Mitteilung vom 24.10.25
Presse-Infos | Kultur
"Mahlzeit": Essen für die Toten
Die mexikanische Bühnenbildnerin Andrea Barba hat im LWL-Museum für Archäologie und Kultur eine "Ofrenda" aufgebaut
Herne (lwl). Anlässlich der Sonderausstellung "Mahlzeit! Wie Essen uns verbindet" (3.10.2025 bis 13.9.2026) hat die Mexikanerin Andrea Barba im LWL-Museum für Archäologie und Kultur in Herne einen mexikanischen Totenaltar aufgebaut. Als Dreh- und Angelpunkt des Feiertags "Dia de los Muertos" ist er nicht erst seit den Filmen "James Bond 007 - Spectre" oder Pixar`s "Coco" Teil eines popkulturellen Phänomens. Am Familiensonntag (2.11.) vollendet die Künstlerin den Altar - und lädt die Besuchenden ein, Blumen oder ein Symbol der Erinnerung mitzubringen und in den Totenaltar einzubringen. Die Performance "La Ofrenda, ein Ort, an dem Erinnerung schmeckt" beginnt um 17 Uhr.
Im Interview erklärt Barba, warum es sich auch nach dem Tod noch lohnt, den Verstorbenen ihr Lieblingsessen zuzubereiten.
Was ist der "Dia de los Muertos"?
Streng genommen dauert der "Tag der Toten" fast eine ganze Woche. Vom 30. Oktober bis zum 2. November kehren die Toten nach altmexikanischem Glauben aus dem Jenseits zurück. Sie werden dabei angelockt von ihrem Lieblingsessen und dem Duft nach Cempasúchil (als Tagetes oder Studentenblume bekannt). Auf der sogenannten Ofrenda, das heißt so viel wie Altar oder Opfergabe, wird alles kunstvoll aufgebaut - ein sehr liebevolles, aber aufwendiges Ritual.
Wie kam es dazu, dass du dich so intensiv mit dieser Tradition auseinandergesetzt hast?
Ich bin zwar in Wiesbaden geboren, aber meine Eltern kommen beide aus Mexiko. Ich bin auch seit meiner Geburt jedes Jahr dort gewesen. Während meines Modedesign-Studiums habe ich selbst dort gelebt und mich sehr in das Land verliebt. 2017 kam ich zurück und ein Jahr später starb meine Oma. Das war das erste Jahr, in dem ich hier in Deutschland einen Altar aufgebaut habe. Um diese Tradition und meine Familiengeschichte mit den Menschen zu teilen, habe ich von da an jedes Jahr im Theater Oberhausen eine Performance gemacht und mit Musik, Tanz und mexikanischen Spezialitäten dieses bunte Volksfest mit dem Publikum gefeiert.
Welche Bedeutung hat der "Dia de los Muertos" in der mexikanischen Kultur?
Er findet zur gleichen Jahreszeit wie Allerheiligen oder Allerseelen statt. Der "Dia de los Muertos" vermischt Elemente des katholischen Glaubens mit prähispanischen Traditionen, das hat historische Gründe und hängt mit der Besatzung durch die spanischen Kolonisten im 15. Jahrhundert zusammen. Ende Oktober bedeutete für die vorkolonialen Kulturen in Mexiko eine Zeit des Neuanfangs. So geht man bis heute davon aus, dass uns die Seelen der Toten zu dieser Jahreszeit besonders nahe sind. Im Gegensatz zum Totensonntag in Deutschland ist der "Tag der Toten" aber eine fröhliche Feier, die das Leben feiert. Bei den Azteken und anderen prähispanischen Kulturen bedeutet der Tod nicht etwa das Ende, sondern den Übergang in eine neue Lebensphase.
Wie genau wird der "Dia de los Muertos" in Mexiko gefeiert?
Im Mittelpunkt steht die "Ofrenda". Hier nimmt man sich die Zeit, der Ahnen zu gedenken. Der Altar kann zuhause stehen, es gibt ihn aber auch an vielen öffentlichen Orten. Er ist in ungeraden Zahlen aufgebaut und umfasst verschiedene Ebenen. Ansonsten sieht er in Mexiko je nach Region ganz unterschiedlich aus. Gemeinsam ist allen, dass er mit Symbolen und persönlichen Gegenständen der Verstorbenen bestückt wird. Das können Kreuze und Kerzen, Totenschädel aus Zucker oder Fotos und Erinnerungsstücke sein.
Aber auch das Lieblingsessen der Verstorbenen wird platziert und ein Glas Wasser daneben gestellt, weil man davon ausgeht, dass die Verstorbenen nach der langen Reise eine Stärkung brauchen oder durstig sind. Angelockt werden die Ahnen außerdem von dem besonderen Duft der leuchtend orange-gelben Studentenblumen, in Mexiko Cempasúchil genannt. Weil sie in Deutschland nicht in der Pracht und Schönheit zu haben sind, bastle ich sie in Herne aus Seidenpapier nach. Ihr Geruch soll den Ahnen den Weg ins Diesseits weisen, in Herne sind es ersatzweise die leuchtenden Farben. Mit ihnen dekoriert man den ganzen Weg zum Altar. Auch das "Pan de Muerto", das Totenbrot, darf natürlich nicht fehlen. Es duftet nach Orangenblüten und ist rund, um den Zyklus des Lebens zu repräsentieren. Geschmückt wird es mit zwei überkreuzten Reihen an Hefeteig, die wie Knochen aussehen. Als letztes kommt in der Mitte ein Ball aus Hefe, der den Schädel darstellen soll. Alles wird dann mit Puderzucker bestreut.
