LWL-Newsroom
Mitteilung vom 07.02.06
Presse-Infos | Der LWL
Teil 5: Gewichtige Gründe gegen mageres Model-Format
LWL-Experte bekräftigt Warnungen vor schädlichem Schlankheitswahn
Gütersloh/Münster (lwl). ¿Germany¿s Next Topmodel¿ ¿ ein mageres Mädchen nach dem anderen lässt die Heidi-Klum-Jury beim neuen Pro7-Show-Format im knappen Bikini vortänzeln. Alt-Model Klum lächelt dazu, Kritik wiegeln die Programmmacher ab. Unterdessen schreibt vor allem Deutschlands größte Kaufzeitung mit den vier Buchstaben gegen den Klumschen ¿Schlank-Wahn¿ an. Psychiater und Psychosomatik-Experten warnen vor den schlimmen Folgen exzessiven Hungerns vor allem für den jungen Organismus.
Dazu Dr. Jan Peter Theurich, Essstörungsexperte und Chefarzt der Abteilung Innere Medizin und Psychosomatik in der Westfälischen Klinik Gütersloh des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL).
? Warum sind das berechtigte Warnungen, Herr Dr. Theurich?
! Warnungen von Fachleuten vor ¿Schlankheitswahn¿ sind ein berechtigter Kontrapunkt zu Mediendarbietungen der oben genannten Art, die junge Leute besonders in der pubertären Selbstfindungsphase konsumgerecht manipulieren.
Dennoch muss zunächst festgehalten werden, dass deutsche Jugendliche mit 25 Prozent übergewichtig sind ¿ übrigens mit dramatisch steigendem Diabetesrisiko - und dass nur 0,3 bis ein Prozent der Frauen eine Anorexie, also eine Magersucht, entwickeln. Also: Schlank sein ist erstmal nicht falsch.
Die Magersucht hingegen ist ein psychodynamisch komplexes Krankheitsbild, in dem das Thema ¿Essen¿ bzw. Abnehmen ein hohes asketisches Ideal hat und häufig mit sozialem Rückzug verbunden ist. Psychodynamisch geht es häufig um einen ¿Kampf um Selbstbestimmung¿. Alle ¿normalen¿ Gefühle wie Erleben von Siegen und Niederlagen, Sehnsucht und Enttäuschungen, Einsamkeit und Suche nach Nähe, Angst und Hoffnung und viele persönliche Themen werden nur über das Thema Essen verschlüsselt kommuniziert. Hier ist dann professionelle Hilfe nötig.
? Welche Schädigungen riskieren vor allem junge Menschen bei Abmagerungs-Exzessen?
! Abmagerungsexzesse ab einem ¿ wie es die Fachleute messen - Body-Mass-Index von 15 (bei Erwachsenen) oder einem Gewicht unterhalb der 10. Perzentile (bei Jugendlichen) bedürfen der stationären Behandlung, da die Patienten trotz des Gefühls, viel Energie zu haben, körperlich krank und gebrechlich sind. Bei fortgesetzter Abnahme des Gewichts kommt es auch zu Denkstörungen, der so genannten kognitiven Leistungsschwäche, die eventuell sogar eine Psychotherapie unmöglich macht und bei der zuerst eine internistische Behandlung notwendig ist.
Mögliche körperliche Schäden sind: Entwicklungsstörungen, Ausbleiben der Monatsblutung bei Frauen, Osteopenie (Knochendichteschwund), Nieren- und Herzschwäche, Exsikkose (Austrocknung) oft bei Einnahme von Abführmitteln oder Wassertabletten. Selbst ein Rückgang der Hirnmasse (Pseudoatrophie) konnte bei starkem Gewichtsverlust nachgewiesen werden.
Die Prognose der Erkrankung Magersucht ist schlecht, besonders bei sehr niedrigen Gewichten mit einem BMI unter 13 oder bei langer Krankheitsdauer. 15 bis 20 Prozent der Patienten werden an der Krankheit frühzeitig versterben.
? Wie behandeln Sie in ihrer Klinik Essgestörte?
! Wir sind keine Spezialklinik für Essgestörte, sondern behandeln diese Patienten, das sind bei uns nur Erkrankte über 18 Jahre, im Rahmen unseres so genannten multimodalen psychosomatischen Settings. Das heißt, die Betroffenen sind acht bis zwölf Wochen stationär bei uns mit psychotherapeutischer Gruppen- und Einzeltherapie, aber auch mit gestalterischer (Kunst-)Therapie und Elementen des Körperwahrnehmungstrainings. Beim Krankheitsbild der Anorexie verwenden wir auch verhaltenstherapeutische Elemente wie zum Beispiel Essbegleitung, Essprotokoll, Wiegen, stufenweise Beurlaubung usw. Neben einer psychodynamischen Betrachtung des Einzelschicksals muss darauf geachtet werden, dass man das Wesentliche, nämlich die Gewichtszunahme, nicht aus den Augen verliert. Etwa nach dem Motto: ¿...vom Argumentieren allein kann man nicht zunehmen...¿.
? Was können Eltern, Schule, Arbeitskollegen/-innen tun ?
! Nahestehende spüren oft mit guter Sicherheit, ob jemand bloß schlank sein möchte oder ob es um ein krankhaftes Abnehmen geht. Es macht Sinn, den Betroffenen, auch unter Gleichaltrigen, anzusprechen. Auch Lehrer in der Schule sollten sensibilisiert werden und notfalls einen Kontakt zum Schulpsychologen oder einer Beratungsstelle herstellen. Besorgte Eltern sollten den Hausarzt ansprechen, um möglichst eine frühzeitige Diagnostik und Therapie für die Betroffenen zu erreichen, da dies die Prognose bei Anorexie verbessert.
Pressekontakt:
Karl G. Donath, Tel. 0251 591-235
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