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Mitteilung vom 24.08.05

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Fränkische Familie mit ¿heißem Draht¿ zu den Sachsen? ¿ Aktuelle archäologische Funde ab September in der Landesausstellung in Herne

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Dortmund/Herne (lwl). Alle fünf Jahre präsentieren die Fossilienforscher und Archäologen in Nordrhein-Westfalen ihre aktuellen Forschungsergebnisse und die wichtigsten Funde der Öffentlichkeit. In der Landesausstellung ¿Von Anfang an ¿ Archäologie in Nordrhein-Westfalen¿ zeigt das Westfälische Museum für Archäologie in Herne ab dem 23. September über 35.000 Objekte aus 320 Millionen Jahren. Zu sehen sind Exponate vom weltweit größten Saurier-Friedhof im Sauerland bis hin zum Münzschatz aus einem Kriegsgefangenenlager des 1. Weltkriegs, monumentale römische Götterstatuen aus dem Rheinland und die älteste Zahnbürste Europas aus einem ehemaligen Hospital in Minden. Einige der wichtigsten Exponate stellt der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) als Träger des Museums in einer Serie vor.

Südlich des Hellwegs, der alten West-Ost-Verkehrsverbindung, haben Archäologen in Dortmund-Asseln zwei Friedhöfe mit jeweils etwa 30 Gräbern entdeckt. Hier wurden seit der späten römischen Kaiserzeit (4. Jahrhundert n. Chr.) bis in das frühe Mittelalter (7. Jahrhundert n. Chr.) kontinuierlich Tote bestattet. Die Stadtarchäologie Dortmund hatte in den vergangenen zwei Jahren die Gelegenheit zahlreiche dieser Gräber zu untersuchen.

Dabei entdeckten die Archäologen auch ein Grab aus einer Zeitstufe, die bisher in Westfalen nur sehr selten belegt ist: eine völkerwanderungszeitliche Bestattung aus dem 5. Jahrhundert n. Chr. Es war das einzige Körpergrab auf diesem Friedhof, da die anderen Toten verbrannt worden waren. In dem Grab wurden zwei Armbrustfibeln (Anstecknadeln), eine Halskette aus Glasperlen, ein verziertes Bronzearmband und ein gläserner Spitzbecher mit einer Auflage aus roten Glasfäden gefunden. Die Knochen waren nicht mehr erhalten, weshalb die Wissenschaftler nicht sagen können, wer hier bestattet worden war. Die anderen Gräber auf diesem Friedhofsareal stammen aus dem Zeitraum von der späten römischen Kaiserzeit bis in die Völkerwanderungszeit hinein (4. Jahrhundert v. Chr. bis 6. Jahrhundert n. Chr.). Es schloss sich direkt südlich an den Hellweg ¿ die bedeutende von Ost nach West verlaufende Verkehrsverbindung ¿ an.

Spannende Ergebnisse lieferte auch die Untersuchung des zweiten Friedhofes, der nur 500 Meter süd-östlich des ersten lag. Hier wurden schon 1999 drei Gräber aus dem 6. und 7. Jahrhundert n. Chr. entdeckt. In ihnen waren zwei reich ausgestattete Krieger und ein Kind bestattet worden. Erst ab 2004 konnten die Archäologen auch die benachbarten Bestattungen untersuchen. Und tatsächlich kamen direkt neben den Kriegern 30 weitere Gräber zum Vorschein. Auch wenn sich hier ebenfalls nur wenige Knochen von den Skeletten erhalten haben, ließ sich doch erkennen, dass die Grabgruben in West-Ost-Richtung orientiert waren. Damit zeigen sich hier bereits die Einflüsse der Christianisierung.

Das herausragendste Grab dieser neu entdeckten Gruppe ist die Bestattung einer zierlichen, erwachsenen Frau. Sie lag in einem Holzsarg in einer besonders großen Grabgrube und hatte zahlreiche Beigaben für das Jenseits mit in das Grab bekommen: eine bronzene Nadel für das Haar sowie etwa 200 Perlen von einer Halskette und als Besatz von einem Gürtel. An diesem Gürtel war zusätzlich ein reiches Ziergehänge befestigt. Etwas befremdlich mutet ein bearbeiteter Feuerstein an, der der Toten in den Mund gelegt worden war. Außerdem waren in dem Grab eine Spinnwirtel, ein Keramikgefäß und Knochen, die von einer Fleischbeigabe für das Jenseits zeugen. Das herausragendste Fundstück ist jedoch eine fast fünf Zentimeter große Scheibenfibel. Sie besteht aus Silber, das vergoldet wurde und ist mit roten Halbedelsteinen und weißem Glasfluss verziert. Diese Scheibenfibel hielt den Umhang der Frau unter dem Kinn zusammen.

