nach dem Krieg unter polnische bzw. wie der Norden Ostpreußens unter sowjetische Verwaltung gestellt wurden. Knapp 2 Millionen waren Deutsche aus dem tschechischen Sudetenland. Der Rest kam aus den Siedlungsgebieten der Deutschen in Polen und im Baltikum sowie in Jugoslawien, Rumänien und Ungarn.1

Herkunftsgebiete der deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen.Flüchtlingstreck.
Flüchtlingstreck. Foto: dpa Picture Alliance GmbH
Die Zahlen sind und bleiben zwangsweise ungenau. Über Ursachen und Folgen wird nach wie vor heftig diskutiert.2 Der Ablauf von Flucht und Vertreibung ist mittlerweile recht gut erforscht.

Die Deutschen, die in den weit im Osten liegenden Siedlungsgebieten lebten, verließen bereits 1943 ihre Heimat, als die Front immer näher kam. Sie wurden in die 1939 annektierten polnischen Landesteile evakuiert.3 1944 folgten die Siebenbürger Sachsen und die Donauschwaben aus Ungarn, Rumänien und Jugoslawien. Die in Ungarn lebenden Siebenbürger Sachsen konnten teilweise noch von der zurückweichenden Wehrmacht evakuiert werden. Die in Jugoslawien lebenden Deutschen wurden enteignet und in Internierungslager zusammengetrieben, wo viele an den Folgen von Hunger und Folter starben.4

Die Bilder der endlosen Trecks, die bis heute unsere Vorstellung von der Flucht der Deutschen prägen, stammen in der Regel aus Ostpreußen. Wie Schlesien und das Sudetenland war Ostpreußen ein bis zum Kriegsende vergleichsweise ruhiges Hinterland und Evakuierungsgebiet für die vom Bombenkrieg stark betroffene Bevölkerung der westlicher gelegenen Städte und Industrieregionen. Hier war die Rote Armee erstmals im Oktober 1944 eingedrungen und hatte unter der Zivilbevölkerung der Ortschaft Nemmersdorf ein Massaker angerichtet, bevor die Wehrmacht sie wieder zurückschlagen konnte. Die von der NS-Propaganda weit verbreiteten, vermutlich auch nachinszenierten Bilder des Massakers5 sollten deutlich machen, was auf die Deutschen bei einer Niederlage zukommen würde. Gleichwohl ließ der ostpreußische Gauleiter Erich Koch die Menschen nicht evakuieren. Im Januar griff die Rote Armee erneut an, und die Menschen flüchteten nun in völligem Chaos und zwischen den rasch enger werdenden Fronten. Ende Januar war Ostpreußen eingekesselt und nur mehr der Weg über das gefrorene Haff nach Danzig, das Ende März fiel, und die verminte Ostsee offen. Allein beim Untergang der als Kreuzfahrtschiff gebauten „Wilhelm Gustloff“, die von einem sowjetischen U-Boot torpediert wurde, starben am 30. Januar 1945 über 9.000 Flüchtlinge und Verwundete.6 Bereits in den 1950er Jahren verfilmt und 2002 Gegenstand der Novelle „Im Krebsgang“ von Günter Grass, steht heute neben den Trecks vor allem der Untergang der „Wilhelm Gustloff“ für die Flucht aus Ostpreußen.

Im Januar 1945 begannen auch in Schlesien die Menschen vor der Roten Armee zu fliehen, teils nach Sachsen und Thüringen, teils über das Riesengebirge ins Sudetenland. Auch hier verhinderte Gauleiter Karl Hanke, dass die vorliegenden Evakuierungspläne rechtzeitig umgesetzt wurden. Die Flucht verlief daher fast so chaotisch wie in Ostpreußen. Für zahllose Menschen war sie zu Ende, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Allein in dem zur „Festungsstadt“ erklärten Breslau starben, nachdem der Fluchtbefehl endlich erteilt worden war, nach neueren Schätzungen 40.000 bis 80.000 Menschen noch in der Stadt selbst: Sie erfroren auf den überfüllten Bahnhöfen oder auf den aus der Stadt führenden Straßen. 200.000 machten sich bei eisiger Kälte zu Fuß auf den Weg, weil es zu wenige Züge gab. Etwa „90.000 [...] erfroren während der Flucht oder starben vor Erschöpfung.“7

