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Mitteilung vom 13.12.06

Presse-Infos | Der LWL

Flucht und Neuanfang in Westfalen:
LWL gibt Erlebnisbericht des lettischen Exildichters Jaunsudrabin¿ heraus

Bewertung:

Münster (lwl). In Westfalen war Janis Jaunsudrabin¿ ein unbekannter Flüchtling, einer von 200.000 Letten, die am Ende des Zweiten Weltkrieges nach Deutschland kamen. Doch in seiner Heimat war er ein sehr bekannter Dichter. Unter dem Titel ¿Ich erzähle meiner Frau...¿ hat der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) jetzt seinen Erlebnisbericht über die Flucht und Neuanfang herausgegeben. Das Buch beschreibt auch die schwierigen Anfangsjahre des Flüchtlingspaares in Bielefeld, Bünde (Kreis Herford), Bünde-Werfen, Greven, (Kreis Steinfurt) und Körbecke am Möhnesee (Kreis Soest).

Wie es zu dem Titel des Buches kam, berichtet Jaunsudrabin¿ in der Einleitung: ¿¿Erzähl doch etwas Lustiges¿, fleht mich meine Frau an, als wir in unserem Nest zusammensitzen und die Nähe des anderen suchen, unter ganz fremden Leuten. ¿Ich möchte so gerne einmal von ganzem Herzen lachen.¿ ¿Gut¿, entgegne ich, ¿ich werde Dir erzählen, wie wir einst unser Zuhause verließen¿¿¿ Verständlich, dass Jaunsudrabin¿ Frau darauf antwortet: ¿ ¿Ich kann mich nicht entsinnen, auf unserer Fahrt etwas Lustiges erlebt zu haben¿. ¿Man kann weiß Gott nicht sagen, es sei unmöglich, mit etwas gutem Willen sogar unter ziemlich widrigen Umständen auf Heiteres zu stoßen.¿¿ Da bleibt Nate nur noch der Kommentar: ¿Ich bin neugierig darauf zu erfahren, wie man aus einer Zwiebel Marmelade kochen kann.¿

¿Wer nach dieser Ankündigung eine Humoreske erwartet, wird enttäuscht. Auch diese Flucht ist nichts zum Lachen. Doch im Rückblick und aus der Distanz kann für einen souveränen Geist wie Jaunsudrabin¿ auch noch im Schweren und Bitteren Situationskomik aufleuchten, und manche Widrigkeiten lassen sich nur mit Galgenhumor ertragen¿, so Prof. Dr. Ruth-E. Mohrmann, Vorsitzende der Volkskundlichen Kommission für Westfalen beim LWL.

Nach abenteuerlicher Flucht aus Lettland erreicht der bereits 67-Jährige mit seiner Frau Bielefeld. Dort hoffen sie bei den Eltern ihres Schwiegersohns Unterschlupf zu finden. Doch die lang ersehnte Ankunft wird zu einem Alptraum: Nur einen Tag zuvor war die Stadt von einen verheerenden Bombenangriff heimgesucht worden, ganze Viertel waren nur noch eine rauchende Trümmerlandschaft. Auch die Wohnung der Verwandten. Und so beginnt die Suche nach einer dauerhaften Bleibe ¿ eine Odyssee, die Jaunsudrabin¿ und seine Frau von Bielefeld nach Bünde, Werfen, Greven und schließlich nach Körbecke am Möhnesee führt.

Millionen Menschen sind damals aus dem Osten geflohen, meist Deutsche, aber auch über 200.000 Letten. ¿Sehr viele von ihnen haben Schrecklicheres erlebt und eine schlimmere Flüchtlingszeit ge-habt als das Ehepaar Jaunsudrabin¿, aber die wenigsten von ihnen haben das Erlebte so eindrücklich zu schildern gewusst wie Jaunsudrabin¿. Er ist ein engagierter und gleichzeitig auch distanzierter Beobachter. Dass er als Meisterschüler bei Lovis Corinth auch ein hochtalentierte Maler war, verrät sich in der sehr präzisen und farbigen Art, die Dinge zu sehen und darzustellen¿, sagte Dr. Wolfhard Raub, der das Projekt angeregt hat.

Das Besondere sei die Perspektive des Ausländers, der dem einzelnen Deutschen ohne Vorbehalte begegnet, so Raub weiter: ¿Wir sehen das ganze Panorama menschlicher Schwächen und Tugenden: Habgier und Selbstsucht ebenso wie generöse Freigiebigkeit und selbstlose Hilfsbereitschaft, Opportunismus und Duckmäusertum ebenso wie Mut und Zivilcourage, bürokratische Schikanen und unkonventionelle Amtshilfe.¿

Als das Buch 1951 auf lettisch erschien, mag es manche geschockt haben. Denn Jaunsudrabin¿ hat die Handlungen sehr direkt geschildert und auch die zu der Zeit noch lebenden Personen fast alle beim Namen genannt. Doch inzwischen liegen die geschilderten Ereignisse solange zurück, dass auch persönliche und kritische Bemerkungen keinen mehr verletzen können. ¿Da das Werk über die letzten Kriegsmonate in Bielefeld und Bünde, über die Wirren dort vor und unmittelbar nach Beginn der britischen Besetzung und die ersten Nachkriegsjahre in Bünde, Werfen, Greven und Körbecke berichtet, ist es auch für die Geschichte Westfalens in jenen Jahren sehr wichtig¿, betont Mohrmann die Bedeutung des Buches für die Region.

Seine zahlreichen Kontakte und seine unermüdliche Korrespondenz sorgten dafür, dass Jaunsudrabin¿ für Exil-Letten in aller Welt zum Inbegriff des freien unzerstörbaren Lettlands wurde. Zahlreiche Ehrungen, darunter die des Internationalen PEN-Clubs in Stockholm für sein Lebenswerk, spiegeln die Wertschätzung wieder, die ihm entgegengebracht wurde. Und auch in Deutschland nahm man mehr und mehr zur Kenntnis, dass dieser weißhaarige freundliche, aber wortkarge Mann der größten Dichter Lettlands im Exil war.

Nach seinem Tod im Jahre 1962 wurde Jaunsudrabin¿ in Soest beigesetzt. Er und seine Frau hatten verfügt, dass sie erst dann in lettischer Erde umgebettet werden wollten, wenn ihre Heimat wieder frei sei. 1997 fand die Überführung statt. Im Dom zu Riga wurde am 13. September in Anwesenheit des lettischen Staatspräsidenten ein feierliches Totenamt vom evangelisch-lutherischen Erzbischof zelebriert.

Janis Jaunsudrabin¿: Ich erzähle meiner Frau
Von der Flucht aus Lettland und dem Exil in Deutschland.

Rückblick. Autobiographische Materialien.
Hg. von der Volkskundlichen Kommission für Westfalen, Band 5,
Münster, Verlag Waxmann 2006, 227 S., ISBN 978-3-8309-1748-9, 19,90 ¿.



Pressekontakt:
Markus Fischer, Tel. 0251 591-235
presse@lwl.org




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