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Mitteilung vom 20.06.12

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Zwischen Boykott und Mega-Event

LWL-Volkskundler auf den Spuren von Abi-Ball und Co.

Bewertung:

Westfalen (lwl). ¿Ich denke einen langen Schlaf zu tun, denn dieser letzten Tage Qual war groß¿ dieses Zitat aus Friedrich Schillers ¿Wallenstein` zierte die Abiturkarte des Wilhelm-Hittorf-Gymnasiums in Münster von 1957. Nach den bestandenen Abiturprüfungen verschickte man bis in die 1950er Jahre hinein solche Karten, um Freunde und Verwandte von der bestandenen Prüfung in Kenntnis zu setzen. ¿Insgeheim hoffte so manch einer wohl, dass die Verwandten ein paar Mark locker machen würden, schließlich war das Abitur noch etwas Besonderes¿, resümmiert Christiane Cantauw, Geschäftsführerin der Volkskundlichen Kommission beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), die die Abiturbräuche in Westfalen erforscht hat.

Wenn auch in etwas schlichteren Rahmen, so wusste man Anfang der 1950er Jahre die Feste durchaus zu feiern. Wie Elisabeth Wansing berichtet, fand die Zeugnisübergabe der Arnsberger Marienschule 1951 in der Turnhalle statt, die mit einfachen Mitteln zu einem Festsaal umgestaltet worden war: ¿Feierliche Musik wechselte sich ab mit Ansprachen und Gedichtvorträgen. Die Rede der Abiturientensprecherin war geprägt von Dankbarkeit und Respekt gegenüber den Lehrern¿. Damit aber nicht genug der Feiern: ¿Als Abschluss aller Feierlichkeiten gab es noch einen Ball in einem Hotel, zu dem wir in männlicher Begleitung erschienen. (...) Diesmal erschienen wir nicht in den schwarzen Abiturkleidern, aber ein weiteres neues Kleid hatte keine von uns. Der Verzehr beschränkte sich auf Getränke, und für die Tanzmusik wurde eine Drei-Mann-Kapelle engagiert. Für heitere Unterhaltung sorgte auch der Inhalt einer umfangreichen Abiturzeitung.¿

Gut 50 Jahre später, im 21. Jahrhundert, stehen die Entlassfeier und der Abi-Ball am Ende einer langen Reihe von Festen, Feiern und Events. ¿Die Entlassfeier hat etwa seit Ende der 1980er Jahren einen sehr gesetzten Charakter¿, konstatiert Sonja Böder von der Volkskundlichen Kommission. ¿Das war aber nicht immer so: In den 1970er Jahren wurden Entlassfeierlichkeiten und Abi-Bälle von vielen Abiturienten als spießig und unzeitgemäß abgelehnt. Viele Schüler ließen sich ihr Zeugnis per Post nach Hause schicken. Sie wären niemals in Festkleidung auf einer Abendveranstaltung erschienen. Und wenn sich Lehrer und Eltern über ein solches respektloses Verhalten aufregten ¿ umso besser!¿

Erst allmählich entwickelte sich wieder so etwas wie eine Festkultur, wobei es Anfang der 1980er Jahre noch keineswegs unüblich war, in Jeans, Turnschuhen und T-Shirt zum Abi-Ball zu erscheinen.

Das wäre für die Abiturientinnen der von den Wissenschaftlern untersuchten fünf Gymnasien in Westfalen undenkbar gewesen. ¿Maniküre, Pediküre, eine aufwändige Frisur, ein tolles Abendkleid und ein großes Abend-Make-up gehören heute für viele zum Abi-Ball einfach dazu¿, stellt Böder fest. Einmal in großer Abendgarderobe über einen roten Teppich in einen Festsaal einmarschieren ¿ das ist für viele Absolventen der Lohn für Angstschweiß und Tränen während der Prüfungen.

¿Auch an den Haupt- und Realschulen wird der Schulabschluss in ähnlicher Form begangen: eine feierliche Zeugnisübergabe, ein Abschlussball und eine Abschlusszeitung gehören auch hier mittlerweile dazu.¿

Das Buch zum Brauch
Mehr über die Feste, Bräuche und Riutale rund ums Abitur erfahren Interessierte in dem Buch ¿Mit Wasserpistole und Ballkleid¿, das beim Ardey-Verlag erschienen ist. ¿Dieses Buch ist das Ergebnis einer volkskundlichen Feldstudie. Wir haben uns an die Fersen von fünf Abiturjahrgängen in Mettingen, Rheine, Iserlohn-Letmathe, Bocholt und Bünde geheftet und versucht herauszufinden, wie heute Abitur gefeiert wird¿, erläutert Cantauw. ¿Wir haben nicht nur heutige Bräuche und Rituale untersucht, sondern auch einen Blick in die Geschichte gewagt, um Entwicklungen und Veränderungen zu beleuchten.¿ Das 151 Seiten umfassende Buch ist mit zahlreichen historischen und aktuellen Fotos angereichert. Es ist zum Preis von Euro 19,90 im Buchhandel erhältlich (ISBN 978-3-87023-267-2).



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