„Von 1944 bis Kriegsende wurden bis zu sechs Millionen Deutsche aus Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie evakuiert oder mussten fliehen.“8 Viele von ihnen kehrten zurück, als die Kriegshandlungen eingestellt wurden. Zuhause angekommen erlebten sie dann, was für die Zurückgebliebenen und von der Front Überrollten bereits bitterer Alltag geworden war: Plünderungen und Misshandlungen, willkürliche Erschießungen – und die Frauen Massenvergewaltigungen durch Soldaten und Offiziere der Roten Armee. Die Menschen hofften, dass diese durch eine Mischung aus Siegesrausch und dem Bedürfnis nach Vergeltung gespeisten Exzesse vorübergehend wären und glaubten, dass sich die Situation nach Kriegsende wieder normalisieren würde.

Zum Seitenanfang Top


Flüchtlingstreck.
Foto: Ingrid Henrich (Traben-Trabach)

Wilde Vertreibungen

Bereits im Frühjahr 1945 setzte jedoch in den unter polnische Verwaltung gestellten Gebieten sowie in der Tschechoslowakei die Phase der Entrechtung, Enteignung und „wilden Vertreibungen“ ein, begleitet von brutalen Übergriffen und Ausschreitungen, in denen sich der gegen die vorangegangene deutsche Gewaltherrschaft aufgestaute Hass entlud. Gleichzeitig nutzten zahlreiche Personen und kriminelle Banden die Gelegenheit, persönliche Rechnungen zu begleichen oder sich schlichtweg zu bereichern. Nur wenige Mitglieder der noch schwach besetzten neuen Verwaltungen stellten sich zumindest dem Terror, häufig auch dem seitens der eigenen Miliz, entgegen. 9 Vielerorts waren nun die Soldaten und Offiziere der sowjetischen Besatzungsmacht die einzigen, die gelegentlich Schutz boten. Die neuen Regierungen in Polen und der Tschechoslowakei boten diesen Schutz nicht – im Gegenteil: Ihre neuen Verordnungen, Gesetze und Dekrete hatten die Deutschen erst vogelfrei gemacht und damit den Ausschreitungen Vorschub geleistet: Entrechtung, Enteignung und Terror sollten die geplante Zwangsaussiedlung der Deutschen beschleunigen.

Polen, das 1939 durch Hitler und Stalin zum vierten Mal in seiner Geschichte von Deutschen und Russen geteilt worden war und nach dem Zweiten Weltkrieg einen Großteil seines Vorkriegs-Staatsgebietes im Osten auch nicht wiederbekam, wurde mit Schlesien, Pommern und dem südlichen Teil Ostpreußens entschädigt. Es wollte diese Gebiete möglichst rasch von ihren deutschen Bewohnern leeren, um künftigen Anschlussbestrebungen nach Deutschland vorzubeugen und seine These zu untermauern, es handele sich hier sowieso um wiedergewonnene urpolnische Gebiete. Zugleich sollten dort die Menschen untergebracht werden, die aus dem bei der Sowjetunion verbliebenen Landesteil vertrieben wurden.10 1947 kamen die zwangsumgesiedelten ukrainischen Polen aus den eigenen Ostgebieten dazu. Vor allem im südlichen Ostpreußen entstand so ein komplett neues Bevölkerungsgemisch. 1950 stammten knapp 35% seiner Bewohner aus Zentralpolen und den übrigen altpolnischen Wojewodschaften, fast genau so viele waren polnische Vertriebene aus den verlorenen Ostgebieten (22,6%) und zwangsumgesiedelte Ukrainer aus Südostpolen (10%). Ermländer und Masuren, deren Zugehörigkeit nie ganz eindeutig war – ethnisch verstanden sich die meisten eher als Polen, staatspolitisch aber als Deutsche – und die daher je nach politischer Wetterlage wahlweise als Polen oder als Deutsche galten, machten noch 18,5% der Bevölkerung aus.11

