Mitteilung vom 07.09.07
Presse-Infos | Kultur
Kunstvermittlung XXL:
Vermittlungsarbeit von Großausstellungen im Blick
Der Kunstsommer 2007 war einer der ereignisreichsten der vergangenen Jahre. Höhepunkt war sicher das unter dem Namen ¿Grand Tour¿ bekannt gewordene Zusammentreffen von vier großen Kunstveranstaltungen. Im Abstand von nur wenigen Tagen eröffneten nacheinander die Biennale von Venedig, die Art Basel, die documenta 12 in Kassel und skulptur projekte münster 07. Einen guten Monat zuvor öffnete außerdem die im Zusammenschluss des Sprengel Museums, der Kestnergesellschaft und des Kunstvereins Hannover entstandene Ausstellung ¿Made in Germany¿ ihre Pforten.
Diese geballte Anhäufung von großen Kunstereignissen spiegelt eine schon seit Längerem zu beobachtende Tendenz wider: Ausstellungen expandieren und begeistern ein zunehmend größeres Publikum. Mit dieser Entwicklung wird gerade die Frage nach der Vermittlung von Inhalten immer wichtiger. Abzulesen ist diese gestiegene Bedeutung auch am Umgang großer Ausstellungsprojekte mit dem Thema Kunstvermittlung: Sowohl in Kassel als auch in Münster hat es hierzu eigene Pressekonferenzen und Informationsveranstaltungen gegeben und hier wie dort wird das umfangreiche Angebot intensiv genutzt.
Das Symposium ¿Kunstvermittlung XXL¿, veranstaltet von der Kulturabteilung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), dem LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Kooperation mit dem Bundesverband Museumspädagogik e.V, widmet sich an zwei Tagen verschiedenen Fragestellungen zum Thema. Die eingeladenen Rednerinnen und Redner beschäftigen sich dabei aus ganz unterschiedlichen Richtungen mit der Kernfrage der Veranstaltung: Großausstellungen ¿ eine Chance für die Kunstvermittlung?.
Dabei geht es neben den Vermittlungsprogrammen von documenta 12 (Ulrich Schötker) und skulptur projekte münster 07 (Heike Kropff) auch um neue Wege der musealen Möglichkeiten, zum Beispiel mit ¿serviceorientierten Projektbotschaftern¿, die der Verein der Freunde der Nationalgalerie, Berlin bei der Ausstellung ¿Die Schönsten Franzosen kommen aus Berlin¿ in den Ausstellungsräumen einsetzt (Lutz Driever). Aber auch um die wissenschaftliche Begleitung von Vermittlungsarbeit (documenta 12, Carmen Mörsch) oder um Fragen nach ästhetischer Bildung ¿im magischen Dreieck des Kulturellen, Sozialen und Schulischen¿ (Dr. Wolfgang Zacharias). Wesentlich ist dabei auch der Bezug zur Bildungspolitik (Hortensia Völckers, Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes) und zum Kulturjournalismus (Stefan Koldehoff, Journalist des Deutschlandfunks). Schließlich wird die Vermittlungsarbeit auch zunehmend interessant für Sponsoren (Dr. Christine Litz) und dient als nützliches Marketinginstrument (Christina Müller, PR- und Organisationsberaterin mit dem Schwerpunkt Kultur).
Neben den verschiedenen Vorträgen zum Thema, zeigen insgesamt acht Foren am zweiten Tagungstag aktuelle Möglichkeiten der Vermittlungsarbeit aus verschiedenen Institutionen.
In einer abschließenden Podiumsdiskussion werden die vielfältigen Aspekte von den Tagungsteilnehmern noch einmal intensiv erörtert.
Referenten und Themen (Auszug):
Lutz Driever
Projektleiter Livespeaker / Koordination Mitarbeiter beim Verein der Freunde der Nationalgalerie, Berlin
LIVE!SPEAKER - Serviceorientierte Projektbotschafter mit Charme und Witz
Bestätigt durch den großen Publikumserfolg bei den vergangenen Ausstellungsprojekten des Vereins der Freunde der Nationalgalerie e.V. (MoMA, Goya, Picasso, Melancholie) initiiert der Verein für die Ausstellung ¿Die Schönsten Franzosen kommen aus New York¿ wieder ein besonderes Projekt, um möglichst vielen Menschen auf sympathische Art die französische Kunst des 19. Jahrhunderts nahe zu bringen: die LIVE!SPEAKER. Aufgabe der LIVE!SPEAKER ist es, aufgeteilt auf die jeweiligen Ausstellungsräume, für die Besucher als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen und deren Fragen zu ein-zelnen Werken, der Ausstellung oder zum Metropolitan Museum in New York zu beantworten.
Der Vortrag soll einen Einblick geben in die Vorbereitungs- und Durchführungsphase sowie die Organisationsstruktur des Projektes.
