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Mitteilung vom 04.03.10

Presse-Infos | Kultur

¿Schreibtischtäter¿ und Nationalsozialist der ersten Stunde

LWL gibt Tagebücher von Karl Friedrich Kolbow heraus

Bewertung:

Münster (lwl). Karl Friedrich Kolbow (1899 ¿ 1945), Nationalsozialist der ersten Stunde, war von 1933 bis 1944 als westfälischer Landeshauptmann Verwaltungschef des Provinzialverbandes Westfalen, dem Vorgänger des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Er passte die Jugendhilfe, die Fürsorgeerziehung und die Psychiatrie den rassenideologischen Grundsätzen der Nazis an. Während des Zweiten Weltkrieges war er für die Durchführung der ¿Euthanasie¿ verant-wortlich. Außerdem wurden unter Kolbows Verantwortung in den damaligen Anstalten im sauerländischen Niedermarsberg und in Dortmund-Aplerbeck sogenannte ¿Kinderfachabteilungen¿ eingerichtet, in denen behinderte Kinder ermordet wurden. Um einen Beitrag zur Aufarbeitung dieses dunklen Geschichtskapitels zu leisten, gibt der LWL jetzt die Tagebücher Kolbows heraus, die dieser seit seiner Jugend geführt hat.

¿Mit der Edition der Tagebücher von Landeshauptmann Karl Friedrich Kolbow führt der LWL die Selbstverpflichtung fort, die Geschichte des Provinzialverbandes Westfalen in der Zeit des Nationalsozialismus durch wissenschaftliche Forschungen aufzuklären", so LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Thale bei der Vorstellung der Kolbow-Tagebücher am Mittwoch in Münster. Dabei zeigen wir auch die Verstrickung in eine rassenideologische geprägte Politik auf, um das Schicksal der Opfer des NS-Regimes in Erinnerung zu halten¿.

¿Kolbows Aufzeichnungen offenbaren die Wahrnehmungsperspektive eines ¿Schreibtischtäters`. Mit der Edition steht eine Quelle zur Verfügung, die durch das Insiderwissen des Beamten Einblicke in das innere Gefüge des NS-Herrschaftssystem erlaubt¿, so Martin Dröge vom LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, der die Tagebücher herausgegeben hat.

Hintergrund:
Als das politische Klima nach der Weltkriegsniederlage und den Versailler Verträgen aufgeheizt war, schwenkte Kolbow immer mehr in völkisch-antisemitisches Fahrwasser ein. Schon 1921 trat er mit der Mitgliedsnummer 2.900 der NSDAP bei und war für sie als Werber und Redner aktiv. So wurde er im April 1933 als ¿Alter Kämpfer¿ der Partei Landeshauptmann der Provinz Westfalen obwohl er als gebürtiger Schweriner kein Westfale und kein Jurist war. ¿Kolbow verfolgte als Landeshauptmann von 1933 bis 1944 eine völkisch-rassistische Politik. Er sprach sich ausdrücklich für die Zwangssterilisierung von ¿rassisch Minderwertigen¿ aus. In seiner Anschauung war die Tötung ¿lebensunwerten Lebens¿ eine völkische Pflicht, die aus seiner Perspektive bei nicht lebensfähigen Kindern einen Akt der ¿Humanität¿ darstelle¿, benennt Dröge Kolbows Einstellung zur ¿Euthanasie¿. Unter Kolbows Verantwortung wurden zwischen 1940 und 1943 psychisch Kranke und geistig Behinderte getötet, bei der ¿Euthanasie¿-Aktion starben in Westfalen über 4.500 Patienten.

Im August 1944 kam das abrupte Ende seiner Karriere: Aufgrund eines privaten Briefes, der bei dem ehemaligen westfälischen Oberpräsidenten von Lüninck gefunden wurde, unterstellte man Kolbow eine regimekritische Haltung und schloss ihn aus der NSDAP aus.

Seit Beginn der 1940er Jahre kritisiert er auch in seinen Tagebüchern einige Aspekte des NS-Regimes wie den Drang der Partei nach absoluter Herrschaft und den Zustand, im dem kaum noch offen und ehrlich gesagt werden könne, was man denke und empfinde. ¿Diese Kritik hat Kolbow aber nie öffentlich geäußert und er stand nach wie vor zu den rassenideologischen Grundsätzen des Nationalsozialismus¿, relativiert Dröge. Kolbow starb 1945 als einfacher Soldat in französischer Kriegsgefangenschaft.



Pressekontakt:
Markus Fischer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org



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Karlstr. 33
48147 Münster
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