Mitteilung vom 26.01.06
Presse-Infos | Der LWL
¿Quasselstrippe, Volksempfänger, Flimmerkiste¿ ¿
LWL-Buch betrachtet die Geschichte der neuen Medien unserer Großeltern
Westfalen (lwl). ¿Fasse dich kurz!¿ Diese Aufforderung mussten Telefonkunden noch bis in die 1960er Jahre in öffentlichen Telefonzellen lesen. ¿Sie dokumentiert besonders plakativ den zeittypischen Umgang mit dem Kommunikationsmedium Telefon seit dem sogenannten ¿Wirtschaftswunder¿, erklärt Jutta Nunes Matias. Die Volkskundlerin hat sich intensiv damit beschäftigt, wie die Menschen auf die Einführung neuer Medien reagiert haben. Unter dem Titel ¿Quasselstrippe, Volksempfänger, Flimmerkiste¿ hat der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) jetzt ihre Erkenntnisse in der Buchreihe ¿Alltagsgeschichte in Bildern¿ veröffentlicht.
Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein wäre die Mahnung, sich kurz zu fassen, völlig unsinnig gewesen: ¿Die so genannte Freud-und-Leid-Telefonie war zu dieser Zeit noch eine Randerscheinung, weil es nur in wenigen Privathaushalten ein Telefon gab. Ebenso wenig passt ein solches Schild in die heutige Zeit: Abgesehen davon, dass man gar nicht so recht wüsste, wo man ein solches Schild anbringen sollte, macht es angesichts der weit verbreiteten Privattelefone und der gesunkenen Telefonkosten keinen Sinn mehr¿, so Nunes-Matias.
Die Geschichte des Telefons in Deutschland begann vor genau 125 Jahren: Im Januar 1881 wurde in Berlin die erste öffentliche Telefonvermittlung für acht Teilnehmer versuchsweise in Betrieb genommen. Bereits ein halbes Jahr später gab es in Berlin schon 94 Anschlüsse. Nicht nur hier, sondern auch in Hamburg, Frankfurt, Breslau, Köln und Mannheim etablierten sich Vermittlungsstellen, deren versuchsweise Einrichtung schnell in einen ständigen Betrieb überführt wurde.
Auch in Westfalen hielt das Telefon in den 1880er Jahren Einzug. Am 1. Juli 1887 wurde beispielsweise in Minden das erste Ortsfernsprechnetz mit immerhin 34 Teilnehmern in Betrieb genommen. Im gesamten Deutschen Reich gab es in diesem Jahr bereits 164 Orte mit Fernsprechanlagen und über 29.000 Sprechstellen. In den großen Städten war das neue Medium in den 1880er und 90er Jahren zwar schon recht weit verbreitet, das bedeutete aber nicht, dass sich das Telefon im 19. Jahrhundert in Deutschland bereits allgemein durchgesetzt hatte. Anfangs waren es vor allem die öffentliche Verwaltung, die Wirtschaft und bald auch das Militär, die sich am Fernsprechwesen beteiligten. Und auch, wenn das Telefon in einem Erlass der Deutschen Reichspost von 1877 als Fernsprecher bezeichnet wurde, so war es zunächst doch eher ein ¿Nahsprecher¿, da bei der Übermittlung der akustischen Signale über weite Strecken immer wieder Störungen und technische Probleme auftraten.
Ebenso wie das Telefon blicken auch andere Kommunikationsmittel wie der Telegraf, das Kino oder die Fotografie auf eine schon über hundertjährige Geschichte zurück. In ihnen dokumentiert sich der menschliche Pionier- und Erfindungsgeist. ¿In unserem neuen Buch wollen wir aber auch zeigen, dass sich die neuen Medien in unserem Alltag erst etablieren mussten. Die ¿Wunderwerke der Technik¿ lösten bei den Zeitgenossen nicht nur Begeisterung, sondern auch Unsicherheiten, Unverständnis oder gar Aversionen aus¿, weiß Christiane Cantauw, Geschäftsführerin der Volkskundlichen Kommission beim LWL. Die Bezeichnungen ¿Quasselstrippe¿ für ständig telefonierende Personen, ¿Flimmerkiste¿ für die ersten Fernseher, deren Bildqualität doch sehr zu wünschen übrig ließ und ¿Schmuse- und Knutschwinkel¿ für die ersten Kinos zeugen von einem eher ambivalenten Verhältnis zu diesen Medien. Und Fragen wie diejenige danach, welche Garderobe einem Kinobesuch oder der Einladung zum Fernsehabend bei den Nachbarn wohl angemessen sei, waren durchaus Gegenstand von Ratschlägen in Benimmbüchern.
¿Der sich verändernde Umgang mit den neuen Medien ließ sich gut anhand von historischen und aktuellen Fotos veranschaulichen. Allein wenn man die Porträtaufnahmen aus dem 19. Jahrhundert mit entsprechenden Fotos aus den letzten 40 Jahren vergleicht, wird deutlich, dass sich nicht nur die Kameratechnik verändert hat. Auch die Fotos des ¿Fräulein vom Amt¿ dokumentieren nicht nur eine technische Entwicklungsstufe, sondern sie sind auch ein Beleg für ein bestimmtes zeittypisches Arbeitsumfeld und Frauenbild¿, so Cantauw über das neue Buch der Volkskundlichen Kommission für Westfalen, das die Geschichte von Telegraf, Fotografie, Radio, Fernsehn und Co. in erläuterten Fotografien erzählt.
Jutta Nunes Matias:
Quasselstrippe, Volksempfänger, Flimmerkiste.
Über den Umgang mit Medien,
Alltagsgeschichte in Bildern, Band 3
Münster 2005, Ardey-Verlag, ISBN 3870232641
88 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Euro 14,90
Pressekontakt:
Markus Fischer, Tel. 0251 591-235
presse@lwl.org
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Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.
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