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Mitteilung vom 13.05.24

Presse-Infos | Kultur

"Große moralische Fallhöhe"

Kloster Dalheim zeigt Sonderausstellung zu Kirchen und Klöstern im Nationalsozialismus

Bewertung:

Lichtenau (lwl). Waren Kirchen und Klöster Opfer oder Täterinnen, Anhängerinnen oder Gegnerinnen des Nationalsozialismus? Und gibt es eine eindeutige Antwort auf diese Fragen? In einer großangelegten Sonderausstellung ab dem 17. Mai in Lichtenau-Dalheim (Kreis Paderborn) arbeitet das LWL-Landesmuseum für Klosterkultur, Stiftung Kloster Dalheim unter dem Titel "Und vergib uns unsere Schuld? Kirchen und Klöster im Nationalsozialismus" die komplexe Wechselbeziehung von Christentum und Nationalsozialismus für ein breites Publikum auf.

"Die Frage nach dem Verhältnis der christlichen Kirchen und Klöster zum Nationalsozialismus hat eine große moralische Fallhöhe", unterstrich der Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), Dr. Georg Lunemann, am Montag (13.5.) die Relevanz der Schau. Lunemann: "Die Ausstellung mit ihren 200 Exponaten soll Raum für eine schonungslose Begegnung mit der deutschen Vergangenheit geben. Sie versteht sich angesichts gegenwärtiger Herausforderungen auch als Anstoß für eine persönliche Auseinandersetzung mit der Verantwortung jeder und jedes Einzelnen gestern und heute und mündet in der Frage: 'Wie hätte ich gehandelt?'."

Die Ausstellung ist vom 17. Mai 2024 bis 18. Mai 2025 im LWL-Landesmuseum für Klosterkultur (Kreis Paderborn) zu sehen.

Zwischen Kollaboration und Widerstand - zehn Fragen an die deutsche Geschichte
Mit zehn Fragen führt die Ausstellung ihre Besucherinnen und Besucher in die Zeit vor und während des Nationalsozialismus bis in die Nachkriegszeit. Im Spannungsfeld von Kollaboration und Widerstand stellt die Schau dabei kirchliches und christliches Verhalten in den Kontext der Zeit: Sie zeigt die Vorgeschichte des sogenannten "Dritten Reichs" und nimmt das Verhältnis der Nationalsozialisten zum Christentum in den Blick. Sie beleuchtet die Maßnahmen, mit denen das NS-Regime den christlichen Glauben aus dem Alltag zu verdrängen suchte und zeigt zugleich die Verstrickung der christlichen Kirchen und ihrer Anhängerinnen und Anhänger in die nationalsozialistische Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik. Die Bedeutung des christlichen Glaubens für Leitfiguren des Widerstands wie Dietrich Bonhoeffer oder die Geschwister Scholl wird ebenso diskutiert wie die Frage danach, wie die Kirchen heute ihre jeweilige Rolle im sogenannten "Dritten Reich" bewerten.  "Die Ausstellung will ihrem Publikum keine Meinung aufnötigen, wohl aber ermöglichen", betonte Lunemann.

Zwischen institutioneller Verantwortung und individueller Entscheidung
"Erstmals widmet sich eine Ausstellung in diesem Umfang und dieser Komplexität dem Verhältnis der christlichen Kirchen und Klöster zum Nationalsozialismus", erläuterte die Vorstandsvorsitzende der Stiftung Kloster Dalheim und LWL-Kulturdezernentin, Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger. Dem voran ging eine lange Vorbereitungsphase. Führende Experten aus den Bereichen Theologie und Geschichtswissenschaft begleiteten den Prozess. "Dies ist eine wertvolle Expertise und ein großes Privileg für die Ausstellung", so Rüschoff-Parzinger, insbesondere bei einem Thema, das wie wenige emotionsbeladen und zugleich auch in der Fachwissenschaft kontrovers diskutiert werde.