Die Tschechoslowakei wollte sich nach dem Krieg ihrer unliebsamen Minderheiten entledigen, zu denen neben den Ungarn vor allem die Sudetendeutschen gehörten. 1938 hatte sie im zwischen Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien ausgehandelten Münchener Abkommen das Sudetenland an Hitler-Deutschland verloren – mit großer Zustimmung der Sudetendeutschen. Nach 1945 betrachtete die Tschechoslowakei die Sudetendeutschen als fünfte Kolonne, die sie nun definitiv loswerden wollte. Die Beneš-Dekrete der tschechoslowakischen Regierung, benannt nach dem 1935-1938 und 1946-1948 amtierenden Staatspräsidenten Edvard Beneš, besiegelten 1946 ihre Enteignung und Vertreibung. Dass man den Sudetendeutschen bei der Vertreibung höhnisch nachrief, dass sie nun endlich und endgültig „heim ins Reich“ kämen, bezog sich unzweideutig auf den 1938 im Münchener Abkommen besiegelten „Anschluss“ des Sudetenlandes an Deutschland. Zu hören bekamen das aber auch deutsche Nazi-Gegner und -Verfolgte, Sozialdemokraten und deutsche Juden, die die Konzentrationslager überlebt hatten, denn die Ausweisungsbemühungen erstreckten sich, genau wie in Polen, auf alle Deutschen.12

Zurückbehalten wurden in der Tschechoslowakei und in Polen nur die Deutschen, die man zunächst noch als Arbeitskräfte benötigte – Fachkräfte einerseits, auf deren Spezialwissen man angewiesen war und Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen andererseits, die als menschliche Reparationsleistung zur ersten Wiedergutmachung der Kriegszerstörungen eingesetzt wurden. Einen solchen Einsatz hatten Stalin, Roosevelt und Churchill im Februar 1945 auf der Konferenz von Jalta abgesprochen und damit auch die „Verschleppung von über einer Million Deutscher zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion“13 legitimiert. Viele überlebten die Zwangsarbeit nicht, die Spezialisten kamen teilweise erst in den 1960er Jahren heraus und aus der Zwangsarbeit viele gar nicht mehr zurück. Die letzten überlebenden Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen kaufte Bundeskanzler Adenauer zusammen mit den letzten Kriegsgefangenen 1955 aus der Sowjetunion frei.

Zum Seitenanfang Top


Wäschekorb, zum Fluchtwagen für das nötigste Hab und Gut umgebaut.
Wäschekorb, zum Fluchtwagen für das nötigste Hab und Gut umgebaut. Foto: Westfälisches Industriemuseum

Vertreibungen als Mittel der Politik

Die „wilden Vertreibungen“ im Frühsommer 1945 riefen bei den Alliierten zunehmend Protest hervor: Die Vertriebenenströme ergossen sich ohne Vorwarnung in ihre Besatzungszonen. Die Menschen waren aufgrund der zahlreichen Überfälle und Ausraubungen selbst noch auf dem Weg zur Grenze oft völlig mittellos und krank. Ihre Versorgung mit Nahrung und Wohnung in den vom Bombenkrieg sehr stark in Mitleidenschaft gezogenen Besatzungszonen gestaltete sich äußerst schwierig. Auch die inhumane Art der Durchführung stieß auf Widerstand. Auf der Konferenz von Potsdam wollten die Alliierten den organisatorischen Ablauf der Vertreibungen verbessern.

Den Zwangsumsiedlungen selbst hatten auch die westlichen Alliierten bereits während des Krieges zugestimmt – für Stalin waren Zwangsumsiedlungen bereits seit 1939 Teil seiner Ausführungspläne des mit Hitler abgeschlossenen Paktes zur Neuordnung Osteuropas. Churchill ließ sich 1942 für den Plan des im britischen Exil lebenden tschechischen Staatspräsidenten Edvard Beneš gewinnen, nach Kriegsende zumindest einen Teil der Sudetendeutschen auszusiedeln – dass es alle werden sollten, war zunächst nicht Beneš’ Absicht. Das britische Außenministerium sprach sich im gleichen Jahr dafür aus, Deutschland zu verkleinern und die in den dann abgetrennten Gebieten lebenden Deutschen auszuweisen. 1943 signalisierte dazu auch Roosevelt Unterstützung.14 Wie viele Politiker glaubten die Führer der Alliierten, dass nur national homogene Staaten dauerhaft stabil sein würden und Minderheitenprobleme durch Grenzkorrekturen und Bevölkerungs„transfers“ gelöst werden könnten und sollten.

