Mitteilung vom 24.01.12
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¿Wenn du nicht artig bist, kommst du ins Heim¿
LWL veröffentlicht ¿Quellen zur Geschichte der Heimerziehung in Westfalen 1945 bis 1980¿
Westfalen (lwl). Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) hat jetzt die Dokumentation ¿Quellen zur Geschichte der Heimerziehung in Westfalen 1945-1980¿ veröffentlicht. Die von Matthias Frölich in der Reihe des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte herausgegebene Textsammlung beschreibt die Geschichte der Sozialpädagogik in Westfalen-Lippe und benennt Missstände in den westfälischen Kinder- und Erziehungsheimen nach 1945.
"In den 1950er und 1960 Jahren herrschte in den Heimen ein autoritärer Erziehungsstil. Statt einer pädagogischen Betreuung, die auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen ausgerichtet war, gab es oft eine bloße Massenabfertigung mit den Schwerpunkten Arbeit, Disziplinierung, Zucht und Ordnung", nennt Frölich die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung.
Tausende Kinder und Jugendliche waren zwischen Kriegsende und den 1970er Jahren in den meist konfessionellen westfälischen Heimen untergebracht. Ihr Schicksal ist in den vergangenen Jahren verstärkt in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Ehemalige Heimkinder berichteten in Presse, Radio und Fernsehen über Lieblosigkeit, Schläge, sexuelle Gewalt, harte Arbeit und nichtige Einweisungsgründe. Sie beklagten fehlende Bildungsangebote und mangelnde Vorbereitung auf das Leben nach der Heimerziehung.
Diese Vorwürfe betreffen in mehrfacher Hinsicht auch den LWL: Über sein Landesjugendamt war der LWL für die Durchführung der Fürsorgeerziehung und der Freiwilligen Erziehungshilfe in Westfalen verantwortlich, er unterhielt eigene Einrichtungen und übernahm in den 1960er Jahren zudem die Aufgabe der Heimaufsicht. "Ich bitte alle ehemaligen Heimkinder, die in westfälischen Heimen statt einer geschützten Kindheit Gewalt und Erziehung durch Arbeit erfahren haben, um Entschuldigung", hatte LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch im vergangenen Jahr anlässlich einer Tagung zur der LWL-Dokumentation ¿Heimerziehung in Westfalen¿ gesagt.
Die von Frölich herausgegebene Quellensammlung macht durch den Abdruck von Aktenauszügen, Zeitungsartikeln, Briefen, Richtlinien, Fachtexten und Zeitzeugeninterviews deutlich, dass die Anpassung der Heimerziehung an demokratische Verhältnisse nach 1945 nicht ¿über Nacht` erfolgte. Das Personal der Einrichtungen blieb das gleiche. Der Heimalltag war häufig auch über das Kriegsende hinaus von gewohnten Methoden der sogenannten ¿schwarzen Pädagogik¿ geprägt: Disziplinierung durch Arbeit, Zucht und Ordnung. Ein ehemaliges Heimkind drückt es heute so aus: ¿Man hat als Waisenkind und Heimkind absolut keine Liebe kennengelernt. Konnte man ja nicht. Weder von den Eltern noch von den Erziehern. Und dieses zieht sich fort durchs ganze Leben¿.
Vor allem der Personalmangel, die fehlende Ausbildung der Erzieher, die mangelnde öffentliche Überwachung der Einrichtungen durch Jugendbehörden und die geringe finanzielle Ausstattung der Heime trugen dazu bei, dass die Anpassung an den neuesten Stand der Pädagogik verhindert oder verlangsamt wurde. Erst im Lauf der 1960er Jahre setzen Reformen ein, die nach und nach einen grundlegenden Wandel in der Jugendfürsorge bewirkten.
Matthias Frölich (Hg.)
Quellen zur Geschichte der Heimerziehung in Westfalen 1945-1980,
Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh, 738 Seiten,
58 Euro, ISBN 978-3-506-77139-1
Pressekontakt:
Markus Fischer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235
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Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.
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