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Mitteilung vom 29.01.07

Presse-Infos | Der LWL

Zeuge des Holocaust aus Westfalen: Neue DVD des LWL porträtiert Kurt Gerstein

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Münster/Hagen/Bielefeld (lwl). Eine der ¿merkwürdigsten, widersprüchlichsten und auch unheimlichsten Figuren des Widerstands im Dritten Reich¿ hat der Schauspieler Ulrich Tukur Kurt Gerstein genannt. Jetzt erinnert der Landschaftsverband Westfalen-Lippe mit einem Filmporträt an den in Münster geborenen Augenzeugen des Holocaust. ¿Ein spannendes und formal überzeugendes Porträt¿, urteilt das Kurt-Grimme-Institut über den Film.

¿Das Leben Kurt Gersteins ähnelt einer Achterbahnfahrt¿, meint Dr. Markus Köster, Leiter des LWL-Medienzentrums für Westfalen, das den Film gemeinsam mit dem Landeskirchlichen Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Matthias-Film gGmbH als DVD für die Bildungsarbeit herausgebracht hat.

Gersteins Elternhaus steht auf der Heerdestraße in Münster. Hier wurde er am 11. August 1905 als Sohn des Landgerichtspräsidenten Ludwig Gerstein und seiner Frau geboren. Hier verlebte er die ersten sechs Jahre seines Lebens. In den 1920er Jahren fand Gerstein, dessen Jugend von häufigen Umzügen geprägt war und der vielleicht auch deshalb als schwieriges Kind galt, seine geistige Heimat in der protestantischen Jugendbewegung. Nach einem Bergbaustudium wurde er 1933 auf Drängen der Familie, aber auch aus beruflichen Gründen, Mitglied der NSDAP. Noch im gleichen Jahr protestierte Gerstein, der inzwischen in Hagen lebte, als Bundesführer im Bund Deutscher Bibelkreise heftig gegen die Eingliederung der evangelischen Jugend in die HJ. Drei Jahre später führte seine andauernde Kritik an
antichristlichen Tendenzen des nationalsozialistischen Regimes zu seinem Ausschluss aus der NSDAP; es folgten mehrere Festnahmen, KZ-Haft und ein Berufsverbot.

1941 vollzog sich dann eine weitere, ausgesprochen überraschende Wende in Gersteins Leben: Als Freiwilliger trat er in die Waffen-SS ein. Seinen konsternierten Freunden erklärte er, einen Blick hinter die Kulissen des Terrorregimes, ¿in die Feueröfen des Bösen¿ tun zu wollen. Im Hygiene-Institut der Waffen-SS machte Gerstein rasch Karriere und gelangte schließlich tatsächlich in die Vernichtungslager Belzec und Treblinka, wo er Augenzeuge der Massenvergasung von Juden wurde.

Tief geschockt versuchte er die internationale Öffentlichkeit zu informieren, fand aber kaum Gehör. Rolf Hochhuth hat dies 1963 zu seinem berühmten Theaterstück ¿Der Stellvertreter¿ inspiriert. Im Frühjahr 1945 stellte sich der Widerständler in SS-Uniform freiwillig den Alliierten. Sein Gerstein-Bericht, den er in französischer Internierung verfasste, ist eine der frühesten und erschütterndsten Augenzeugendarstellungen des Holocaust. Wenige Monate später wurde Kurt Gerstein in seiner Zelle im Pariser Militärgefängnis Cherche-Midi erhängt aufgefunden, wahrscheinlich hatte er Selbstmord begangen.

Nach dem Krieg galt er zunächst als ¿belastet¿; erst 1965 wurde er rehabilitiert. ¿Bis heute lässt Gersteins erstaunliche Biografie immer noch viele Fragen offen, seine Person sperrt sich gegen alle gängigen Täter-Opfer-Kategorisierungen der nationalsozialistischen Zeitgeschichte¿ so Markus Köster.

Trotzdem ist er sich gemeinsam mit dem Leiter des Archivs der Evangelischen Kirche von Westfalen und Nachlassverwalter Gersteins, Prof. Dr. Bernd Hey, sicher, dass sich auch Schüler im Geschichtsunterricht mit Kurt Gerstein beschäftigen sollten: ¿Gersteins Leben und Handeln zeigen exemplarisch, dass es in der NS-Diktatur nicht nur schwarz oder weiß gab, sondern viele Facetten und Schattierungen, die es in der historischen Erinnerung wahrzunehmen und weiterzugeben gilt¿, so die beiden Historiker.

Der Film ¿Kurt Gerstein - Der Christ, das Gas und der Tod¿ von Claus Bredenbrock und Pagonis Pagonakis veranschaulicht dies auf eindrucksvolle Weise. Anhand von historischen Dokumenten, Zeitzeugenaussagen und aktuellen Interviews - u.a. mit dem Theaterregisseur Rolf Hochhuth sowie dem Schauspieler und Gerstein-Darsteller Ulrich Tukur - schildert das ursprünglich im Auftrag des WDR entstandene Porträt das wechselvolle Leben des Kurt Gerstein und seine Rezeption nach 1945.
Am 29. Januar wird die DVD-Edition in Anwesenheit von Hagens Oberbürgermeister Peter Demnitz, LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch und dem Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Alfred Buß, im Historischen Centrum Hagen erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt.


Kurt Gerstein
Der Christ, das Gas und der Tod

Ein Film von Claus Bredenbrock und Pagonis Pagonakis
DVD-Edition herausgegeben im Auftrag des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe,
der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Matthias-Film gGmbH
Film ca. 30 Minuten 44-seitigem Begleitheft
14,90 Euro plus Versandkosten
45 Euro mit dem Recht zur Öffentlichen Vorführung und zum Verleih
Bezug: LWL-Medienzentrum für Westfalen (medienzentrum@lwl.org, Fax: 0251/591-3982) oder im Buchhandel



Pressekontakt:
Markus Fischer, Tel. 0251 591-235
presse@lwl.org




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