Heike Kropff
Leiterin Kunstvermittlung skulptur projekte münster 07 und am LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster
Raus aus dem Haus! Die Kunstvermittlung der skulptur projekte münster 07
Mit dem Ziel, die Besucher aktiv in die Diskussion über Kunst, Öffentlichkeit und Raum einzubinden, wurde das Vermittlungskonzept der skulptur projekte münster 07 entwickelt. Erstmals in der 30jährigen Geschichte der Ausstellung wurden für verschiedene Zielgruppen Angebote entworfen, die Zugänge erleichtern, den individuellen Focus erweitern und das Wissen der Besucher konstitutiv einbeziehen sollen. Dabei sahen sich die Macherinnen vor eine Vielzahl von Herausforderungen gestellt, von denen einige thematisiert werden sollen. Es ging darum, ein Vermittlungsprogramm zu erarbeiten, dass zum Charakter der Skulptur Projekte passt: einer Ausstellung, die im Abstand von zehn Jahren das ambivalente Verhältnis von Kunst und Öffentlichkeit untersucht, indem Kunstproduktion unmittelbar vor Ort entsteht; einer Ausstellung, die sich mit dem urbanen Kontext auseinandersetzt und den städtischen ¿Bürger¿ aktiv mit einbezieht.
Dieses Vermittlungsprogramm soll den besonderen Anforderungen, denen sich der Besucher in der Konfrontation mit Kunst im öffentlichen Raum stellen muss, Rechnung tragen. Es gilt Angebote zu entwickeln, die sich innerhalb der kulturellen Region Münster bewähren, dennoch dem Anspruch einer internationalen Großausstellung gerecht werden sowie Raum für Überraschungen und Unerwartetes bieten. Der zeitliche Rahmen von nur 105 Ausstellungstagen stellt eine weitere Herausforderung dar.
Der Beitrag wird die Herangehensweise und Strategien der Kunstvermittlung der skulptur projekte münster 07 exemplarisch verdeutlichen sowie 24 Tage vor Ausstellungsende den Versuch eines ersten Fazits wagen.
Dr. Christine Litz
Projektleitung skulptur projekte münster 07
Sponsoring in der Vermittlung. Modell für die Zukunft oder Sackgasse?
Nie war der Logowald auf Ausstellungsplakaten und in den kulturellen Institutionen selbst sowie in Katalogen so dicht wie in den vergangenen Jahren. Davon ist auch die Kunstvermittlung nicht ausgenommen. Ist der S-Guide der diesjährigen documenta als Nachfolger der Allianz-Arena in München oder Signal-Iduna Park in Dortmund, Commerzbank-Arena in Frankfurt oder Veltins-Arena in Gelsenkirchen Zukunftsmodell oder führt dies geradewegs in eine Sackgasse?
Die Notwendigkeit, Menschen für Kultur zu interessieren, entspringt nicht nur dem Interesse der Sicherung eines Stammpublikums von morgen. Es resultiert vielmehr aus dem Umstand, dass Kunst ihre gesellschaftliche Relevanz aus der kritischen Auseinandersetzung des eigenen Standpunktes mit dem von anderen entfaltet.
Es geht darum, ein dauerhaftes Interesse an kulturellen Inhalten zu wecken und die Besucher mit vielfältigen Angeboten anzusprechen, die sowohl die kunstspezifischen Inhalte vorstellen als auch spezifische Interessen und Fragestellungen der eigenen Lebenswelt berücksichtigen. Leitlinie bislang von mir initiierten Vermittlungsarbeit ist, ein ästhetisches Urteilsvermögen als Grundlage der kritischen Teilhabe an kulturellen Prozessen auszubilden und zu ermöglichen, das Museum/die Ausstellung als einen Ort der wertbezogenen Orientierung und auch als einen sozialen Ort wahrzunehmen.
Um dies zu erreichen, sind Partner gesucht, die in ihrem jeweiligen Engagement gerade die Vermittlungsarbeit als wichtigen Bestandteil erkennen, werten und umsetzen. Als Tendenz ist festzustellen, dass Unternehmen leichter für die Förderung der Vermittlungsarbeit zu gewinnen sind als für die Unterstützung der Ausstellung selbst. Dabei sind am beliebtesten zielgruppenspezifische Angebote, besonders für Kinder und Jugendliche, die in die eigene strategische Markenkommunikation passt.
Jun.-Prof. Carmen Mörsch
Wissenschaftliche Begleitung der documenta 12 Kunstvermittlung, Junior-Professorin am Kulturwissenschaftlichen Institut, Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg
Selbstreflexive Vermittlungspraxis: Die Vermittlung auf der documenta 12 als Forschungsprojekt
Die documenta 12 Vermittlung ist als Forschungsprojekt konzipiert. 21 VermittlerInnen haben sich im Rahmen eines an der teambasierten Aktionsforschung orientierten Forschungssetting assoziiert und verfolgen darin ihre eigenen Fragen, die aus der Arbeit auf der documenta 12 resultieren. Weitere 32 realisieren in diesem Zusammenhang Vermittlungsprojekte mit verschiedenen Interessensgruppen und befragen diese Praxis kritisch.
