LWL-Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Mitteilung vom 13.08.03

Presse-Infos | Der LWL

Hosen zuknöpfen nicht inklusive
Bei der behinderten Erzieherin Nina Hintz lernen Kinder, selbstständig und hilfsbereit zu sein

Bewertung:

Hamm (lwl). Jemanden wie Nina Hintz hatten die Kinder in der Tagesstätte Sylverberg noch nie gesehen. "Hilfe, ein Gespenst!" Ängstlich rannten die beiden kleinen Jungen weg, als die junge Frau ins Zimmer kam, an ihrem ersten Tag als Berufspraktikantin. Dabei hat sie ein freundliches Gesicht, ein fröhliches Lachen und eine warme, unkomplizierte Art, mit Kindern umzugehen. Was Nina aber nicht hat, sind Arme und Beine. Sie sitzt im Rollstuhl, die langen Ärmel ihrer weißen Bluse hängen leer herunter.
Von Geburt an fehlen der 25-Jährigen die Gliedmaßen.

Doch von solchen Reaktionen lässt sich Nina Hintz nicht entmutigen. "Ich habe die beiden Jungs gefragt, wie ein Gespenst aussieht", erzählt sie. "Sie sagten: ,Gespenster sind unsichtbar und können fliegen'. - ,Das kann ich nicht', habe ich geantwortet. Da war das Eis gebrochen." Heute, drei Jahre später, hat in der Kindertagesstätte im Osten von Hamm niemand mehr Angst vor Nina. Heute malen die Kinder Bilder für sie und kommen zu ihr gelaufen, um zu schmusen. Heute ist sie Erzieherin, mit staatlich anerkanntem Abschluss.

Anfang Juni bestand Nina Hintz die Prüfung in der Fachschule für Sozialpädagogik am Westfälischen Berufskolleg Hamm, einer Einrichtung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Ein Erfolg, den sie ihrem Fleiß und ihrem starken Willen verdankt. "Seit der achten Klasse wusste ich, dass ich mich beruflich mit Kindern beschäftigen wollte", erklärt sie. "Obwohl mir viele gesagt haben, ich solle mir das aus dem Kopf schlagen." Selbst ihre Eltern waren skeptisch. Der Berufswunsch ihrer körperbehinderten Tochter, die es auf dem Gymnasium schwer genug hatte, erschien ihnen unrealistisch. Doch Nina biss sich durch, schaffte das Abitur und begann, ihren Traum zu verwirklichen.

Eine Freundin machte sie auf die dreijährige, praxisintegrierte Ausbildung zur Erzieherin am Westfälischen Berufskolleg aufmerksam. Dessen Leiter Heinz-Joachim Büker war von der jungen Frau beeindruckt, sah aber ganz praktische Probleme: "Wie kann sie sich im Unterricht melden? Wie schreibt sie mit? Und, noch wichtiger: Wie ist der Beruf der Erzieherin mit ihrer Behinderung kompatibel?" Denn kleine Kinder wickeln, mit ihnen basteln oder schwimmen - das würde die neue Schülerin nie können. Büker und Nina Hintz wogen das Für und Wider realistisch gegeneinander ab. Dann war beiden klar: "Wir machen das."

Fortan pendelte Nina Hintz täglich mit dem Taxi aus ihrer Heimatstadt Beckum nach Hamm, büffelte zwei Tage pro Woche am LWL-Kolleg und arbeitete ansonsten in der Kindertagesstätte Sylverberg. In ihrer Klasse war sie schnell akzeptiert: Ihre Mitschüler zeigten für sie auf, kopierten Mitschriften, halfen ihr beim Gang auf die Toilette. Doch in der 20-köpfigen Kita-Gruppe, in der sie den berufspraktischen Teil der Ausbildung absolvierte, stieß Nina öfter an ihre Grenzen: "Bei den Hausaufgaben kann ich helfen, beim Hose zuknöpfen nicht."

Inzwischen weiß sie, dass sie diese Schwächen in Stärken ummünzen kann. "Bei mir werden die Kinder eher selbstständig", hat die frisch gebackene Erzieherin festgestellt. "Sie bekommen ein Auge dafür, wo sie helfen können." Ein wichtiger Aspekt für Kolleg-Leiter Büker: "Durch Frau Hintz entwickeln die Kinder ein natürliches Verständnis für Menschen mit Behinderungen." Für die Kita Sylverberg war die körperbehinderte Kollegin eine Premiere - nicht immer reibungslos, aber erfolgreich, betont die stellvertretende Leiterin Cornelia Hinse-Osthoff: "Durch Nina haben bei uns alle dazugewonnen."

Und nach dem Abschluss? Nina Hintz weiß, dass sie es schwer haben wird, mit ihrer Behinderung eine Stelle als Erzieherin zu bekommen. Sie würde gern im Ganztagsbereich arbeiten, "vielleicht an einer Schule für Körperbehinderte, wo ich Eltern und Kinder beraten könnte". Falls das nicht klappt, will Nina Hintz studieren, Sozialpädagogik oder Sozialarbeit. Dass sie dafür bei ihren Eltern ausziehen müsste, schreckt sie nicht: "Wenn ich eine behindertengerechte Wohnung mit Pflegekraft bekäme, wäre das doch toll."

Einfach wird das Leben für Nina Hintz auch weiterhin nicht sein. Aber sie habe es sich auch nicht einfach machen wollen, sagt sie: "Wenn man ein bisschen kämpft, kann man fast alles erreichen."


Das Westfälische Berufskolleg - Fachschulen Hamm
Das Westfälische Berufskolleg - Fachschulen Hamm ist eine Bildungseinrichtung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) für Fort- und Weiterbildung. In den Fachschulen für Sozialpädagogik, Heilerziehungspflege (Vollzeitform - praxisintegriert), Heilpädagogik und Motopädie (Teilzeitform) können staatlich anerkannte Berufsabschlüsse erworben werden. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Fortbildungsangebote. Das Berufskolleg ist innerhalb seines Trägers, des LWL, an das Landesjugendamt angegliedert. Es verfügt über ein eigenes Wohnheim mit 24 Plätzen. Die rund 260 Schülerinnen sowie die Teilnehmer der Fortbildungen kommen aus ganz Westfalen-Lippe. Die meisten bringen bereits Berufserfahrung mit, viele auf sozialen oder pädagogischen Arbeitsfeldern. Die Förderung und Integration von Menschen mit Behinderungen hat für das Westfälische Berufskolleg in allen Bildungsgängen programmatischen Charakter. Damit erfüllt es auch eine der wichtigen Zielsetzungen des LWL.






Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 13.000 Beschäftigten für die 8,5 Millionen Menschen in der Region. Mit seinen 41 Schulen, 17 Krankenhäusern, 17 Museen und als einer der größten Sozialhilfezahler Deutschlands erfüllt der LWL Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, der durch ein Parlament mit 135 Mitgliedern aus den Kommunen kontrolliert wird.




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Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


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Kommentar(e)

Edith21.10.2012 03:59
ich freue mich sehr für Nina,das sie Ihr Leben so super meistert


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