Rüschoff-Parzinger hob den besonderen Ansatz des Museumsteams um Direktor Dr. Ingo Grabowsky und die wissenschaftliche Projektleiterin Carolin Mischer hervor: "Mit seinen kulturhistorischen Ausstellungen profiliert sich das Haus insbesondere durch die Präsentation gesellschaftlich relevanter Themen mit einem Gegenwartsbezug." Die Ausstellung frage zum einen nach der institutionellen Verantwortung der Kirchen. Sie vernachlässige dabei aber nicht die Dimension der individuellen Entscheidung kirchlicher Akteurinnen und Akteure. Mit Beispielen von den "einfachen" Gläubigen über evangelische und katholische Ordensleute und Bischöfe bis hin zum Papst zeige die Schau mögliche Motive für individuelles Handeln oder Nicht-Handeln auf.

Verantwortung und Schuld
Gezeigt werden mehr als 200 Exponate aus Museen, Archiven, Bibliotheken und privaten Sammlungen. Zeitgenössische Plakatkunst, Fotografien und Alltagsgegenstände verdeutlichen, wie die Ideologie des Nationalsozialismus weite Teile der deutschen Gesellschaft durchdrang und auch vor den beiden großen christlichen Kirchen nicht haltmachte. Schriftzeugnisse, Briefe, Tagebücher und Erinnerungsberichte, darunter teils bislang öffentlich nicht gezeigte Dokumente aus den Vatikanischen Archiven, führen das unvorstellbare Leid der Opfer nationalsozialistischer Verbrechen vor Augen.

"Besucherinnen und Besucher begeben sich auf die Spuren von Tätern und Opfern, von Mithelfern und Widerstandskämpferinnen, von Fluchthelfern und Profiteurinnen und werden so zu einer persönlichen Auseinandersetzung mit Themen wie Verantwortung und Schuld angeregt", erläuterte Rüschoff-Parzinger.

Nationalsozialistische Ersatz-Religion
Während sich Hitler zunächst als Freund der Kirchen gab, bezeugen Maßnahmen gegen Ordensleute und Kirchen bald sein Ziel, das Christentum auszuschalten. Ausschlaggebend für die Haltung der Kirchen zum Nationalsozialismus war das Weltbild, das diese neue politische Bewegung prägte: "Antichristliche und antikirchliche Überzeugungen zählten von Beginn an zum nationalsozialistischen Weltbild", erläuterte Museumsdirektor Grabowsky. Radikale Nationalsozialisten entwickelten ein neuheidnisches Brauchtum, das christliche Feste ersetzen sollte. "Einen besonderen Stellenwert besaß dabei beispielsweise das sogenannte "Julfest", das anstelle des christlichen Weihnachtsfests zum Jahresabschluss gefeiert werden sollte", so Grabowsky.

Verstrickung
Zu Beginn der 1930er Jahre war die Lage eindeutig: Evangelische Christen wollten einen anderen Staat. Sie wählten mehrheitlich die Nationalsozialisten. Nach 1933 versuchten die antisemitischen Deutschen Christen, eine rechtsextreme Strömung im Protestantismus, den Glauben an die NS-Weltanschauung anzupassen. Ihr Ziel war eine geeinte Reichskirche, die einen "artgerechten Christusglauben" vertreten sollte. Diese Neupositionierung führte zu Streit innerhalb der evangelischen Kirche. Die evangelische Bewegung der Bekennenden Kirche wehrte sich gegen Gleichschaltungsversuche.

Dagegen lehnte die katholische Kirche den Nationalsozialismus zunächst entschieden ab, arrangierte sich ab 1933 aber mit dem NS-Regime: Das Reichskonkordat, ein Vertrag zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich, sollte das Verhältnis regeln. Doch bald brach die Regierung dessen Bestimmungen. In diesem Kontext widmet sich die Ausstellung auch dem Papst Pius XII. angelasteten Vorwurf, angesichts der Judenverfolgung und Judenvernichtung geschwiegen zu haben.

Und auch das zeigt die Ausstellung: "Unter den Unterstützern des NS-Regimes gab es auch kirchliche Amtsträger und Ordensleute. Diese Kollaborateure verbreiteten nationalsozialistisches Gedankengut oder setzten Zwangsarbeiter ein. Sie waren aber zum Beispiel auch Teil der systematischen Ermordung von Kranken durch das NS-Regime", berichtete Grabowsky.

