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Mitteilung vom 14.06.16

Presse-Infos | Kultur

Zwischen Ungewissheit und Zuversicht

LWL zeigt Ausstellung über polnische Displaced Persons auf der Zeche Hannover

Bewertung:

Bochum (lwl). Knapp eine Million ehemalige polnische Zwangsarbeiter, Häftlinge und Kriegsgefangene lebten nach Ende des Zweiten Weltkriegs als sogenannte ¿Displaced Persons¿ (DPs) in Sammelunterkünften in den westlichen Besatzungszonen. Ihnen widmet der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) unter dem Titel ¿Zwischen Ungewissheit und Zuversicht. Polnische Displaced Persons in Deutschland 1945 und 1955¿ eine neue Ausstellung. Die zweisprachige Schau ist vom 17. Juni bis 30. Oktober im LWL-Industriemuseum Zeche Hannover in Bochum zu sehen.

¿Die Geschichte der DPs ist ein bisher wenig beachtetes Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte. Unsere Ausstellung gibt erstmals einen umfassenden Einblick in den Alltag, die Kunst und die Kultur dieser ¿heimatlosen Ausländer`, wie sie später genannt wurden. Sie haben trotz der herrschenden Knappheit und Ungewissheit über ihr weiteres Schicksal ein bemerkenswertes und vielfältiges Kulturleben in den Camps und Lagern entwickelt¿, sagte LWL-Direktor Matthias Löb am Dienstag (14.6.) in Bochum.

Mit Dokumenten, Fotos und Videointerviews wirft die Ausstellung ein Licht auf dieses kaum bekannte Stück deutsch-polnischer Geschichte. Löb: ¿Wir stellen die Menschen nicht als passive Opfer der Geschichte, sondern als aktive Menschen, die in den vorgegebenen Grenzen ihr Leben gestalteten, in den Vordergrund.¿ Die Ausstellung des LWL-Industriemuseums nimmt genau diesen Blick ein: ¿Es ist beachtlich, mit welcher Energie, Effizienz und Kreativität die in den Camps und Lagern festsitzenden Menschen ihren Alltag organisierten, Komitees, Organisationen und Netzwerke ins Leben riefen und ihr Leben mit allen Mitteln der Kunst gestalteten¿, sagte der LWL-Direktor. So fanden bereits 1945 erste Kunstausstellungen statt, die von der Landschaftsmalerei bis zur Verarbeitung des Schreckens der Konzentrationslager eine beachtliche Bandbreite zeigten.

¿Die Ausstellung ist äußerst aktuell: Viele Deutsche standen den DPs damals distanziert gegenüber. Überkommene Stereotype und Bewertungen als ¿minderwertige Menschen` hielten sich auch nach Kriegsende hartnäckig. Berichte über Kriminalität verstärkten die Ablehnung¿, erklärte Löb weiter. ¿Diese beunruhigende Entwicklung kennen wir aus der aktuellen Flüchtlingsdiskussion. Hier kann jeder Besucher aktuelle Bezüge entdecken.¿

Dirk Zache, Direktor des LWL-Industriemuseums, hob die Zusammenarbeit mit ehemaligen polnischen DPs hervor: ¿Dem Ausstellungsteam ist es gelungen, Zeitzeugen zu finden, die mit ihren Erlebnissen, Erinnerungen und Leihgaben die Präsentation mitgestaltet haben¿. Dabei spannt sich der Bogen über mehrere Generationen und zeigt damit auch die unterschiedlichen Formen von Erinnerung und Tradition.

Bereichert wurde das Projekt auch durch die Kooperation mit der ¿Porta Polonica¿, der beim LWL-Industriemuseum angesiedelten und vom Bund finanzierten Dokumentationsstelle zur Geschichte und Kultur der Polen in Deutschland. Zache: ¿So konnten die vielfältigen und verschlungenen Migrationswege in den Blick genommen und die Perspektive auf ganz Deutschland gerichtet werden. Auch Bezüge nach Polen und in die Auswanderungsländer stellte unsere Dokumentationsstelle her.¿


Hintergrund
Schätzungsweise elf Millionen Männer und Frauen, die unter Zwang nach Deutschland gebracht worden waren, hielten sich bei Kriegsende in Deutschland auf. Innerhalb von nur fünf Monaten kehrten rund neun Millionen von ihnen in ihre Heimat zurück, darunter fast alle Menschen aus der Sowjetunion. So waren es im Oktober 1945 vor allem Menschen aus Polen und den baltischen Staaten, die noch in den Sammellagern in Deutschland festsaßen. Nicht nur der einsetzende Winter verhinderte die Rückführung. ¿Viele von ihnen scheuten die Rückkehr, da ihre Heimatländer von der Sowjetunion besetzt waren oder von kommunistischen Regierungen beherrscht wurden, die ihre politischen Gegner mit Gewalt unterdrückten¿, erklärt Ausstellungskurator und LWL-Museumsleiter Dietmar Osses.

