Mitteilung vom 30.01.18
Presse-Infos | Psychiatrie
Weniger Zwang in der Psychiatrie durch eigenen Standard
Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) entwickelt Leitlinie für freiheitsentziehende Maßnahmen in seinen Kliniken
Münster (lwl). Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt derzeit über die Fixierung von Patienten in psychiatrischen Kliniken. Es geht dabei um zwei Verfassungsbeschwerden von Patienten aus Bayern und Baden-Württemberg, die aufgrund von langzeitigen Fixierungen in Psychiatrien ihr Grundrecht auf Freiheit verletzt sehen.
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) beschäftigt sich bereits seit längerer Zeit mit dem Thema der sogenannten freiheitsentziehende Maßnahmen (feM) in der Psychiatrie.
Die Balance zu finden zwischen Persönlichkeits- und Freiheitsrechten einerseits und dem notwendigen Schutzauftrag für die Gesellschaft andererseits - diesem Ziele hat sich der LWL verschrieben. Zum einen bereits bei der Novellierung des NRW-Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) im Jahr 2017. Hier hat sich der LWL-PsychiatrieVerbund mit seiner Kompetenz und eigenen Stellungnahmen bei der Novellierung eingebracht.
Zum anderen mit der Entwicklung einer eigenen Leitlinie für die Einrichtungen der Erwach-senenpsychiatrie im LWL-PsychiatrieVerbund: dem neuen "LWL-Standard zur Vermeidung, Anwendung und Dokumentation von freiheitsentziehenden Maßnahmen und Zwangsbehandlungen in der Psychiatrie".
LWL-Krankenhausdezernent Prof. Dr. Meinolf Noeker beantwortet Fragen zu diesem neuen Standard im LWL-PsychiatrieVerbund:
Warum benötigt der LWL einen eignen Standard? Reichen rechtliche Bestimmungen nicht aus?
Noeker: "Auch eine gute Straßenverkehrsordnung garantiert alleine noch keine niedrigen Unfallzahlen. Übertragen auf den LWL-Standard feM heißt das: Gesetze und Rechtsprechung setzen den Rahmen, der LWL-Standard definiert unsere ethischen und fachlichen Haltungen und steigert noch einmal unsere Alltagskompetenz in Krisensituationen."
Welche ethischen und fachlichen Haltungen sind das?
Noeker: "Wir sind willens, Zwang so weit wie möglich entbehrlich zu machen. Diese Position schließt übrigens auch ein, zur Anwendung von freiheitseinschränkenden Maßnahmen 'zu stehen', wenn diese rechtlich, psychiatrisch-fachlich und ethisch unausweichlich sind, um einer akuten Bedrohung zu begegnen, die anders nicht abgewendet werden kann. Aber auch dann können wir die Folgen für die Patienten deutlich lindern. Fixierungen sollen nur dann angewendet werden, solange eine Gefährdung nicht durch mildere Maßnahmen abgewendet werden kann. Ein qualifizierter Therapeut steht dem Patienten ständig bei und ist immer ansprechbar. Das Risiko einer Traumatisierung durch eine Fixierung hängt nämlich stark davon ab, ob der Patient diese als Übergriff und Willkür oder vielmehr als schützend gemeinte Nothilfemaßnahme interpretiert."
Welche Maßnahme sieht der LWL-Standard hier vor?
Noeker: Der LWL-Standard sieht zum Beispiel immer die ärztliche Anordnung einer frei-heitsentziehenden Maßnahme und zugleich die zeitliche Befristung der Maßnahme durch einen Arzt vor. Jede Fixierung wird dokumentiert und kontinuierlich überprüft. Der LWL-Standard enthält auch die Verpflichtung, Fixierungen im Nachhinein mit dem Patienten durchzusprechen. Man rekonstruiert gemeinsam, wer warum wie gehandelt hat und entwickelt so - hoffentlich - wechselseitiges Verständnis. Manchmal entdeckt man gemeinsame Wege, wie zukünftige Krisensituationen auf weniger einschneidende Weise entschärft wer-den können. Die vereinbart man dann. So festigt sich auch über Ausnahmesituationen Vertrauen."
Wie kann die Handreichung in Krisensituationen helfen?
Noeker: "Sicher nicht, indem man in der Akutkrise erst noch einmal nachschaut, welche Empfehlung der LWL-Standard nun geben würde. Richtiges Reagieren muss in Fleisch und Blut übergehen. Der LWL-Standard muss gelesen und verinnerlicht werden, so dass er spontan abrufbar ist. Krisensituationen müssen nicht nur mit dem Patienten nachbesprochen werden, sondern auch innerhalb des Mitarbeiterteams."
Das Buch:
Jakov Gather, Meinolf Noeker, Georg Juckel (Hrsg.): LWL-Standard zur Vermeidung, An-wendung und Dokumentation von freiheitsentziehenden Maßnahmen und Zwangsbe-handlungen in der Psychiatrie. Lengerich 2017. Pabst Science Publishers. ISBN 978-3-95853-352-3
Pressekontakt:
Thorsten Fechtner, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org
Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.
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