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Mitteilung vom 12.08.09

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Als die Schultüte noch am Zuckerbaum im Schulkeller wuchs

LWL-Volkskundlerin zum Brauch, den ersten Schultag zu versüßen

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Westfalen (lwl). Am kommenden Dienstag (18.8.) ist es wieder soweit: Im bevölkerungsstärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen öffnen die Schulen für die Erstklässler ihre Pforten. Ausgestattet mit neuen Tornistern und Schultüten in allen erdenklichen Formen und Farben werden tausende "i-Männchen" ihren ersten Schultag absolvieren.
Über die Herkunft ihrer Schultüten werden sich die Schulneulinge am Dienstag wohl keine tieferen Gedanken machen. Sie interessieren sich mehr für den süßen Inhalt. Im 19. Jahrhundert glaubten viele Kinder, die Schultüten stammten von einem "Zuckertütenbaum" im Schulkeller, wie Christiane Cantauw von der Volkskundlichen Kommission für Westfalen beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) berichtet.

In der Regel werden die Schultüten heute am Ende des Kindergartenjahrs von Eltern und Kindern gemeinsam im Kindergarten gebastelt. Schultüten mit allen nur erdenklichen Motiven sind aber auch im Handel erhältlich. Im 19. Jahrhundert wurden die Kinder über die Herkunft der Schultüten eher im Unklaren gelassen. In dem "Zuckertütenbuch für alle Kinder, die zum ersten Mal in die Schule gehen" von 1852 wurde jedenfalls die Vorstellung verbreitet, dass es im Keller der Schule einen Zuckertütenbaum gebe, von dem der Lehrer den braven Schülern eine Tüte abpflücke.

Ein erster Beleg für eine Zuckertüte ist bereits aus dem Jahr 1817 überliefert: Ein Schüler in Jena bekam in diesem Jahr zur Einschulung eine "mächtige Tüte Konfekt". Von Thüringen und Sachsen aus verbreitete sich der neue Brauch der Schultüte allmählich in ganz Deutschland, Österreich und in der deutschsprachigen Schweiz. Aber auch wenn August Nestler in Sachsen bereits 1910 mit der fabrikmäßigen Herstellung von Schultüten begann, so war der neue Brauch noch längst nicht überall bekannt.

"Sinn der Schultüte ist es, den neuen Status des Kindes als Schulkind nach außen hin zu symbolisieren. Außerdem sollte der Inhalt der Tüten ein süßes Trostpflaster für den nun beginnenden strenger geregelten Lebensabschnitt sein", erklärt Cantauw.

Thema Einschulungsalter
Das Alter der Schulneulinge, über das heute seitens der Kultusminister wieder vermehrt diskutiert wird, variierte auch in den vergangenen Jahrhunderten: So wurden viele Kinder im 18. Jahrhundert bereits mit fünf Jahren eingeschult. Hinter der frühen Einschulung stand die Überlegung, dass die Kinder mit fünf Jahren ohnehin noch keine große Hilfe in der Landwirtschaft darstellten. Die allgemeine Schulpflicht für alle Kinder war im Niederstift Münster bereits im 17. Jahrhundert eingeführt worden. 1782 in der "Provisional-Verordnung die Landschulen betreffend" wurde den Eltern noch einmal befohlen, "ihre Kinder ohne Unterscheid des Geschlechts von dem 5ten oder 6ten Jahre ihres Alters bis zu dessen vollendeten 14ten Jahr zur Schule zu schicken". Erst mit vollendetem sechsten Lebensjahr begann für die Kinder im 19. Jahrhundert der "Ernst des Lebens". Für die ländlichen Regionen in Westfalen gab es jedoch eine Ausnahmeregelung: Das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 wurde 1828 per Verfügung dahingehend modifiziert, dass die Schulpflicht hier erst mit dem vollendeten siebten Lebensjahr begann.

Sommer- und Winterschule
Aus Rücksicht auf die Landbevölkerung, die auf die Mithilfe der Kinder angewiesen war, wurde lange Zeit auch zwischen Sommer- und Winterschule unterschieden. Die Sommerschule war zeitlich weniger anspruchsvoll, weil in den Sommermonaten - vor allem in der Erntezeit - mehr Arbeit anfiel als im Winter. In der Zeit von Michaelis bis Ostern, also in den Wintermonaten, gingen die Kinder an den Wochentagen, auch samstags, von 8 bis 11 Uhr und montags, dienstags, donnerstags und freitags noch einmal von 13 bis 16 Uhr zur Schule. Die Stichtagregelung - d.h. die Vorgabe, dass alle Kinder, die am Stichtag ein bestimmtes Alter erreicht haben, eingeschult werden müssen - gibt es seit 1920 (Reichsgrundschulgesetz). Seit 1968 können Eltern auch die vorzeitige Einschulung ihres Kindes beantragen.

Bis 1967 fand die Einschulung und der Beginn des neuen Schuljahrs direkt nach Ostern statt. Mithilfe von sogenannten Kurzschuljahren 1966/1967 gelang die Umstellung auf den Sommertermin, der heute allgemein geläufig ist.



Pressekontakt:
Martin Holzhause, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235
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