Widerstand
Öffentlichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus gab es von beiden großen christlichen Kirchen kaum. Er ging vor allem von einzelnen Gläubigen aus und richtete sich meist gegen bestimmte NS-Maßnahmen. Ein Großteil der NS-Widersacher agierten im Verborgenen: Sie hörten feindliche Nachrichtensender oder verteilten Flugblätter gegen das NS-Regime. Auch Hilfe für Verfolgte geschah insgeheim. "Oft war der christliche Glaube der wichtigste Antrieb für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Viele der Christinnen und Christen zahlten mit ihrem eigenen Leben", sagte Grabowsky.

Evangelische Christen im Widerstand stammten meist aus dem Umfeld der Bekennenden Kirche, so auch die Lehrerin Elisabeth Schmitz und der Pastor Martin Niemöller. Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer wurde als Verschwörer verhaftet, weil er mit anderen den politischen Umsturz plante. Auf eine Anordnung Adolf Hitlers hin musste Bonhoeffer am Galgen sterben. Zum katholischen Widerstand kann auch der Münsterische Bischof Clemens August Graf von Galen gezählt werden, der in drei Predigten 1941 öffentlich Kritik an Maßnahmen der NS-Regierung, insbesondere an der Tötung von Kranken und Menschen mit Behinderungen, äußerte. Die Widerstandsgruppe "Weiße Rose" um die Geschwister Hans und Sophie Scholl verteilte seit 1942 Flugblätter gegen den Nationalsozialismus. Sechs ihrer Mitglieder wurden zum Tod verurteilt. Der christliche Glaube motivierte die jungen Leute in ihrem Widerstand.

Waren Kirchen und Klöster auch Opfer des Nationalsozialismus?
Im totalitären, kriegsführenden NS-Staat befanden sich Kirchenvertreter und Ordensleute in einer besonders bedrohlichen Lage: Ihr Glaube und Einfluss behinderten eine Regierung, die allein das Denken der Deutschen lenken wollte. Die Meinungs- und Pressefreiheit war eingeschränkt. Kirchen- und Ordensleute wurden streng  von der Geheimen Staatspolizei beobachtet und zum Angriffspunkt öffentlicher Hetze. Christen jüdischer Herkunft und die Zeugen Jehovas verfolgte das NS-Regime systematisch und brutal.

Aufarbeitung
Nach Kriegsende grenzten sich Kirchen und Klöster vom Nationalsozialismus ab. Auch die Mehrheit der Bevölkerung sah die Kirchen als Opfer und Gegner des ehemaligen Regimes. Die kritische Aufarbeitung setzte erst in den 1960ern ein und ist ein bis heute fortdauernder Prozess.

Dazu gehört die Auseinandersetzung mit Schuld, die Kirchenvertreter schrittweise eingestehen.

Förderer
Gefördert wird die Schau im Kloster Dalheim von der LWL-Kulturstiftung, dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und der Kulturstiftung der Westfälischen Provinzial Versicherung.

Die zehn Leitfragen der Ausstellung
- Wie ist die Lage in Deutschland vor 1933?
- Wie hielten es Nationalsozialisten mit dem Christentum?
- Hat das evangelische Deutschland den Nationalsozialismus unterstützt?
- War die katholische Kirche Gegner oder Partner des Nationalsozialismus?
- Hat der Papst geschwiegen?
- Waren die Kirchen und Klöster auch Opfer des Regimes?
- Widerwille, Widerspruch, Widerstand?
- Konsens, Kooperation, Mittäterschaft?
- Wie christlich ist der Antisemitismus?
- Vergeben und Vergessen?

Eröffnungswochenende
Öffentliche Führungen gehen am 18. und 19. Mai jeweils um 13.30, 15 und 16.30 Uhr durch die Sonderausstellung. Im Rahmen des Internationalen Museumstags ist der Eintritt in das Museum am 19. Mai (Sonntag) frei.

Programme für Schulklassen
Unter dem Titel "Widerstand zwecklos? Die Rolle der Kirchen im Nationalsozialismus" bereitet ein Programm für die Schulklassen 9 bis 13 die Inhalte der Ausstellung für Schülerinnen und Schüler auf.  Anhand konkreter Biographien erarbeiten die Jugendlichen den historischen Sachverhalt und entwickeln eine eigene Haltung zum Umgang mit Verantwortung und Schuld - damals wie heute.

