"Hidden Champions" – die unbekannten Weltmarktführer aus Westfalen

07.04.2022 Christian Hübschen

Kategorie: Wirtschaft

Schlagworte: Westfalen · Hidden Champion

Inhalt

Das Forschungszentrum Mittelstand (FZM) der Universität Trier hat im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes NRW im September 2021 die Studie "Hidden Champions in Nordrhein-Westfalen" durchgeführt. Im Folgenden werden die Ergebnisse dieser Studie aufbereitet und – soweit möglich – auf den Raum Westfalen heruntergebrochen.

Nordrhein-Westfalen gilt mit einem Bruttoinlandprodukt (BIP) von rund 697 Mrd. Euro als das wirtschaftlich stärkste Bundesland in Deutschland – noch vor Bayern (610 Mrd. Euro) und Baden-Württemberg (501 Mrd. Euro). Die wirtschaftliche Stärke von NRW liegt insbesondere in seiner breiten mittelständischen Unternehmensbasis. Die rund 711.600 kleinen und mittleren Unternehmen in NRW gelten als "Zugpferde" der regionalen wie auch der nationalen Wirtschaft, zudem sind sie bedeutende Arbeitgeber. Unter ihnen haben die sog. Hidden Champions einen großen Anteil am wirtschaftlichen Erfolg des Landes. Im Juni 2021 hatten 690 Hidden Champions ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen. In keinem anderen Bundesland gibt es so viele heimliche Weltmarktführer wie hier: Insgesamt stammen 29% – also fast ein Drittel – aller Hidden Champions in Deutschland aus NRW.

Was sind Hidden Champions?

Hidden Champions können anhand der drei Kriterien "Marktführerschaft", "Umsatz" und "Bekanntheitsgrad" identifiziert werden. Demnach gilt ein Unternehmen als Hidden Champion, wenn es 

  1. zu den Top-3-Unternehmen auf dem Weltmarkt zählt oder die Nummer 1 auf einem Kontinent ist,
  2. einen Umsatz von weniger als 5 Mrd. Euro erwirtschaftet und
  3. über einen geringen Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit verfügt.

Grundsätzlich streben die Hidden Champions nach kontinuierlichem Wachstum und umfassender Marktführerschaft, sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht – also der Erstellung einzigartiger Qualitätsprodukte, der Entwicklung zukunftsweisender Innovationen und der Etablierung branchenweiter Standards. Hinzu kommen eine ausgeprägten Exportorientierung, eine hohe Kundennähe und enge Mitarbeiterbeziehungen. Obwohl rund zwei Drittel der Hidden Champions Familienunternehmen sind, ist ihre Konzentration auf internationale Nischenmärkte ein zentrales Unterscheidungsmerkmal zu anderen familiengeführten mittelständischen Betrieben, die vorwiegend regional orientiert sind. Der weitaus größte Teil der Hidden Champions ist in der Rechtsform einer GmbH organisiert (55,22%), danach folgen die GmbH & Co. KG (29,57%) und die AG (7,97%). Beim Umsatz wurden laut der Studie im Jahr 2021 in NRW zwischen 2,08 Mio. Euro und 4,88 Mrd. Euro generiert; im Durchschnitt waren es 265,89 Mio. Euro, wobei jedoch lediglich von 571 der 690 Unternehmen in NRW der Umsatz überhaupt ermittelt werden konnte.

Abb. 1: Hidden Champions in Westfalen – Anzahl, Standorte und Branchen (Quelle: MWIDE NRW/FZM 2021, Tab. A1 u. A2)

Hidden Champions in Westfalen

In Westfalen haben 386 der 690 nord­rhein-westfälischen Hidden Champions ihren Sitz, also eine Mehrheit von 55,9%. Das Durchschnittsalter der Unternehmen beträgt hier fast 90 Jahre (NRW: 85 J.), wobei die Spannweite von 3 bis zu 569 Jahren reicht (s. Beitrag Hübschen). Hinsichtlich der Zahl der Mitarbeitenden sind 29 Betriebe (= 7,5%; NRW: 73 = 10,6%) als Kleinunternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitenden einzuordnen, 190 (= 49,2%; NRW: 325 = 47,1%) als mittlere (< 500 MA) und 167 (= 43,3%; NRW: 292 = 42,3%) als Großunternehmen (≥ 500 MA). Auf ganz NRW bezogen werden durchschnittlich 1.368 Personen pro Unternehmen beschäftigt.

