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Mitteilung vom 28.09.11

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Steinzeit-Menschen liebten Schmuck

Forschungssaison an den Großsteingräbern in Erwitte-Schmerlecke geht für dieses Jahr zu Ende

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Olpe (lwl). Es ist eines der größten interdisziplinären Forschungsprojekte zur Jungsteinzeit, das derzeit in Westfalen läuft: Die Erforschung dreier Grabanlagen in der Soester Börde aus der Zeit zwischen 3500 v. Chr. bis 2800 v. Chr. Seit 2009 sind Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), der Westfälischen Wilhelms Universität Münster, Anthropologen der Georg-August-Universität Göttingen und andere Experten dabei, die Gräber bei Erwitte-Schmerlecke bei Soest mit modernsten Methoden auszugraben.

Obwohl die eigentliche Auswertung der Grabungsergebnisse in den folgenden Monaten in den Laboren und Forschungseinrichtungen erfolgt, steht jetzt schon fest: Die Gräber von Erwitte-Schmerlecke sind etwas Besonderes. Nirgendwo sonst in Westfalen-Lippe fand sich in der Vergangenheit so viel Schmuck aus Tierzähnen wie hier.

¿Wir haben in einem der Gräber alleine schon weit über 500 Tierzahnanhänger gefunden ¿ das ist im deutschlandweiten Vergleich außergewöhnlich viel¿, meint Grabungsleiterin Dr. Kerstin Schierhold. Dass mit den Tierzahnanhängern auch Kupferschmuck getragen worden ist, beweist ein grün verfärbter Anhänger ¿ es ist das erste Mal, dass diese Material-Kombination nachgewiesen werde konnte. Die ungewöhnlich zahlreichen Tierzahn-Schmuckfunde können sich die Wissenschaftler bislang noch nicht erklären: ¿Es scheint so, als hätte die Population hier eine ganz besondere Vorliebe für diese Sorte Schmuck gehabt¿, meint LWL-Archäologin Dr. Eva Cichy, ¿ob das Zeichen einer bestimmten Sippen-Zugehörigkeit oder anderen Faktoren zu verdanken ist, das versuchen wir unter anderem in den nächsten Monaten heraus zu bekommen¿.

Denn auch wenn die Ausgrabungen für dieses Jahr enden ¿ die Forschung geht weiter. Mithilfe von DNA- und Isotopen-Analysen versuchen die Wissenschaftler nun herauszufinden, ob die bislang nachgewiesenen circa 78 Bestattungen verwandtschaftliche Beziehungen hatten, und Rückschlüsse auf ihre Herkunft und Ernährungsgewohnheiten zu ziehen. Durch C14-Analysen kann das genaue Alter der Skelette bestimmt werden.

Dass diese Untersuchungen überhaupt möglich sind, verdanken die Forscher vor allem der besonderen Bauweise der Gräber: ¿Die Kalksteinplatten, aus denen die Gräber errichtet wurden, machen das Bodenmilieu besonders reich an Kalk ¿ und das verlangsamt die Knochenzersetzung. So gut erhaltene Skelette wie in Schmerlecke finden wir aus dieser frühen Zeit ganz selten¿, so Dr. Eva Cichy.

Das Forschungsprojekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert und zusammen mit den Kooperationspartnern LWL, Universität Münster und Universität Göttingen durchgeführt.

Hintergrund:
Nahe des kleinen Ortes Schmerlecke liegen insgesamt drei Grabanlagen aus großen Kalksteinplatten der späten Jungsteinzeit. Die Gräber sind 20 beziehungsweise 25 Meter lang und waren zwischen zwei bis über vier Meter breit. In diesen Gemeinschaftsgräbern bestatteten die Menschen ihre Toten über mehrere Jahrhunderte hinweg ¿ eine Sitte, die in der Jungsteinzeit in vielen Teilen Europas verbreitet war. Die Grabanlagen sind in einem sehr unterschiedlichen Zustand: eines wurde im 19. Jahrhundert fast komplett zerstört, ein anderes durch die Bewirtschaftung des Ackers stark beschädigt. Wie viele Bestattungen insgesamt in den Grabanlagen vorliegen, ist noch nicht abschließend bekannt ¿ es könnten bis zu 200 Menschen sein. Es handelt sich nicht um Massen-, sondern um Kollektivgräber, d.h. die Anlagen wurden über Generationen hinweg immer wieder für neue Bestattungen geöffnet.

Die diesjährige Grabungskampagne beschäftigte sich vor allem mit der Freilegung des Kammerinnenraums der am besten erhaltenen Grabanlage. Verglichen mit zeitgleichen Gräbern in Norddeutschland haben die Toten in Schmerlecke zwar wenig Beigaben ¿ die ungewöhnliche Häufung von Tierzahn-Anhängern stellt aus wissenschaftlicher Sicht jedoch ein Novum dar. Zu den bisherigen Funden gehören weiteres Trachtzubehör wie Hälften von Wildtierunterkiefern, Bernsteinperlen und Kupferschmuck, sowie Teile der Jagd- beziehungsweise Arbeitsausrüstung, namentlich Pfeilspitzen und Feuersteinklingen, Knochengeräte wie Meißel und Pfriemen, sowie Felsgesteingeräte wie Beile und Äxte.
Die Untersuchungen sind Teil des Forschungsprojektes zur Hessisch-Westfälischen Megalithik im Schwerpunktprogramm ¿Frühe Monumentalität und soziale Differenzierung¿ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).



Pressekontakt:
Frank Tafertshofer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235 und Eva Masthoff, LWL-Archäologie für Westfalen, Telefon: 0251 591-8920,
presse@lwl.org



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