„Gewaltsame Bevölkerungsverschiebungen als Mittel der Politik haben eine Vorgeschichte, die bis ins 19. Jahrhundert reicht.“15 Im 20. Jahrhundert litten unter dieser Politik zunächst vor allem die Armenier, bei denen Vertreibung zudem mit Völkermord einherging.16 Nach dem Ersten Weltkrieg nahmen Griechen und Türken einen „Bevölkerungsaustausch“ vor, hinter dem sich die Flucht und Vertreibung von circa 1,6 Millionen Menschen verbarg. Er wurde 1923 im Vertrag von Lausanne nachträglich völkerrechtlich sanktioniert. Auf diesen Vertrag bezogen sich auch die Alliierten bei der Vertreibung der Deutschen.17 Er war insofern ein passender Präzedenzfall, „als sich die Vertreibung der jeweiligen Minderheiten auf das gesamte Staatsgebiet ... erstreckte und unter Beihilfe der internationalen Staatengemeinschaft beschlossen und umgesetzt wurde.“18 Auch 1945 sollte (Ost-)Europa in dieser Weise neu geordnet und dabei nationale mit ethnischen Grenzen in Übereinstimmung gebracht werden, um Frieden und Stabilität zu schaffen: Deutsche Minderheiten, die erneut einen destabilisierenden Anschluss an Deutschland betreiben könnten, sollte es nicht mehr geben.19

Die Grenz- und Bevölkerungsverschiebungen waren Thema der Konferenzen von Teheran (1943) und Jalta (1945). Die Grenzverschiebungen umfassten insbesondere die Sanktionierung der auf der Grundlage des Hitler-Stalin-Paktes von 1939 erfolgten Westverschiebung der Sowjetunion auf Kosten Polens, das dafür nun mit einer eigenen Westverschiebung auf Kosten Deutschlands kompensiert werden sollte.20 Schon 1943 verbanden die Alliierten die territoriale mit der ethnischen Neuordnung: Die Deutschen sollten die abzutretenden Gebiete verlassen, die letzten deutschen Volkstumsinseln in Mittel- und Südosteuropa aufgelöst werden. Wie bei der Westverschiebung der sowjetischen Grenzen brachten die Alliierten allerdings auch hier etwas zu Ende, das – wenngleich mit anderer Zielsetzung und anderem Umfang – ebenfalls Hitler bereits angestoßen hatte: die Auflösung der „nicht mehr haltbare[n] deutschen Volkstumssplitter“ in Osteuropa.21 Auf der Konferenz von Jalta erfolgte im Februar 1945 die Festlegung der meisten neuen Grenzen, mit Ausnahme der neuen Westgrenze Polens. Das erklärt die polnischen Bemühungen, die dort lebenden Deutschen noch vor Kriegsende zu vertreiben. Ziel war, die „spätere territoriale Zuordnung vorzubereiten“, d.h.: vollendete Tatsachen zu schaffen.22

Als sich die Alliierten im Juli/August 1945 in Potsdam wieder trafen – nicht zuletzt, um die Westgrenze Polens endgültig festzulegen –, waren die Vertreibungen von Deutschen bereits in vollem Gange, genau wie die Vertreibungen von Polen aus deren verlorenen Ostgebieten. Im Hinblick auf die Vertreibungen der Deutschen blieb nur noch, den Organisationsablauf zu verbessern, die Ausschreitungen einzudämmen und dafür Sorge zu tragen, dass die Vertriebenen nicht völlig mittellos in den Besatzungszonen ankamen. Großbritannien, die USA und die Sowjetunion legten daher fest, dass die „Überführung“ der noch in Polen, der Tschechoslowakei sowie zusätzlich nun auch der in Ungarn23 lebenden Deutschen von nun an „in ordnungsgemäßer und humaner Weise erfolgen“ sollte. Durchführungspläne mit Kontingenten, Zielgebieten und Zeitplänen verbesserten in der Tat schrittweise die Organisation, ein gewisses Maß an alliierter Kontrolle der Eisenbahntransporte erhöhte die Sicherheit der Vertriebenen. „Human“ wurden die Vertreibungen damit jedoch nicht; zu Ausschreitungen kam es auch weiterhin.24

