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Mitteilung vom 07.12.06

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¿Die vergessenen Nachbarn¿: LWL- Freilichtmuseum Detmold gibt Buch über Juden auf dem Land heraus

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Detmold (lwl). ¿Die vergessenen Nachbarn. Juden auf dem Lande in Ostwestfalen-Lippe¿ war der Titel eines mehrjährigen Forschungsprojektes, das der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) an seinem Westfälischen Freilichtmuseum Detmold durchgeführt hat. Die Ergebnisse hat der LWL am Donnerstag (07.12.) als Buch der Öffentlichkeit vorgestellt.

Bereits seit 1992 hat sich das LWL-Museum darum bemüht, ein Gebäude wieder aufzubauen, welches das Leben der zahlenmäßig recht kleinen, jüdischen Minderheit in Westfalen dokumentieren sollte. Ende der 1990er Jahre, bot sich dem Museum mit dem Wohnhaus der jüdischen Familie Uhlmann in Höxter-Ovenhausen die einmalige Gelegenheit, eines der letzten - fast unversehrt erhaltenen - dörflichen Wohn- und Geschäftshäuser aus früherem jüdischen Besitz zu übernehmen. Anhand dieses Hauses will der LWL Aspekte des Lebens ländlicher Juden in Westfalen vermitteln. Die Eröffnung des Hauses im Museum ist für den Herbst 2007 vorgesehen.

Eine Möglichkeit zur näheren Beschäftigung mit dem Thema bietet schon jetzt der von Prof. Dr. Stefan Baumeier, ehemaliger Leiter des LWL-Museums und Projektleiter Dr. Heinrich Stiewe herausgegebene Sammelband, der nicht nur das im Museum wiederaufgebaute Haus aus Ovenhausen und seine Geschichte ausführlich beschreibt, sondern auch vielfältige Forschungsergebnisse zur Kultur- und Alltagsgeschichte der jüdischen Bevölkerung in den ländlichen Regionen Ostwestfalens dokumentiert.

Unter den vier Hauptkapiteln ¿Das Haus und seine Bewohner: Auf den Spuren der Juden in Ovenhausen¿, ¿Ovenhausen und Annette von Droste-Hülshoff: ¿Die Judenbuche¿¿, ¿Juden in Dörfern und Kleinstädten im östlichen Westfalen¿ und ¿Das Ende der Nachbarschaft: Verfolgung und Vernichtung der Juden auf dem Lande¿ bietet der Band einen facettenreichen Überblick zur Geschichte und Kultur der ländlichen Juden im Paderborner und Corveyer Land, in Lippe und Minden-Ravensberg.

Ausgangspunkt der Forschungen ist das Schicksal des Ovenhausener Hauses und seiner Bewohner: Ursprünglich 1803 bis1805 von dem jüdischen Händler Bernd Soistmann (ab 1808 Steilberg) erbaut, hat das Haus eine ununterbrochene jüdische Besitzertradition, die bis zur Deportation seiner letzten Bewohner, der Familie Uhlmann, im Jahre 1941 nachweisbar ist. Heinrich Stiewe erläutert in seinem Beitrag die Geschichte des Gebäudes von der Erbauung bis zur Translozierung in das LWL-Museum im Jahre 2000/01. Elmar Altwasser liefert einen archäologischen Beitrag zu den aufschlussreichen Spuren der Geschichte des Hauses ¿unter dem Boden¿.

Menschen jüdischen Glaubens lebten seit Jahrhunderten in westfälischen Kleinstädten und Dörfern. ¿Als kleine religiöse Minderheit, aber mit wichtigen Funktionen im ländlichen Wirtschaftsleben hatten sie Teil an einer vielfältigen, traditionsgebundenen ländlichen Kultur. Sie waren eingebunden in eine traditionelle Dorfgemeinschaft, die auf ihre Tätigkeiten im Waren-, Vieh- und Getreidehandel, aber auch als Kreditgeber angewiesen war. Ein keineswegs konfliktfreies, aber dennoch nachbarschaftliches Verhältnis zwischen Christen und Juden hatte sich etabliert. Dies ist heute schon fast vergessen¿, so Stiewe.

Gudrun Mitschke-Buchholz hat in ausführlichen Tonbandinterviews 18 ältere Ovenhausener Bürger zu ihren Erinnerungen an die jüdischen Nachbarn vor mehr als 65 Jahren befragt und vielfältige Informationen zum nachbarschaftlichen Zusammenleben zwischen Christen und Juden in einem katholischen Dorf, aber auch zur Diffamierung, Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Nachbarn zusammengetragen.

Regionale Überblicke zu Paderborn/Corvey, Lippe und Minden-Ravensberg sowie vertiefende Ortsstudien zu Schötmar, Petershagen und Rahden oder Bielefeld-Schildesche verdeutlichen die Situation der ländlichen Juden im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert und stellen die Ovenhausener Ergebnisse in einen größeren regionalen Kontext. Mit Dina van Faassen, Diethard Aschoff, Margit Naarmann, Monika Minninger, Kai-Uwe von Hollen und Bernd-Wilhelm Linnemeier wurden Autorinnen und Autoren für das Projekt gewonnen, die sich bereits als ausgewiesene Kenner der jüdischen Regionalgeschichte einen Namen gemacht haben.

Die gewaltsame Zerstörung der Nachbarschaft in der Zeit des Nationalsozialismus beschreiben Margit Naarmann und Jürgen Scheffler eindringlich in zwei abschließenden Beiträgen für die Teilregionen Hochstift Paderborn und Lippe.

¿Mit Blick auf den pädagogischen Auftrag des LWL-Freilichtmuseums Detmold lässt sich die Geschichte des Hauses Uhlmann aus Ovenhausen geradezu als einzigartige Chance bezeichnen, die Erinnerung an die jüdische Geschichte des ländlichen Westfalen wach zu halten¿, sagte Museumsleiter Dr. Jan Carstensen als Reihenherausgeber bei der Buchvorstellung.

Das Ovenhausener Haus und das Schicksal seiner Bewohner stehen dabei beispielhaft für die Geschichte der Juden ¿auf dem Dorf¿ im östlichen Westfalen. Dabei spannt sich der Zeitrahmen von den historischen Hintergründen der bekannten Novelle ¿Die Judenbuche¿ von Annette von Droste-Hülshoff, die weit in das 18. Jahrhundert zurückreichen, über fast zwei Jahrhunderte christlich-jüdischer Nachbarschaft bis zu deren gewaltsamem Ende in der Zeit des Nationalsozialismus.

Stefan Baumeier / Heinrich Stiewe (Hg.):
Die vergessenen Nachbarn.
Juden auf dem Lande im östlichen Westfalen

(Schriften des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold ¿ Landesmuseum für Volkskunde 24).



Pressekontakt:
Markus Fischer, Tel. 0251 591-235
presse@lwl.org




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