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Mitteilung vom 17.05.17

Presse-Infos | Maßregelvollzug

LWL-Dezernent beklagt Fehlplatzierungen in forensischen Suchtkliniken

Hollweg: "Bedenkliche Entwicklung erfordert Überarbeitung des StGB-Paragrafen"

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Dortmund/Münster (lwl). "Im Maßregelvollzug landen zu schnell und zu viele Straftäter, bei denen ein Suchtproblem mit Alkohol oder Drogen die begangenen Delikte nur vordergründig beeinflusst hat. Für primär kriminelle und voll schuldfähige, aber kaum therapiebereite Täter ist hier die Schleuse zu weit offen." Das kritisiert LWL-Maßregelvollzugsdezernent Tilmann Hollweg. Bei der Eröffnung der Fachtagung "Maßregelvollzug und Sucht" von LWL und der Arbeiterwohlfahrt Hagen/Märkischer Kreis am Mittwoch (17.5.) in Dortmund belegte Hollweg die Entwicklung mit Zahlen: Allein in den beiden forensischen Suchtfachkliniken des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Stemwede-Haldem und Marsberg sei die Zahl der gerichtlich angeordneten Zuweisungen in den vergangenen zehn Jahren um 85 Prozent gestiegen - von 132 in 2007 auf 245 Patienten in 2016.

"Ein Jahrzehnt nach der bundesweiten Reform des Unterbringungsparagrafen für Suchtkranke im Maßregelvollzug stellen wir fest: Das Hauptziel einer besseren Nutzung der Platzkapazitäten ist in sein Gegenteil umgeschlagen. Wir brauchen dringend engere gesetzliche Zugangsregelungen", sagte Hollweg. Denn: Fehlplatzierungen verschärften nicht nur den Belegungsdruck allgemein in den Forensik-Kliniken, sie brächten zunehmend auch therapeutisch-atmosphärische Probleme auf die Stationen, so der Chef von sechs westfälischen Maßregelvollzugseinrichtungen weiter. Darin werden nach aktuellem Stand insgesamt ca. 1.200 Patienten unter gesicherten Bedingungen behandelt. 444 von ihnen sind nach dem 'Suchtparagrafen' 64 des Strafgesetzbuches (StGB) untergebracht.

Vor gut hundert Fachleuten forderte der LWL-Dezernent eine grundlegende Überarbeitung des Paragrafen 64 StGB. Die Gerichte müssten wieder in erster Linie originär Suchtkranke in den Maßregelvollzug einweisen, um den bedenklichen Hauptgrund für Fehlentwicklungen zu beseitigen: Der Anteil der Patienten, die vom Gericht als voll schuldfähig eingestuft worden sind und dennoch in eine Suchtklinik des Maßregelvollzuges eingewiesen werden, habe sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdreifacht - von18 Prozent im Jahr 2007 auf aktuell 56 Prozent. "Hier haben es die Ärzte und Therapeuten zunehmend mit vorwiegend kriminellen Menschen zu tun, die nebenher auch Suchtmittel konsumieren", sagte Hollweg, "aber nicht mehr mit den klassischen Suchtpatienten, die mit einiger Wahrscheinlichkeit erfolgreich behandelt werden können."

Entsprechend hoch sei die Abbrecherquote: Bei rund der Hälfte aller Suchtpatienten im LWL-Maßregelvollzug werde inzwischen die Behandlung wegen Aussichtslosigkeit abgebrochen. Das gelte auch bundesweit. "Wenn die Patienten erkennbar keine Motivation haben, sich auf eine Therapie einzulassen, ist die Behandlung meist von vorneherein zum Scheitern verurteilt", erklärte Hollweg. Dann gingen die Patienten zur Verbüßung der Reststrafe zurück ins Gefängnis. "Die Gerichte brauchen wieder eine Grundlage, um die konkreten Erfolgsaussichten bei der Zuweisung von suchtkranken Rechtsbrechern in den Maßregelvollzug stärker als Maßstab zu nehmen", forderte Hollweg. Sonst führe die zu weite Schleuse ins "Nirgendwo aus erneuter Straffälligkeit und weiterer Unterbringung."

Hintergrund:
Zwei forensische LWL-Kliniken sind speziell auf die Behandlung von suchtkranken Straffälligen ausgerichtet: die LWL-Maßregelvollzugsklinik Schloss Haldem in Stemwede und das LWL-Therapiezentrum für Forensische Psychiatrie Marsberg. Aufgrund der hohen Zuweisungszahlen halten inzwischen auch die forensischen LWL-Kliniken in Herne, Dortmund und Lippstadt Behandlungsangebote für suchtkranke Patienten vor.

2007 wurde mit dem Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Unterbringung von suchtkranken Rechtbrechern nach § 64 StGB reformiert. Die Reform sollte bewirken, dass die Kapazitäten des Maßregelvollzugs besser und zielgerichteter genutzt werden und die Zuweisungen abnehmen.



Pressekontakt:
Petra Schulte-Fischedick, LWL-Maßregelvollzug, Telefon: 0231 4503-4100 und Karl G. Donath, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org




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Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


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