Über zehn Jahre lang haben Militärbehörden, Hilfsorganisationen und Verwaltungen nach Kriegsende versucht, in einem Wechsel von Fürsorge und Druck Perspektiven für die Menschen zu entwickeln. Zunächst stand die Unterbringung und Versorgung im Mittelpunkt: In einzelnen Fällen wurden Häuser, Straßenzüge oder wie in Haltern ganze Stadtteile von den Alliierten requiriert, um DPs darin unterzubringen. Osses: ¿Die Kleinstadt Haren im Emsland ließ man komplett räumen. Sie wurde für drei Jahre eine polnische Stadt und bildete das Zentrum der polnischen Besatzungszone in Deutschland.¿

Trotz vielfältiger und aufwendiger Programme lebten Mitte der 1950er Jahre noch gut 100.000 der ehemals eine Millionen polnischen DPs in Deutschland. Für sie schufen die Landesregierungen, allen voran Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, in großen Bauprogrammen eine dauerhafte Bleibe, um die Jahre des Lagerlebens zu beenden. ¿Manche dieser Siedlungen tragen heute noch lebendige Spuren des polnischen Lebens in sich¿, weiß Museumsleiter Osses.


Förderer
Gefördert wurde die Ausstellung durch die Beauftrage für Kultur und Medien der Bundesrepublik Deutschland und mit Mitteln des NRW-Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales. Archive und Museen im In- und Ausland haben die Ausstellung unterstützt. Auch der Bund der Polen in Deutschland hat als Partner der ¿Porta Polonica¿ mit vielfältigen Kontakten und Leihgaben zum Gelingen beigetragen.

Katalog
Zwischen Ungewissheit und Zuversicht. Polnische Displaced Persons in Deutschland 1945-1955.
Hg. LWL-Industriemuseum, Dietmar Osses, 222 Seiten, Klartext-Verlag, Essen 2016, 19,95 Euro

Eröffnung
Zur Eröffnung der Ausstellung am Donnerstag (16.6.) um 19 Uhr begrüßt LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Thale die Gäste. Grußworte sprechen Konsul Przemyslav Gembiak vom polnischen Generalkonsulat in Köln sowie das Bochumer Bundestagsmitglied Axel Schäfer. LWL-Museumsleiter Dietmar Osses gibt eine Einführung in die Ausstellung.


Begleitprogramm
Mi, 6.7. 19 Uhr

Vortrag und Gespräch: Zwischen allen Fronten. Polnische Displaced Persons in Deutschland 1945¿1955. LWL-Museumsleiter Dietmar Osses berichtet in einem Lichtbildvortrag über die Geschichte der polnischen DPs. Eintritt frei

So, 10.7. 16 Uhr
Zwischen Ungewissheit und Zuversicht. Offene Führung durch die Ausstellung zu polnischen Displaced Persons in Deutschland

So, 7.8. 16 Uhr
Kultur im Lager. Offene Führung durch die Ausstellung zu polnischen Displaced Persons in Deutschland

So, 4.9. 16 Uhr
Keine Hoffnung auf Rückkehr? Offene Führung durch die Ausstellung zu polnischen Displaced Persons in Deutschland

Mi 14.9. 20 Uhr
Vortrag und Gespräch: Vom Akkordeonabend bis zur Theaterpremiere. Geselligkeit, Musik und Theater in polnischen DP-Lagern. Lichtbildvortrag von Kurator Bartholomäus Fujak

Do, 22.9. 19 Uhr
Vortrag und Gespräch: Zwischen Sehnsucht nach dem Leben und Hunger nach dem Wort. Bedeutung und Funktion der Kultur für die polnischen Displaced Persons in Deutschland. Lichtbildvortrag von Dr. Jacek Barski, Leiter der Porta Polonica, Dokumentationsstelle zur Kultur und Geschichte der Polen in Deutschland

Do, 6.10. 19 Uhr
Vortrag und Gespräch Polnische Displaced Persons in Westfalen und dem Ruhrgebiet. Eine Spurensuche. Dietmar Osses

So, 9.10. 16 Uhr
Zwangsarbeiter - Displaced Persons ¿ Heimatlose Ausländer. Offene Führung durch die Ausstellung zu polnischen DPs in Deutschland

Do, 27.10. 19 Uhr
Vortrag und Gespräch: Den Blick nach vorn gerichtet. Polnische Displaced Persons in Schule, Ausbildung und Beruf. Lichtbildvortrag des Historikers David Skrabania


Zwischen Ungewissheit und Zuversicht
Polnische Displaced Persons in Deutschland 1945-1955

17. Juni bis 30. Oktober 2016
LWL-Industriemuseum Zeche Hannover
Günnigfelder Straße 251 I 44793 Bochum
Geöffnet Mi-Sa 14-18 Uhr, So 11-18 Uhr
http://www.lwl-industriemuseum.de



Pressekontakt:
Markus Fischer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235 und Christiane Spänhoff, LWL-Industriemuseum, Telefon: 0231 6961-127
presse@lwl.org



LWL-Einrichtung:
LWL-Museum Zeche Hannover
Günnigfelder Straße 251
44793 Bochum
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Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


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