Zum Seitenanfang Top


Der Abschluss der Vertreibungen

Aus der Tschechoslowakei waren die meisten Deutschen bis zum Herbst 1946 vertrieben – mit Ausnahme der zurückbehaltenen Fach- und Zwangsarbeiter und der deutschen Antifaschisten, die zunächst bleiben durften. 1947 hatten die anti-deutschen Anfeindungen jedoch auch ihnen gegenüber ein derartiges Ausmaß erreicht, dass die deutschen Sozialdemokraten und Kommunisten das Land, demgegenüber sie immer loyal geblieben waren, ebenfalls verließen.25 Der Vertreibungsprozess in Polen war 1950 abgeschlossen; auch hier hatten die meisten Vertreibungen im Jahr 1946 stattgefunden.26 Nicht vertrieben wurden die als „autochthon“ eingestuften Masuren und Oberschlesier, wenn sie ihr Polentum unter Beweis stellen („verifizieren“ ließen), eine Treueerklärung gegenüber Polen abgaben und sich von Deutschland bzw. dem Deutschtum distanzierten.27 1947 waren die Vertreibungen in Südosteuropa im Wesentlichen beendet. Ungarn hatte sie gar nicht zu Ende geführt. In den Dörfern der Ungarndeutschen siedelte die Regierung die aus der Tschechoslowakei und aus Rumänien geflüchteten ungarischen Minderheiten an.28 1948 wurden die Deutschen, die noch im an die Sowjetunion gefallenen nördlichen Ostpreußen lebten oder arbeiten mussten, ausgesiedelt; die letzten verließen Königsberg 1950.29 Am Ende blieben nur noch die Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen übrig, die zunächst als menschliche Reparationsleistung zurückbehalten wurden und im neuen Ost-West-Konflikt nun als Faustpfand herhalten mussten. Sie kamen erst 1955 frei.
1960 lebten nach Schätzungen über 10,5 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene in der BRD sowie 3,5 Millionen in der DDR.30 Viele, die zunächst in der sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR untergebracht worden waren, hatten sich mittlerweile erneut auf den Weg gemacht. Zu ihnen gesellten sich Hunderttausende von DDR-Flüchtlingen.