Über vier Fünftel (= 82,9%; NRW: 74%) der westfälischen Hidden Champions lassen sich einer Branche des verarbeitenden Gewerbes zuordnen, wobei die meisten im Maschinenbau (99 Unternehmen = 25,6%; NRW: 161 = 23,3%) tätig sind, gefolgt von der Herstellung von Metallerzeugnissen (55 = 14,2%; NRW: 83 = 12%). 32 Unternehmen (= 8,1%; NRW: 42 = 6,1%) befassen sich mit der Herstellung von elektrischen Ausrüs­tungen, 29 (= 7,4%; NRW: 46 = 6,7%) mit der von Gummi- und Kunststoffwaren. Die Branche der Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen hat mit 22 zugehörigen Unternehmen ebenfalls noch einen nennenswerten Anteil in Westfalen (5,6%; NRW: 38 = 5,5%). Die übrigen Branchen weisen in Westfalen einen Anteil von z.T. deutlich weniger als 5% auf.

Auch wenn hierzulande sehr viele Hidden Champions in den "traditionellen" Branchen des Maschinenbaus und der Metallerzeugung sowie -ver- und -bearbeitung zu finden sind, heißt das im Umkehrschluss jedoch nicht, dass es somit nur wenige in den sog. Hightech-Branchen (Informationstechnologie, Datenverarbeitung, Herstellung von elektronischen und optischen Erzeugnissen etc.) gibt. Dies zeigt sich auch darin, dass in Westfalen immerhin 125 Hidden Champions (= 32,4%; NRW: 206 = 29,9%) sog. F & E-intensive Güter herstellen (F & E = Forschung und Entwicklung).

Bezüglich der Standortverteilung zeigt Abbildung 1, dass viele Hidden Champions in den jeweils branchentypisch traditionellen, ländlichen Räumen dominieren, z.B. sind Unternehmen der Metallerzeugung/-verarbeitung bzw. des Maschinenbaus nach wie vor häufig im Sieger-, Sauer- und (auf rheinländischer Seite) im Bergischen Land anzutreffen (s. Beitrag Krajewski). Auch lassen sich ausgesprochene Hot Spots feststellen – Orte, an denen zehn und mehr Hidden Champions ihren Firmensitz haben. In Westfalen sind das die Städte Bielefeld (19), Hagen und Siegen (je 11) sowie Arnsberg und Ennepetal (je 10). Noch nachdrücklicher zeigt sich die Konzentration bei Betrachtung der Anzahl der Hidden Champions pro 100.000 Einwohner auf der Kreisebene: Hier liegen die vermeintlich ländlichen bzw. peripheren Räume weit vorne, deutlich angeführt von dem Kreis Olpe und dem Hochsauerland-, dem Märkischen Kreis sowie dem Kreis Siegen-Wittgenstein. Die altindustriellen Orte des Ruhrgebietes (u.a. Dortmund, Bochum, Hamm, Kr. Recklinghausen) fallen im Gegenzug zurück, sowohl hinsichtlich der absoluten Zahl der Hidden Champions als auch ihrer Relation zu den Einwohnerzahlen.

Obwohl der Großteil der Hidden Champion nicht der breiten Öffentlichkeit bekannt sein dürfte, so besitzen doch einige aufgrund ihrer Produkte oder medialen Präsenz einen gewissen Bekanntheitsgrad. Hierzu zählen die Unternehmen ABUS (Sicherheitstechnik), Falke (Bekleidung; s. Beitrag Rohleder), Brillux (Farben/Lacke), Claas (Landwirtschaftstechnik), Coppenrath & Wiese (Backwaren), Melitta (Kaffeeprodukte), Emsa (Haushaltswaren), Grohe (Sanitärprodukte), RITZENHOFF (Glaswaren; s. Beitrag Rohleder), Miele & Cie. (Haushaltgeräte; s. Beitrag Lindemann), Vaillant (Heiztechnik), Gelsenwasser (Wasserversorgung) u. v. m.

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Weiterführende Literatur/Quellen

  • MWIDE NRW Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen/Forschungszentrum Mittelstand (FZM) der Universität Trier (Hg.) (2021): Hidden Champions in Nordrhein-Westfalen. Trier (https://www.wirtschaft.nrw/sites/default/files/asset/document/hidden_champions.pdf)
  • http://www.mittelstand.uni-trier.de
  • https://www.westfalen-regional.de/de/falke
  • https://www.westfalen-regional.de/de/familienunternehmen
  • https://www.westfalen-regional.de/de/industrieregion_suedwestfalen
  • https://www.westfalen-regional.de/de/miele
  • https://www.westfalen-regional.de/de/ritzenhoff
  • https://www.wirtschaft-aktuell.de/news/nrw-studie-60-hidden-champions-aus-dem-muensterland

Erstveröffentlichung 2022