LWL-Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Mitteilung vom 12.03.10

Presse-Infos | Kultur

Die heilige Gertrud eröffnet am 17. März die Gartensaison

Zeitreise in die Gartenkultur des frühen 20. Jahrhunderts

Bewertung:

Westfalen (lwl). Nach dem nicht enden wollenden Schnee und Frost in den ersten beiden Monaten des Jahres scharren Hobbygärtner schon länger mit den Schaufeln und Harken: Mit dem 17. März, dem Tag der Heiligen Gertrud, ist die Garten(arbeits)saison nun endlich eröffnet ¿ vorausgesetzt das Wetter lässt es zu: ¿Gertrud nützt dem Gärtner fein, wenn sie sich zeigt mit Sonnenschein¿, sagt der Volksmund. ¿Traditionell sollten die Beete bis Mitte März gelockert bzw. umgegraben sein¿, erklärt Christiane Cantauw, Volkskundlerin beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL).

Mit der Nachfrage nach Bio-Produkten ist in den vergangenen Jahren auch das Interesse an Bauerngärten neu entflammt. ¿Entgegen landläufiger Meinung ist das, was man heute als Bauerngarten bezeichnet ¿ nämlich symmetrisch angelegte und von einer Buchsbaumhecke gerahmte Beete ¿ nur wenig älter als 100 Jahre: Bauerngärten vor 1900 entsprachen nicht dem heute vermittelten Bild. Denn manchmal reichten landwirtschaftliche Ackerflächen sogar bis dicht ans Haus heran, oft mit eingestreutem Obstbäumen, oder es wurden Freiflächen für das häusliche Vieh reserviert¿, so Cantauw.

Wie vielfältig Bauerngärten gestaltet sein konnten, für welchen Zweck sie angelegt wurden und wie die Familien mit ihrem Garten lebten und darin arbeiteten, zeigen die historischen Berichte, die die Volkskundliche Kommission für Westfalen beim LWL zusammengetragen hat. Insgesamt 45 persönliche Berichte aus ganz Westfalen ¿ überwiegend mit Bezug auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ¿ zeugen von einer reichen Gartenkultur. Während heute gut illustrierte Fachbücher dem interessierten Gartenfreund Tipps zur Gartengestaltung geben, lag den Westfalen die Anbautechnik zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch ¿im Blut¿: ¿Der Anbau erfolgte nach einem Plan, den man im Kopfe hatte¿, berichtet eine Dame aus Bottrop-Kirchhellen. ¿Samen und Pflanzen wurden bis auf nachstehend genannte Ausnahmen vom Händler bezogen. Selbst gezogen waren Melde, Zwiebeln, Steckzwiebeln, Porree, Möhren, dicke Bohnen, Stangenbohnen, Kürbis, Gurken. Dicke Bohnen mussten bereits im Februar ausgelegt werden, denn dann bekamen sie keine Läuse. Frühkartoffeln kamen Anfang März in die Erde; für das übrige bestimmte die ¿erste Gärtnerin¿, Gertrud, den Termin.¿

Im April wurden dann Erbsen und Petersilie gesät, im Mai Gurken und Bohnen. ¿Man darf die Bohnen nicht zu tief in die Erde legen¿, so eine Gewährsperson aus Geseke (Kreis Soest), ¿denn es heißt: Bohnen wollen die Glocken läuten hören.¿ Die hier durchklingende christliche Prägung setzte sich in einigen Bräuchen fort: ¿Nach der Gartenbestellung wurde mit der Harke ein Kreuzzeichen gemacht, indem man die Harke kreuzweise in die Gartenerde eindrückte¿, heißt es weiter. Der Buchsbaum, mit dem die Beete häufig eingefasst waren, wurde Palmsonntag und in der Osterzeit verwendet: ¿Der Buchsbaum wurde am Palmsonntag zur Palmweihe und Prozession und auch zum Palmposkensingen der Kinder gebraucht. Die geweihten Palmzweige wurden in der Wohnung, im Stall und auch auf den Feldern aufgesteckt¿, erinnert sich ein Mann aus Vreden (Kreis Borken).

Heute auf vielen Balkonen gezogen, waren Tomaten vor 70 bis 80 Jahren noch eine Besonderheit: ¿Ich weiß noch, als die ersten Tomaten aufkamen. Ich war ein Kind und höre noch, wie eine Nachbarin zu meiner Mutter sagte: Jetzt gibt es Kartoffeln, die über der Erde wachsen. Man muss sie grün abpflücken und sie im dunkeln legen, aber sie werden rot und brauchen nicht gekocht werden¿, heißt es in einem Bericht. Auch Erdbeeren kamen erst ab den 1930er Jahren auf. Das im Garten gezogene Obst und Gemüse verwendeten unsere Vorfahren während der Frühlings- und Sommerzeit meist frisch in der Küche. Erst etwa zur Zeit des 1. Weltkrieges wurde das Einmachen bekannter, große Gemeinschaftsgefrieranlagen gab es ab etwa 1950.

Berichte bald im Netz
Damit das Wissen um kulturelle Veränderungen und Zusammenhänge nicht verloren geht, erschließt die Volkskundliche Kommission für Westfalen derzeit diese Berichte sowie Dokumente zu vielen anderen Themen in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt digital. Voraussichtlich ab Herbst 2010 werden sie Interessenten unter der Adresse http://www.lwl.org/LWL/Kultur/VOKO kostenfrei online zur Verfügung stehen.



Pressekontakt:
Markus Fischer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org




Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


Der LWL auf Facebook:
https://www.facebook.com/LWL2.0






Ihr Kommentar




zur Druckansicht dieser Seite

zu den aktuellen Presse-Infos