Zum Seitenanfang Top



Fußnoten

  1. Plato 2005; Ther, Philipp: Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945–1956, Göttingen 1998, S. 12.
  2. Vgl. dazu u.a. die Debatte um die im Dezember 2005 eröffnete Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration“ des Bonner Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und die im August 2006 eröffnete Ausstellung „Erzwungene Wege. Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts“ des Zentrums gegen Vertreibungen.
  3. Madajczyk, Piotr: Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Polen, in: Flucht, Vertreibung, Integration. Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bielefeld 2005, S. 51.
  4. Die Siebenbürger Sachsen, die in Rumänien lebten, nicht evakuiert werden konnten und nicht flüchteten, erwartete Deportation und Zwangsarbeit in der Sowjetunion. Gündisch, Konrad: Deutsche Migrationsbewegungen in Südosteuropa, in: Flucht, Vertreibung, Integration. Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bielefeld 2005, S. 78f.
  5. Vgl. dazu Kossert, Andreas: Ostpreußen. Geschichte und Mythos, München 2005, S. 318.
  6. Kossert, Andreas: Ostpreußen. Geschichte und Mythos, München 2005, S. 321-323.
  7. Urban, Thomas: Der Verlust. Die Vertreibung der Deutschen und Polen im 20. Jahrhundert, München 2004, S. 105; Madajczyk, Piotr: Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Polen, in: Flucht, Vertreibung, Integration. Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bielefeld 2005, S. 51.
  8. Madajczyk, Piotr: Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Polen, in: Flucht, Vertreibung, Integration. Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bielefeld 2005, S. 51.
  9. Urban, Thomas: Der Verlust. Die Vertreibung der Deutschen und Polen im 20. Jahrhundert, München 2004, S. 114; Kossert, Andreas: Ostpreußen. Geschichte und Mythos, München 2005, S. 351.
  10. Dieser Teil des Landes entsprach in etwa den Regionen, die Polen sich nach 1920 von der Sowjetunion erkämpft hatte – bzw. der Ostgrenze Restpolens nach der 2. polnischen Teilung von 1793.
  11. Kossert, Andreas: Ostpreußen. Geschichte und Mythos, München 2005, S. 352. Zu den Nachkriegserfahrungen dieser Gruppen vgl. Ther, Philipp: Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945–1956, Göttingen 1998 sowie Karp, Hans-Jürgen und Robert Traba (Hg.): Nachkriegsalltag in Ostpreußen. Erinnerungen von Deutschen, Polen und Ukrainern, Münster 2004.
  12. Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, bearbeitet von Theodor Schieder, hg. v. Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Bd. V (Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei), 1954-61 (Bonn), Reprint in neun Bänden, München 1984, S. 100f.
  13. Zayas, Alfred de: Vertreibung und Völkerrecht, in: Flucht, Vertreibung, Integration. Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bielefeld 2005, S. 183.
  14. Brandes, Detlef: Vertreibung und Zwangsaussiedlung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, in: Flucht, Vertreibung, Integration. Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bielefeld 2005, S. 68f; Ther, Philipp: Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945–1956, Göttingen 1998, S. 37.
  15. Ther, Philipp: Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945–1956, Göttingen 1998, S. 28. Zu den Vertreibungen des 20. Jahrhunderts vgl. auch Naimark, Norman M.: Flammender Hass. Ethnische Säuberungen im 20. Jahrhundert, München 2004, der die strukturellen Gemeinsamkeiten zwischen dem Völkermord an den Armeniern 1915, die Vertreibung der Griechen aus Anatolien 1922/23, die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Nationalsozialismus, die Deportationen der Tschetschenen-Inguschen und Tartaren 1944 , die Vertreibung der Deutschen aus Polen und der Tschechoslowakei 1945 ff. sowie die „ethnischen Säuberungen“ in Bosnien in den 1990er Jahren vergleichend untersucht.
  16. Franzen, K. Erik: Zwangsmigrationen im 20. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg, in: Flucht, Vertreibung, Integration. Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bielefeld 2005, S. 28f.
  17. Beer, Mathias: Die Vertreibung der Deutschen. Ursachen, Ablauf, Folgen, in: Flucht und Vertreibung. Europa zwischen 1939 und 1945, mit einer Einleitung von Arno Surminski, Hamburg 2004, S. 25 ff. Zum Vertrag von Lausanne vgl. auch Zayas, Alfred de: Vertreibung und Völkerrecht, in: Flucht, Vertreibung, Integration. Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bielefeld 2005, S. 182.
  18. Ther, Philipp: Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945–1956, Göttingen 1998, S. 28.
  19. Faulenbach, Bernd: Vertreibungen – Ein europäisches Thema, in: Flucht, Vertreibung, Integration. Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bielefeld 2005, S. 190.
  20. Ther, Philipp: Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945–1956, Göttingen 1998, S. 11 f.
  21. Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, bearbeitet von Theodor Schieder, hg. v. Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Bd. 3 (Das Schicksal der Deutschen in Rumänien), 1954–1961 (Bonn), Reprint in neun Bänden, München 1984, S. 41E; Ther, Philipp: Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945–1956, Göttingen 1998, S. 38 f.
  22. Ther, Philipp: Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945–1956, Göttingen 1998, S. 40.
  23. Ungarn war bis 1944 mit Hitler-Deutschland verbündet.
  24. Zayas, Alfred de: Vertreibung und Völkerrecht, in: Flucht, Vertreibung, Integration. Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bielefeld 2005, S. 185.
  25. Brandes, Detlef: Vertreibung und Zwangsaussiedlung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, in: Flucht, Vertreibung, Integration. Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bielefeld 2005, S. 72 f.
  26. Madajczyk, Piotr: Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Polen, in: Flucht, Vertreibung, Integration. Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bielefeld 2005, S. 61.
  27. Urban, Thomas: Der Verlust. Die Vertreibung der Deutschen und Polen im 20. Jahrhundert, München 2004, S. 138 ff.
  28. Gündisch, Konrad: Deutsche Migrationsbewegungen in Südosteuropa, in: Flucht, Vertreibung, Integration. Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bielefeld 2005, S. 79.
  29. Kossert, Andreas: Ostpreußen. Geschichte und Mythos, München 2005, S. 337.
  30. Plato 2005.

 

Zur vollständigen Literaturliste

nach oben Link zum Anfang der Seite