Anknüpfungspunkte bieten sich für die Fächer Geschichte, Politik, Gesellschaftslehre, evangelische und katholische Religion sowie Deutsch. Das museumspädagogische Angebot bezieht sich auf die in verschiedenen Lehrplänen geforderten Kompetenzorientierung. Soziale und rhetorische Kompetenzen werden ebenso gefördert wie die methodische Auseinandersetzung mit originalen Zeugnissen der Vergangenheit.

Schulklassenprogramme können dienstags bis freitags von 10 bis 15 Uhr unter Telefon (0 52 92) 93 19-225 oder per E-Mail unter besucherservice.dalheim@lwl.org gebucht werden.

Die Kosten für das ca. 2-stündige Programm liegen bei 60 Euro.

Freier Eintritt für Kinder und Jugendliche
Kinder und Jugendliche haben freien Eintritt in alle Museen des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe. 

Mit dem "LWL-Mobilitätsfonds" werden Schulen und Kitas aus Westfalen-Lippe bei der Anreise ins Museum mit Bus und Bahn unterstützt. Informationen gibt es unter Tel. 05292 93 19-225 (Di.-Fr. 10-15 Uhr) oder https://www.mobilitaetsfonds.lwl.org.

Katalog
Zur Ausstellung erscheint ein rund 130-seitiger Begleitband im Verlag Schnell und Steiner. Renommierte Historikerinnen, Theologen und Politologen diskutieren anhand von zehn Fragen erstmals umfassend das komplexe Verhältnis der christlichen Kirchen und Klöster zum Nationalsozialismus.

Der Begleitband (ISBN 978-3-7954-3902-6) kostet 19,95 Euro und ist im Dalheimer Klosterladen sowie im Buchhandel zu erwerben.

Vortragsreihe
Die Ausstellung wird von einer Vortragsreihe begleitet. Den Auftakt macht am 8. September (So, 11.30 Uhr) der Historiker Prof. Dr. Olaf Blaschke (Universität Münster). Unter dem Titel "Kirchlicher Widerstand und kirchliche Kooperation im Nationalsozialismus" fragt er nach Positionen, die Bischöfe und Gläubige in der katholischen und in den evangelischen Kirchen seit 1933 zum Nationalsozialismus und zum NS-Regime eingenommen haben.

Die Teilnahme an den Vorträgen ist frei.

Weitere Vorträge werden sukzessive auf der Internet-Seite des Museums bekannt gegeben.

Führungen für Einzelgäste
Öffentliche Führungen gehen sonn- und feiertags ab 15 Uhr durch die Sonderausstellung (Teilnahmegebühr pro Erwachsenem: 3 Euro zzgl. Museumseintritt).

Führungen für Gruppen durch die Sonderausstellung, durch die Klostergärten und die Klosteranlage können dienstags bis freitags von 10 bis 15 Uhr unter Telefon (0 52 92) 93 19-225 oder per E-Mail unter besucherservice.dalheim@lwl.org gebucht werden.

Informationen zur Ausstellung sowie das gesamte Begleitprogramm unter http://www.stiftung-kloster-dalheim.lwl.org


Sonderausstellung "Und vergib uns unsere Schuld? Kirchen und Klöster im Nationalsozialismus"
Laufzeit: 17. Mai 2024 - 18. Mai 2025
Öffnungszeit: täglich außer montags 10-18 Uhr
ganzjährig geöffnet außer 24., 25. und 31.12.

Eintrittspreise
Erwachsene: 10 Euro, ermäßigt: 5 Euro
Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre: Eintritt frei
Gruppen ab 16 P.: 8 Euro p.P.
Gruppenführungen ab 45 Euro


Kontakt
Stiftung Kloster Dalheim. LWL-Landesmuseum für Klosterkultur
Am Kloster 9, 33165 Lichtenau-Dalheim
kloster-dalheim@lwl.org



Pressekontakt:
Frank Tafertshofer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235 und Maria Tillmann, Stiftung Kloster Dalheim - LWL-Landesmuseum für Klosterkultur, Telefon: 05292 9319-114, maria.tillmann@lwl.org
presse@lwl.org



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Am Kloster 9
33165 Lichtenau-Dalheim
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Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


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