In einem weiteren Grab aus dieser Gruppe ist ein Jugendlicher in einem Baumsarg bestattet worden. Auf seiner Brust befand sich eine Ledertasche mit einem Feuerzeug und neben ihm eine Lanze. An seiner Seite wurde ein junges Mädchen bestattet, das Ketten aus Glasperlen und Bernstein trug. Ihre Angehörigen hatten dem Mädchen ebenfalls ein Keramikgefäß und außerdem die Reste eines Kammes mitgegeben.

Eine Überraschung bot eine nur etwa einen Meter mal 65 Zentimeter große Grabgrube: Zwar fanden die Archäologen keine Knochen, aber sie gehen davon aus, dass hier ein Kleinkind bestattet worden war. Die Verfärbungen im Boden ließen die Wissenschaftler erkennen, dass das Kind in einem Wiegenkorb beerdigt wurde. Auch in diesem Grab fanden sich 44 Glasperlen die von einer Kette stammen und ein Anhänger aus Glas der im Bereich der Beine lag. War dieser Anhänger ein Amulett?

Alle Gräber dieses kleinen Friedhofes scheinen aufeinander bezogen zu sein. Vielleicht waren die Bestatteten die Mitglieder einer Familie die innerhalb von wenigen Generationen gestorben sind. Die Beigaben in diesen Gräbern sind allesamt typisch fränkisch, obwohl die Bestattungen auf dem Gebiet der Sachsen lagen. Die Forscher meinen, dass vieles dafür spricht, in dieser Gruppe eine wohlhabende Familie zu sehen, die dem fränkischen Reich eng verbunden war. Ob durch ihre Herkunft oder durch Heirats- oder Handelsbeziehungen bleibt dagegen Spekulation.

Auch ein Pferde- und ein Hundegrab fanden sich auf diesem Friedhof, dessen Grenzen die Archäologen noch nicht erreicht haben. Das Pferd ist gesattelt in die Erde gekommen. Vor ihm wurden Zaumzeug und eine Glocke niedergelegt. Was diese Beigaben zu bedeuten haben ist ebenso rätselhaft wie die Frage, was sich noch in der Erde verbirgt. Klarheit werden vielleicht die kommenden Untersuchungen bringen.

Die wertvollen Fibeln und die Keramik aus den Gräbern sind in der Landesausstellung ab dem 23. September in Herne zu sehen. Viele von ihnen werden hier das erste Mal der Öffentlichkeit gezeigt. Sie kommen ganz frisch aus den Restaurierungswerkstätten, weshalb sie auch in Köln noch nicht präsentiert werden konnten.
Die beiden Friedhöfe von Dortmund-Asseln gehören auch zu den Themen, die in dem Lehrer-Schüler-Heft behandelt werden, das zu der Ausstellung erschienen ist. Farbige Abbildungen und Hintergrundinformationen erklären hier die Zusammenhänge. Mit den Schülerblättern zum jeweiligen Thema können die Kinder direkt in der Ausstellung arbeiten. So werden sie zum einen an die Geschichte herangeführt und erfahren zum anderen auch etwas über die Arbeitsweisen der Archäologen. Dieses Heft ist zum Preis von vier Euro erhältlich.

¿Von Anfang an ¿ Archäologie in Nordrhein-Westfalen¿
23. September 2005 bis 05. Februar 2006
Westfälisches Museum für Archäologie in Herne, Europaplatz 1
Dienstag, Mittwoch, Freitag 9 bis 17 Uhr
Donnerstag 9 bis 19 Uhr
Samstag, Sonntag 11 bis 18 Uhr
https://www.landesmuseum-herne.de



Pressekontakt:
Markus Fischer, Tel. 0251 591-235 und Jana Sager, Tel. 0251 5907-287
presse@lwl.org




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