Der Beitrag führt in die Forschungsmethode ein, skizziert exemplarisch einige im Forschungsprojekt verfolgten Fragen und umreißt die Komplexität die entsteht, wenn auf einem Großereignis wie der documenta 12 Kunstvermittlung mit einem forschenden Habitus betrieben wird.
Ulrich Schötker
Leiter Vermittlung documenta 12, Kassel
Die documenta gilt als eine der bedeutendsten Ausstellungen für zeitgenössische Kunst. Dass gerade diese erklärungsbedürftig ist, wurde im 20. Jahrhundert herausgestellt. Die Frage ist dann: Was tun?
Kunstvermittlung kann heute theoretisch und praktisch darauf antworten und das am Besten, wenn sie als Teil der Ausstellung begriffen wird. Für die documenta 12 ist Kunstvermittlung in unterschiedlichen Formen in Erscheinung getreten. Sie hat maßgeblich an einer reflektierten Auseinandersetzung zwischen Kunstwerk, Ausstellung und Publikum teilgenommen und zudem die Aufgabe verfolgt, eine gesellschaftliche Öffentlichkeit herzustellen. Offen bleibt die Frage zur Nachhaltigkeit dieser Entwicklungen.
Dr. Wolfgang Zacharias
Kulturrat bei der Landeshauptstadt München, Projektleiter Pädagogische Aktion/SPIELkultur e.V., stellvertretender Vorsitzender der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung, Remscheid u.v.m.
Kunst bildet ¿ immer und überall. Aber wie?
Ästhetische Bildung im ¿magischen Dreieck¿ des Kulturellen, Sozialen und Schulischen.
Ästhetische Erziehung/ Bildung hat ihre eigenen Diskurs- und Organisationstraditionen, vornehm geadelt z.B. seit Friedrich Schillers ¿Briefe zur Ästhetischen Erziehung des Menschen¿ von 1793 ¿ mit definitivem Kunstbezug einerseits, mit der Betonung von Imagination, Phantasie und zukunftsgestaltender Einbildungskraft, eben auch über Kunst hinaus andrerseits.
Nach Umbrüchen, Neuorientierungen um 1900 und nach 1970 steht Ästhetischer Bildung bzw. kulturell-künstlerischer Bildung post PISA wohl ein neuer Paradigmawechsel bevor: Erziehung/ Balancieren lernen zwischen ¿Sinne und Cyber¿, zwischen ¿first and second life¿: Auch eine neue Auftragslage für Kunstvermittlung? Das ist die Frage, und eigentlich klar: Ja. Aber wie? Das müssen wir neu herausfinden.
Aktuell ist kulturell-künstlerische Bildung durchaus prominent und in aller Munde: Kinder zum Olymp, Offensive Kulturelle Bildung (Rat der Künste Berlin), Kultur und Schule ¿ Künstler in die Schulen (¿Modelland¿ NRW) ¿Kultur macht Schule¿ (BKJ-Bundesmodellprojekt)
Was tun? ¿ so ist, war ja auch die 3. Leitfrage der Documenta 12. Eine vor allem organisatorische Antwort und Voraussetzung ist, auf Kooperation und Vernetzung zugunsten ganzheitlicher lokaler Kultur- und Bildungslandschaften für Kinder und Jugendliche zu setzen. Denn an kulturell-künstlerischem Lernen sind viele Akteure, Orte, Situationen, ineinander verwoben, beteiligt, auch nach dem Motto: Bildung ist mehr als Schule und Unterricht, gerade da, wo es um das ¿Ästhetische¿ geht, das sich zwischen sinnlicher Wahrnehmung und künstlerischer Symbolik spannt. Es geht um die Inszenierung der Lebensumwelt als Erlebnis- und Lernraum, um performative Kunstpräsentationen und um die Chance zu kunstanalogen Erfahrungsformen ¿ wo auch immer, und im weiten Verständnis. Es gilt nun, Kooperation und Vernetzung als aktive und professionelle Gestaltung, gerade für Kunstvermittler und Kulturpädagogen zu begreifen: Netzwerke bilden, Vernetzung als Kunst, Netzwerkgestalten als ¿Arbeit an einer sozialen Plastik¿ (Beuys).
Achtung Redaktionen:
Das Programm finden Sie in der Anlage.
Pressekontakt:
Claudia Miklis / Valeska Schneider, Tel. 0251 5907-330, presse@skulptur-projekte.de und Frank Tafertshofer, Tel. 0251 591-235
presse@lwl.org
Anlagen: Anlage 1: Programm
Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.
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