Und das Essen hält sich?
Das Totenbrot ist natürlich haltbar, auch Früchte sind häufig auf der Ofrenda zu finden. Das Lieblingsgericht der Ahnen wird in Mexiko meist erst am 2. November direkt auf dem Friedhof gegessen, wo man das Fest nach einer feierlichen Prozession ausklingen lässt. Vorher macht man das Grab sauber, dekoriert es und setzt sich schließlich quasi zu dem/der Toten und isst, häufig in großer Runde, wie bei einem Familientreffen.
In Mexiko ist Essen an sich eine sehr präsente kulturelle Angelegenheit. Beim Essen redet man über das Essen, was man isst und essen wird. Entsprechend gehört es ganz selbstverständlich zur Erinnerung an die Verstorbenen dazu. Man gedenkt nicht nur mit Fotos und Objekten der Verstorbenen, sondern auch mit ihrem Lieblingsessen, dass man so nie wieder für sie zubereiten wird. Man bereitet es am Tag der Toten zu ihren Ehren noch einmal zu, und in diesem Akt des Zubereitens und Essens findet die Erinnerung statt. Aber sie ist nicht mit einem Schuldgefühl oder mit Trauer verbunden, sondern eher mit Freude: Schau, wie schön die Fotos, wie schön und bunt die Ofrenda aussehen - ganz wie das Leben.
In Mexiko gehört der Tod einfach zum Leben dazu, als ein Teil dessen, durch den wir alle hindurchmüssen. Deshalb auch die Skelette in feinen Kleidern und großen Hüten, die man als Dekoration auf der Ofrenda findet und die als Film-Figuren den Tag auch außerhalb Mexikos weltweit bekannt gemacht haben. Sie sind als gesellschaftlicher Kommentar zu verstehen: Am Ende des Tages sind wir alle gleich, egal ob reich oder arm, einfach "Calaveras" (Skelette aus Pappmaché, Satz frei zitiert nach José Guadalupe Posada).
Andrea Barba studierte Modedesign in Mexiko und sammelte internationale Erfahrungen in Deutschland, Brasilien, Italien und England, bevor sie 2014 ihren Abschluss machte. Danach arbeitete sie als Kostümbildnerin für freie Theater- und Opernproduktionen in Mexiko und Deutschland. Ab 2017 arbeitete sie am Theater Oberhausen als Kostümassistentin und gelegentlich als Kostümbildnerin für andere Theater und freie Produktionen.
Sonderausstellung "Mahlzeit! Wie Essen uns verbindet" bis 13.9.2026 im LWL-Museum für Archäologie und Kultur in Herne
Gemeinsames Essen ist weit mehr als nur Nahrungsaufnahme. Ob beim königlichen Bankett, der einfachen Bauernmahlzeit, dem familiären Abendessen oder der gemeinsamen Mittagspause - überall offenbaren sich spannende Fragen: Wer sitzt wo? Wer bekommt das beste Stück? Welche Rituale bestimmen das gemeinsame Mahl? Und was verrät das alles über Macht, Zugehörigkeit, gesellschaftlichen Wandel und vor allem Kultur?
Von opulenten Festtafeln und rituellen Speisungen bis hin zu den Herausforderungen der Gegenwart - schnelle Snacks, digitale Ablenkung und der scheinbare Verlust gemeinsamer Rituale - zeigt die neue Sonderausstellung "Mahlzeit!", wie Essen seit Jahrtausenden als sozialer Klebstoff funktioniert.
Mit einem Blick auf rund 120 Exponate und Geschichten lädt das LWL-Museum für Archäologie und Kultur in Herne bis 13.9.2026 dazu ein, die kulturelle Dimension des Essens neu zu entdecken.
Gefördert durch die LWL-Kulturstiftung.
Mehr Infos: http://www.lwl-landesmuseum-herne.de
LWL-Museum für Archäologie und Kultur, Europaplatz 1, 44623 Herne, Tel. 02323 94628-0
Pressekontakt:
Dr. Carolin Steimer, Tel.: 0251 591-3504 und Frank Tafertshofer, Tel.: 0251 591-235
presse@lwl.org
LWL-Einrichtung:
LWL-Museum für Archäologie und Kultur Herne
Westfälisches Landesmuseum
Europaplatz 1
44623 Herne
Karte und Routenplaner
Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.
Der LWL auf Facebook:
https://www.facebook.com/LWL2.0
zur Druckansicht dieser Seite
zu den aktuellen Presse-Infos