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Mitteilung vom 16.08.05

Presse-Infos | Der LWL

Luxus im Lippesand
Aktuelle Funde ab September in der Landesausstellung in Herne

Bewertung:

Hamm/Herne (lwl). Alle fünf Jahre präsentieren die Fossilienforscher und Archäologen in Nordrhein-Westfalen ihre aktuellen Forschungsergebnisse und die wichtigsten Funde der Öffentlichkeit. In der Landesausstellung ¿Von Anfang an ¿ Archäologie in Nordrhein-Westfalen¿ zeigt das Westfälische Museum für Archäologie in Herne ab dem 23. September über 35.000 Objekte aus 320 Millionen Jahren. Zu sehen sind Exponate vom weltweit größten Saurier-Friedhof im Sauerland bis hin zum Münzschatz aus einem Kriegsgefangenenlager des 1. Weltkriegs, monumentale römische Götterstatuen aus dem Rheinland und die älteste Zahnbürste Europas aus einem ehemaligen Hospital in Minden. Einige der wichtigsten Exponate stellt der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) als Träger des Museums in einer Serie vor.

Im Westhafen von Hamm wurden Untersuchungen der Archäologen notwendig, weil dort ein Gewerbegebiet entstehen soll. Innerhalb von zwei Jahren mussten die Fachleute des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) eine Fläche von 4,1 Hektar untersuchen ¿ immerhin die größte zusammenhängende Fläche, die bisher auf Hammer Stadtgebiet vollständig archäologisch untersucht wurde.

Bereits in den 1930er Jahren waren von diesem Platz wiederholt Funde aus der römischen Kaiserzeit (1. Jahrhundert v. Chr. bis 5. Jahrhundert n. Chr.) gemeldet worden, so dass die Forscher vor allem mit Spuren aus dieser Zeit rechneten. Tatsächlich traten dann über 1.000 Jahre Siedlungsgeschichte zutage: Die ältesten Funde, die die Archäologen entdeckten, stammen aus der vorrömischen Eisenzeit (die letzten Jahrhunderte v. Chr.), die jüngsten aus dem Hochmittelalter im 13. Jahrhundert.

Vor allem ein außergewöhnlicher Hof aus dem 11. und 12. Jahrhundert erregte die Aufmerksamkeit der Forscher. Dieser mittelalterliche Hof war ein stattliches Anwesen: Acht große Gebäude, fünf kleine, drei Grubenhäuser, die zum Teil unter der Erde lagen, eine Heuberge zum Heutrocknen und zwei Brunnen sind nach und nach um einen freien Platz herum angelegt worden. Zahlreiche Um- und Neubauten und das reiche Fundmaterial belegen, dass der Hof über einen längeren Zeitraum hinweg bewohnt war.
Auch die Größe des Wohnhauses zeigt, dass es sich hier nicht um eine herkömmliche ländliche Ansiedlung handelte. Mit einer Länge von über 35 Metern und einer maximalen Breite von elf Metern übertrifft es alle bisher bekannten mittelalterlichen Hausgrundrisse dieser Bauweise. Ungewöhnlich ist ebenfalls, dass das Haus an seinem Ostende einen holz-verschalten Keller besaß.

In vielen Gruben und in dem Keller des Wohnhauses lag dicht gepackter Bauschutt. In diesen mittelalterlichen Schuttschichten fanden sich vor allem Keramik und zahlreiche Gegenstände aus Metall wie Schlösser, Lanzen- und Pfeilspitzen, Gürtelschnallen, Türbeschläge und Reiterzubehör ¿ aber auch eine römische Gemme aus dem 1. oder 2. Jahrhundert n. Chr. Da das Schmuckstück der einzige Fund aus römischer Zeit in diesen Schichten war, war sie vermutlich bis ins Mittelalter aufbewahrt und verwendet worden.

Das herausragendeste Fundstück ist aber ein etwa 13 Zentimeter hoher, bronzener Kerzenleuchter in Form eines Hirsches. Derartige Leuchter waren im 11. und 12. Jahrhundert vor allem im belgischen, nordfranzösischen und niederländischen Raum verbreitet. Aus zeitgenössischen Quellen wissen die Fachleute, dass Kerzenlicht zu der damaligen Zeit selbst für den Adel Luxus war. So ist vom norwegischen Königshof bekannt, dass Kerzen im 12. und 13. Jahrhundert nur bei Festen und an Weihnachten angezündet wurden ¿ und selbst dann nur auf besondere Anordnung des Königs selbst.

¿Diese Funde und die Größe des Hofes zeigen, dass es sich hier nicht um einen gewöhnlichen mittelalterlichen Bauernhof gehandelt hat¿, so die LWL-Archäologin Dr. Eva Cichy. ¿Vermutlich haben wir hier einen Meier- oder Herrenhof vor uns, bei dem die großen Nebengebäude der Lagerung von Abgaben in Form von Naturalien gedient haben könnten.¿

Glückspilze waren die Bewohner dieses Hofes trotz ihres Reichtums offenbar nicht: Dicht gepackter Brandschutt in vielen Siedlungsgruben, in einem Grubenhaus und in dem Keller des Wohnhauses zeigt, dass der Hof mehrfach wenigstens teilweise abgebrannt ist. Die Bewohner ließen sich aber nicht entmutigen und errichteten ihn immer wieder an der selben Stelle. Vielleicht wurde ihnen ja ihr Luxus zum Verhängnis und die Feuer entstanden durch die brennenden Kerzen? Für die Archäologen sind diese Brandkatastrophen ein Glücksfall, da sich in den Schuttschichten ungewöhnlich viele Funde erhalten haben.

Interessante Details ließen sich auch an dem jüngeren der beiden Brunnen beobachten. Durch den weichen Sandboden, auf dem die Siedlung liegt, steht das Grundwasser recht hoch und die Wände von Baugruben brechen schnell ein. Mit diesen Problemen hatten offenbar nicht nur die LWL-Ausgräber, sondern auch schon die mittelalterlichen Bauleute zu kämpfen. Um in der zwei Meter tiefen Baugrube für den Brunnen arbeiten zu können, sicherten die damaligen Erbauer die Wände mit einer Verschalung aus Pfosten und dazwischen verlaufendem Flechtwerk. Was während des Baus ein Problem darstellte, freut die Archäologen: Durch das hochstehende Grundwasser befanden sich die Hölzer unter Luftabschluss im Wasser, wodurch sie sich bis heute erhalten haben.

Den Boden des Brunnens verschlossen die Brunnenbauer mit einer Holzplatte. Dies sollte das Eindringen von Sand verhindern. Verschiedene Bearbeitungsspuren an der Holzplatte verraten, dass sie ursprünglich einem anderen Zweck diente: vermutlich handelte es sich um eine Tür oder einen Teil einer Hauswand.

In der Landesausstellung ¿Von Anfang an ¿ Archäologie in Nordrhein-Westfalen¿ sind vom 23. September 2005 bis zum 5. Februar 2006 alle Funde aus der Grabung im Westhafen von Hamm zu sehen.

¿Von Anfang an ¿ Archäologie in Nordrhein-Westfalen¿
23. September 2005 bis 05. Februar 2006
Westfälisches Museum für Archäologie in Herne, Europaplatz 1
Dienstag, Mittwoch, Freitag 9 bis 17 Uhr
Donnerstag 9 bis 19 Uhr
Samstag, Sonntag 11 bis 18 Uhr
https://www.museum-herne.de



Pressekontakt:
Frank Tafertshofer, Tel. 0251 591-235 und Jana Sager, Tel. 0251 5907-287
presse@lwl.org




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