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Mitteilung vom 26.01.06
Presse-Infos | Der LWL
Experte fordert eine Medien-Diät für Kinder
Vlotho (lwl). ¿Unkontrollierter Medienkonsum macht faul, dick, dumm und hyperaktiv, außerdem passiv, abhängig, einsam und aggressiv.¿ Mit dieser These vom ¿FDDH¿ -Syndrom eröffnete der Kinder- und Jugendpsychiater Lutz Ulrich Besser, Zentrum für Psychotraumatologie in Niedersachsen (ZPTN) das Medienseminar ¿Brainwash¿ zur Macht der äußeren medialen Bilder, das der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) jetzt in seiner Bildungsstätte Jugendhof Vlotho veranstaltet hat. Die Medien nähmen immer mehr Raum und Zeit im Leben ein, die Bildschirme in den Wohn- und Kinderzimmern würden immer größer, die Musik immer lauter, die Bilder folgten immer schneller, destruktive Reizüberflutung sei die Folge.
Die Teilnehmer waren sich darüber einig, dass der Konsum von Gewalt in den Medien deutlich eingeschränkt werden muss. Kinder und Jugendliche brauchen so etwas wie eine ¿Diät¿ hinsichtlich gewalttätiger medialer ¿Nahrung¿, um nicht auf Dauer Schaden zu nehmen. Sie benötigen ein ¿Naturschutzgebiet¿ für ihre seelische, geistige und körperliche Entwicklung. Darüber hinaus müssen Eltern und Pädagogen vor Ort deutlicher Grenzen setzen¿, fasst LWL-Seminarleiterin Sabine Haupt-Scherer die Ergebnisse zusammen.
¿Das alles nervt nicht nur, es hat auch Auswirkungen auf die Nerven, genauer gesagt: auf das Gehirn. Denn nach neueren Forschungen der Hirnforscher und Neurobiologen ist das Gehirn keine statische, mehr oder weniger gut funktionierende Maschine, sondern veränderbar wie eine Wachstafel. Man spricht von Neuroplastizität¿, Sabine Haupt-Scherer.
Man könne sich das vorstellen wie bei einem Computer, bei dem sich die Hardware an die Software anpasse, und auf dem nur das funktioniere, was auch genutzt werde. ¿Das geht zeitlebens bis in hohe Alter. Aber gerade kindliche Gehirne sind im Aufbau und deshalb besonders gefährdet. Eine nicht altersangemessene Bilderflut führt zu einer Stressüberlastung der noch nicht ausgereiften Gehirne und schädigt sie dauerhaft, was zu einer lebenslang nicht gut gelingenden Stressverarbeitung führen kann¿, so Besser weiter.
Zugleich lernt das Gehirn unter hohem Stress besonders gut. Erfahrungen werden geradezu eingebrannt. Deshalb werden Muster aus Gewaltspielen oder -filmen besonders gut gelernt. ¿Der hohe Stress und das Belohnungssystem durch das Gewinnen beim Computerspiel führt schnell zur Sucht, so dass Computersucht zu der Abhängigkeit des 21.Jahrhunderts werden kann¿, stellte Prof. Gerald Hüther, Leiter der Abteilung für neurobiologische Grundlagenforschung an der psychiatrischen Klinik Göttingen seine Forschungsergebnisse vor. Deshalb seien Kinder und Jugendliche auf den Schutz der Erwachsenen und der Gesellschaft vor unkontrolliertem Medienkonsum dringend angewiesen, so Hüther weiter.
45 Lehrer und Therapeutinnen, Mitarbeitende aus Jugendämtern, Erziehungsberatungsstellen, Kliniken und Jugendhilfeeinrichtungen haben sich beim LWL-Seminar über das Ausmaß und die Form von Gewalt in den Medien informiert, um gezielter handeln zu können. Lutz Ulrich Besser und der Jugendliche Franco Bettels stellten den Teilnehmern Kriegs- und Schießspiele (¿ego-shooter-Spiele¿) vor, die unter Jugendlichen weit verbreitet sind.
Am zweiten Tag stellte der Lehrbeauftragte der Universität Oldenburg, Stefan Kanke, Gewaltdarstellungen im Internet vor. Diese seien besonders gefährlich, denn Kontrolle sei hier kaum möglich, so dass die klassischen Mechanismen des Jugendschutzes nicht mehr gut funktionierten. Zugleich sei die Menge und Verfügbarkeit des Materials nahezu grenzenlos erhöht, so der Traumapädagoge.
Seit dem Fall an der Hildesheimer Werner von Siemens Schule im November 2003 ist das immer häufiger auftretende ¿Happy Slapping¿ (fröhliches Schlagen) bekannt geworden: Dabei schlagen Jugendliche einen Schulkameraden brutal zusammen und demütigen ihn. Sie filmen ihre Tat oft mit dem Fotohandy und stellen den Film dann ins Internet. Andere Jugendliche kopieren das, manche versuchen es auch zu vermarkten.
Auch die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen hat durch das Internet ganz neue Ausmaße angenommen. ¿Taten werden zum Teil nur noch verübt, um sie ins Netz stellen zu können. Schätzungen gehen davon aus, dass über eine Million solcher Bilder und Filme im Internet zu finden sind. Auch hier kommt es zu Suchtphänomenen¿, so Haupt-Scherer.
Die Teilnehmer waren sich darüber einig, dass der Konsum von Gewalt in den Medien deutlich eingeschränkt werden muss. Kinder und Jugendliche bräuchten so etwas wie eine ¿Diät¿ hinsichtlich gewalttätiger medialer ¿Nahrung¿, um nicht auf Dauer Schaden zu nehmen. Sie benötigten ein ¿Naturschutzgebiet¿ für ihre seelische, geistige und körperliche Entwicklung. Darüber hinaus müssten Eltern und Pädagogen vor Ort gefragt, deutlicher Grenzen setzen¿, fasst Haupt-Scherer die Ergebnisse des Seminars zusammen.
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