Mitteilung vom 17.06.10
Presse-Infos | Maßregelvollzug
LWL-Forensik: Mit Kopfhörer und Tunnelbrille einer Psychose nachspüren
Bundesweit erstes Projekt für ¿Minussymptomatik¿-Patienten in Dortmund
Dortmund (lwl). Sie wirken unbeteiligt, lethargisch, halten sich scheinbar anspruchslos vom Stationsleben fern. Kaffeetrinken und Rauchen scheinen ihre einzigen Vorlieben zu sein. Sie vernachlässigen alles andere, auch sich selbst. Wollte man ihr Sozialverhalten, ihre aktive Teilhabe am Alltagsgeschehen in der geschlossenen forensischen Klinik auf einer Plus-/Minusskala abbilden, so trügen sie eher ein Minuszeichen davon.
¿Patienten mit Minussymptomatik¿ heißt folglich auch die Gruppe psychosekranker Menschen, die mit ihrer übermäßigen Zurückgenommenheit für Mitpatienten wie auch für die Behandler eine ständige Herausforderung darstellen. Vor allem im Maßregelvollzug, der bei der Behandlung psychisch kranker Straftäter auf deren aktive Therapiebereitschaft, auf ihren mitwirkenden Veränderungswillen setzen muss. Um den Zugang zu ¿Minussymptomatik¿-Patienten zu verbessern, hat die Wilried-Rasch-Klinik (LWL-Forensik) in Dortmund Anfang dieses Jahres ein pflegewissenschaftliches Langzeitprojekt gestartet ¿ als erste forensisch-psychiatrische Klinik in Deutschland.
Das Besondere daran: Alle 25 Stationsmitarbeiter und die betroffenen Patienten ¿ immerhin rund ein Viertel der insgesamt 62 Patienten - sind von Anfang an beteiligt, Theorien und Konzepte werden konsequent auf Praxistauglichkeit geprüft. Ein Jahr lang analysieren die Beteiligten gemeinsam mit Projektleiter Harald Haynert, Pflegewissenschaftler der Universität Witten/Herdecke, ihren Stationsalltag, hinterfragen Abläufe, Raumverteilung, Pflegeverhalten und entwickeln praxisbezogene Verbesserungen, die direkt auf der Station angewendet und überprüft werden.
¿Durch die gezielte Neujustierung der pflegerischen Arbeit soll der schwierige Beziehungsaufbau zu Patienten mit Minus-Symptomatik nachhaltig verbessert werden¿, erklärt Ulrich Liebner, Pflegedirektor der Wilfried-Rasch-Klinik in Trägerschaft des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Der Aufbau einer verlässlichen Beziehung zum Patienten sei eine wesentliche Voraussetzung für dessen Gefährlichkeitsbeurteilung und erfolgreiche Behandlung.
Erste interne Workshops zur Umsetzung der Erkenntnisse aus der Situationsanalyse haben nun angefangen. Das aktive Verständnis für die innere Situation des Patienten, gepaart mit wissen-schaftlich überprüftem Pflegehandeln, gilt dabei als Schlüssel zur wirksamen medizinisch-pflegerischen Versorgung der psychosekranken Patienten. Folgerichtig zielt das erste Modul der begleitenden Workshops darauf ab, die Innenwelt eines solchen Patienten zu vermitteln.
Neben Fallbeispielen und Erfahrungsberichten Betroffener erfahren die Teilnehmer zumindest ansatzweise am eigenen Leibe, wie eine Psychose sich ¿von innen anfühlt¿. Mit Hilfe von Kopfhörern (die Einflüsterungen durch innere Stimmen simulieren), speziellen Brillen (die verengte Blickwinkel nachahmen) und Gewichten (die das Gefühl ständiger Beschwertheit vermitteln) spüren Beschäftigte dem psychosetypischen Erleben ihrer Patienten nach: Für viele Pflegekräfte bringt das echte Aha-Erlebnisse, die manche seltsam anmutende Reaktion der Erkrankten buchstäblich nachvollziehbar machen.
Unter ständiger wissenschaftlicher Begleitung unterstützt der Projektleiter die Klinikbeteiligten noch bis Ende des Jahres bei der Erarbeitung und Umsetzung geeigneter Maßnahmen. Einen Erfolg hat der Pflegedirektor aber heute schon verzeichnet: ¿Die gemeinsame Projektarbeit hat einen regelrechten Motivationsschub auf der Station ausgelöst¿, freut sich Liebner, ¿und zwar sowohl bei Beschäftigten als auch bei Patienten.¿
Achtung Redaktionen:
Bitte sprechen Sie uns an, wenn Sie ¿ zum Beispiel für eine Reportage ¿ mit Brille, Kopfhörer und Bleiweste selbst einmal einen psychotischen Krankheitszustand nachempfinden wollen oder wenn Sie Interesse haben, direkt mit Beteiligten am Minussymptomatik-Projekt zu sprechen.
Pressekontakt:
Petra Schneiders, Telefon: 0231 4503-4689, petra.schneiders@wkp-lwl.org, und Karl G. Donath, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org
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