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Mitteilung vom 03.10.19

Presse-Infos | Jugend und Schule

Zum Weltlehrertag

Gehörloser Förderschullehrer ist Vorbild für Kinder an der LWL-Münsterlandschule

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Münster (lwl). "Wer kennt die Antwort?", fragt Förderschullehrer Jahan Daschty in die Schülerrunde der Klasse 7. Schüler Lukas überlegt kurz, greift nach dem fingergroßen Mikrofon und spricht leise seine Antwort hinein. In den lautsprachorientierten Klassen der Münsterlandschule des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) läuft der Unterricht über drahtlose Signalübertragungsanlagen, sogenannte FM-Anlagen, die die Stimme des Lehrers sowie die der Schüler in Form von Ultrakurzwellen an Audioschuhe, die an die Hörgeräte gesteckt werden, sendet. Jahan Daschty ist wie seine Schülerinnen hörgeschädigt und ging früher selbst zur Förderschule. Heute ist er Inspiration für seine Schüler und motiviert sie zu außerge-wöhnlichen Projekten. Zum Weltlehrertag am Samstag (5.10.) gibt der Sonderpädagoge einen Einblick in seinen Schulalltag.

Jahan Daschty rückt das Blatt Papier unter der Dokumentenkamera gerade, sodass alle Schüler an der Projektionswand die Begriffe mitlesen können, die er in die Lücken des Textes einsetzt. Auf dem Plan steht Englischunterricht, obwohl Daschtys eigentliche Fächer Deutsch und Sozialwissenschaften sind, die er neben der Sonderpädagogik in Köln studiert und 2014 mit dem Referendariat an der Münsterlandschule beendet hat.

Der 33-jährige Förderschullehrer hatte recht früh eine Vorstellung davon, was er beruflich machen möchte: Er wollte mit Jugendlichen zusammenarbeiten und ihnen mit seiner Höreinschränkung ein Vorbild sein. Der Lehrerberuf bot ihm diese Möglichkeit. Der Pädagoge Daschty selbst ist von Geburt an nahezu gehörlos und schon als Kind durch Hörgeräteunterstützung mit Lautsprache aufgewachsen. Mit 16 Jahren lernte er die Gebärdensprache, weil er sich mit seinen Freunden aus der Schule austauschen wollte. Vor sechs Jahren entschied er sich dann für eine implantierte Hörprothese, ein so genanntes Cochlea-Implantat. Im Unterschied zu Hörgeräten, die die Lautstärke von Geräuschen erhöhen, übernehmen Cochlea-Implantate die Funktion der beschädigten Teile des Innenohrs (der Cochlea). Mithilfe des Implantats war es ihm möglich, das Hörvermögen in Ansätzen wieder herzustellen. Selbst hatte er in seiner eigenen Schulzeit nur hörende Lehrerinnen gehabt und kann sich sehr gut in die jungen Menschen hineinversetzen, wie es ist, mit einer Hörbeeinträchtigung zu leben. "Es gibt leider das Vorurteil, dass Gehörlose minderbegabt seien. Aber ein Gehörloser kann genauso gute Lösungsansätze haben wie jemand, der hört", sagt Daschty. Mancher Schulstoff würde von den Schülern nur etwas kleinschrittiger erarbeitet, was wiederum mehr Zeit für das Verständnis benötige, so Daschty weiter.

Der Unterricht in der Münsterlandschule findet in den Klassen mit gehörlosen, gebärdensprachorientierten Kindern und Jugendlichen in Deutscher Gebärdensprache (DGS) statt. In Klassen mit lautsprachorientierten Schülerinnen unterstützen lautsprachbegleitende Gebärden, die zeitgleich zu jedem gesprochenen Wort ausgeführt werden, die Kommunikation.

Im Unterricht kommen auch sehr häufig digitale Medien zum Einsatz, mit denen die Schüler experimentieren dürfen. Erst im letzten Jahr nahm die Klasse an einem Wettbewerb teil, bei dem sie mit ihren selbstgemachten Videos den ersten Platz belegte. Neben der Gruppenarbeit baut der Lehrer aber auch immer wieder Elemente der Einzelarbeit ein. "Die Hörpausen während der Einzelarbeit können die Ohren der Schüler zwischendurch akustisch etwas entlasten", so der Lehrer. Passgenau zum Stichwort Pause blinkt die Pausenglocke über der Tafel. "Und jetzt haben nicht nur unsere Ohren eine Pause verdient", sagt Daschty lächelnd und lässt die Klasse in die Pause gehen.


Drei Fragen an Jahan Daschty

Reichen gehörlosen Menschen die Untertitel beim Filmeschauen aus?
"Gehörlose können zwar Untertitel lesen, aber es fällt ihnen schwer, die Inhalte des Films und ihren Sinn richtig zu erfassen. Sie haben kein Gefühl für die Lautsprache. Ihre Muttersprache ist die Gebärdensprache und es braucht vor allem Gestik und Mimik, um den Inhalt und die Intention eines Textes zu erfassen."

Denkt ein Gehörloser anders als ein Hörender, wenn er Worte noch nie ausgesprochen gehört hat?
"Die Gebärdensprache hat eine andere Grammatik und Satzstruktur als die Lautsprache, aber man kann alle Inhalte auch gebärdensprachlich ausdrücken, sie ist eine vollwertige Sprache und das Denken ist somit nicht beschränkt. Alle Gedanken, Wünsche und Äußerungen können genauso vielfältig und differenziert ausgedrückt werden, wie die gehörlose Person es sich wünscht. In der Gebärdensprache werden zum Beispiel einige Wörter weggelassen. Außerdem ist die Reihenfolge der Wörter eine andere, zum Beispiel steht das Verb in der Informationsket-te ganz hinten. Die deutsche Gebärdensprache unterscheidet sich auch nochmal von denen anderer Länder."

Was empfehlen Sie Eltern von hörbehinderten Kindern, damit deren Entwicklung positiv verläuft?
"Wichtig finde ich es, dass die Eltern die Kommunikation akzeptieren, die ihr gehörloses Kind bevorzugt, und nicht versuchen, es auf Normalität zu trimmen. Eltern sollten dem Kind nichts verbieten, sondern sich ihm anpassen und, wenn möglich, die Gebärdensprache erlernen."


Hintergrund: Cochlea-Implantate

Cochlea-Implantate (CI) bedeuten für gehörlos geborene Kinder die Möglichkeit, Lautsprache zu lernen und für viele spätertaubte Patienten eine enorme Verbesserung der Lebensqualität. Im Unterschied zu Hörgeräten, die die Lautstärke von Geräuschen erhöhen, übernehmen Coch-lea-Implantate die Funktion der beschädigten Teile des Innenohrs (der Cochlea). Die elektroni-sche Hörprothese besteht aus zwei Bauteilen: Das externe (äußere) Bauteil setzt sich aus einem batteriebetriebenem Sprachprozessor mit Mikrofon zusammen und befindet sich hinter der Ohrmuschel. Das in den Schläfenknochen eingesetzte innere Bauteil umfasst eine Empfänger-spule und Elektroden, die bis in die Hörschnecke des Innenohres reichen. Äußeres und inneres Bauteil stehen drahtlos miteinander in Verbindung: Magnete übernehmen per Induktion die Stromversorgung des inneren Bauteils. Ultrakurzwellen übertragen die codierten Schallsignale. Es entsteht eine Hörwahrnehmung. Quelle: Deutscher Schwerhörigenbund e.V.



Pressekontakt:
Sarah Rütershoff, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-5400, presse@lwl.org
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