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Mitteilung vom 08.12.05

Presse-Infos | Der LWL

Cosman David Cohen
Dokumente einer jüdischen Textilunternehmerfamilie in Bocholt

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Bocholt (lwl). Wie in keiner anderen Stadt Westfalens stiegen jüdische Unternehmer ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Bocholt in die Textilproduktion ein. In Baumwollspinnereien und -webereien produzierten sie klassische Bocholter Artikel wie Nessel, Biber und Baumwolldecken. Ihre Betriebe zählten zu den erfolgreichsten Unternehmen der Stadt. Mit einer Ausstellung erinnert der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in seinem Textilmuseum Bocholt jetzt an eine der bedeutendsten jüdischen Familien der Stadt. ¿Cosman David Cohen ¿ Dokumente einer jüdischen Textilunternehmerfamilie in Bocholt¿, so der Titel der Schau, wird Sonntag (11.12.) um 11.15 Uhr im Rahmen der Adventsmatinee des Fördervereins eröffnet und läuft bis Februar 2006 im Westfälischen Industriemuseum.

Diese Materialschau mit zahlreichen historischen Fotos, Bauzeichnungen und anderen Dokumenten greift das Schicksal der Cohens auf. ¿Sie ist die einzige jüdische Unternehmerfamilie, über die eine größere Anzahl Dokumente und Fotos erhalten blieb¿, erklärt Museumsleiter Dr. Hermann-Josef Stenkamp. Denn nach Deportation und Holocaust sowie der Zerstörung vieler Fabrikgebäude und der prächtigen Privatvillen erinnert heute fast nichts mehr an diesen wichtigen Teil der Stadt- und Industriegeschichte.

Zu verdanken ist die Präsentation den privaten Kontakten und dem Engagement von Eduard Westerhoff. Der ehemalige Bocholter Unternehmer forscht und publiziert seit vielen Jahren zur Textilgeschichte Bocholts. Er nahm Kontakt zu den Erben der Familie, Anneliese Chiarizia und Edith Magnus, in Rom und Amsterdam auf. Fotos und Dokumente, die die beiden Frauen dem Bocholter überließen, werden als Sammlung "Eduard Westerhoff" im Stadtarchiv bewahrt und jetzt erstmals im Zusammenhang präsentiert.

Als erstes Mitglied der weit verzweigten Familie Cohen lässt sich der 1753 in Kleve geborene Cosman David nachweisen, der Anfang des 19. Jahrhunderts in Bocholt als "Verleger" arbei-tete: Er ließ bei Handwebern in Lohn weben, färbte die Ware in einer eigenen Färberei und vertrieb diese zum größten Teil in die Niederlande. Im Mai 1816 ließ er an 134 Handwebstühlen arbeiten und war damit der zweitgrößte Fabrikant in der Stadt. Nach seinem Tod 1823 übernahmen drei Söhne das elterliche Unternehmen, konnten es jedoch nicht halten.

Weitaus erfolgreicher agierte später Cosmann Cohen als Vertreter der dritten Generation. Er gründete 1862 eine mechanische Weberei in Bocholt, die rasch expandierte: Im Jahre 1880 wurde die Zahl der Webstühle von 100 auf 160 erhöht. Mit 180 Beschäftigten stieg die ¿Cosman Cohen & Comp.¿ zum viertgrößten Betrieb in Bocholt auf, 1895 war das Unternehmen größter Steuerzahler der Stadt. Den größten Teil seines Vermögens erwirtschaftete Cohen jedoch durch Beteiligung an auswärtigen Firmengründungen. Sohn Emil Cohen und Schwiegersohn Iwan Magnus übernahmen Anfang 1897 den Betrieb ¿ kurz danach starb der Vater. Später stieg auch der jüngste Sohn Max Cohen in die Firma ein.

1897 brannte die Fabrik an der Kaiser-Wilhelm-Straße vollständig nieder, dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens schadete das Unglück aber nicht. Im Neubau an der Industriestraße 7 ratterten Anfang der 1920er Jahre rund 600 Webstühle. 1929 entschlossen sich die Inhaber zur Stilllegung. Neun Jahre später wurde die Weberei an die benachbarte Firma "H. Beckmann Söhne" verkauft und ist heute im Besitz der "IBENA Textilwerke".

Die Ausstellung in Bocholt geht auch auf das weitreichende gesellschaftliche Engagement der Cohens ein. Über Generationen engagierten sich Familienmitglieder in der jüdischen Gemeinde. Cosman Cohen wirkte daneben an der Gründung eines katholischen Arbeiterinnen-Hospizes mit, er vertrat als Mitglied der Handelskammer die wirtschaftlichen Interessen der Bocholter Unternehmer und trat immer wieder als Spender für verschiedene wohltätige Zwecke auf. Sein Sohn Emil war viele Jahre Stadtverordneter.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 emigrierten viele Familienmitglieder der Cohens. Ihre Spuren finden sich in den Niederlanden, in Kolumbien, den USA und Italien. Andere wurden in Konzentrationslager verschleppt. Alle direkten Nachkommen aus der Unternehmerdynastie "Cosmann Cohen & Comp.¿ sollen nach Aussagen der Familie die NS-Verfolgung jedoch überlebt haben.



Pressekontakt:
Christiane Spänhoff, LWL-Industriemuseum, Telefon: 0231 6961-127 und Markus Fischer, Tel. 0251 591-235
presse@lwl.org




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