Mitteilung vom 29.08.05
Presse-Infos | Der LWL
¿Spieler müssen Erleben und Genuss neu lernen¿
Interview mit Dr. Meinolf Bachmann, Psychologe an der Westfälischen Bernhard-Salzmann-Klinik Gütersloh
Gütersloh (lwl). Rund 150.000 Menschen in Deutschland spielen regelmäßig am Automaten. Auch das Internet bietet der Spielsucht eine neue Plattform. Mit diesem Thema beschäftigt sich am Donnerstag, 1. September 2005, von 9.30 Uhr bis 16.15 Uhr im Kreishaus Gütersloh zum 40-jährigen Bestehen der Bernhard-Salzmann-Klinik Gütersloh eine Tagung. Dort erörtern Experten die Facetten der Behand-lungsangebote, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in seiner Klinik anbietet. Im Vorfeld gab Dr. Meinolf Bachmann, deutschlandweit anerkannter Experte für Spielsucht an der Gütersloher Klinik, ein Interview. Vor kurzem veröffentlichte er zusammen mit Prof. Dr. Gerhard Meyer die zweite Auflage des Buches Spielsucht, indem die Autoren Kapitel zur Spielsucht im Internet und konkrete Arbeitsmaterialien neu aufgenommen haben.
LWL: Woran erkennt man Spielsucht?
Dr. Bachmann: Alkoholabhängige haben oft eine Fahne, Drogenabhängige wirken oft unkontrolliert, dagegen ist das Erkennen der Spielsucht sehr schwierig. Familienmitglieder, Freunde und Arbeitskollegen müssen schon genau hinsehen. Man ist auch nicht gleich spielsüchtig, wenn man ab und zu in ein Casino geht. Spieler riskieren Vermögenswerte, setzen ihre eigene Existenz aufs Spiel, verspielen schnell Tagessätze von 300 bis 400 Euro an Automaten oder im Internet. Sie geben das Haushaltsgeld fürs Spielen aus, füllen ihre Freizeit damit und nehmen unüberlegte Kredite auf. Oft dauert es jedoch Jahre bis die Familie, Freunde oder Kollegen die Spielsucht erkennen. Im Betrieb können Spieler auffallen, wenn sie plötzlich das Arbeitsverhalten ändern, Lustlosigkeit auftritt, sich ständig Geld leihen oder Gehaltspfändungen drohen. Es ist wichtig, Betroffene anzusprechen. Für die Region Westfalen-Lippe bietet der in der Bernhard-Salzmann-Klinik angesiedelte Fachdienst für betriebliche Suchtprävention des Integrationsamtes verschiedene Ausbildungen zum Ansprechpartner Sucht im Unternehmen an. Es ist wichtig, die Betriebe für dieses häufiger vorkommende Problem zu sensibilisieren. Menschen, die häufig im Internet oder an Automaten spielen, sollten sich aber auch selbst fragen: Habe ich mir schon einmal vorgenommen, nicht zu spielen und doch gespielt? Halte ich mich an persönliche Grenzen und kann ich mich selbst kontrollieren? Habe ich mich sozial zurückgezogen, Interessen aufgegeben und keine andere Freizeitbeschäftigung mehr?
LWL: Wo liegen die Ursachen der Spielsucht?
Dr. Bachmann: Darüber gibt es kaum gesicherte Erkenntnisse. Man geht davon aus, dass die Kontakt- und Konfliktfähigkeit eher nachlassen und gerade in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten, bei einem erhöhten Angebot an Glücksspielmöglichkeiten, Menschen vor ihren Problemen in Glücksspielen und auch virtuelle Spielhöllen flüchten, wo der Traum vom großen Geld lockt. Tatsächlich tritt der erhoffte Gewinn nie ein, aber Automaten gaukeln dem Spieler vor, er hätte Kompetenzen und die richtige Taktik, so dass er hoffnungsvoll weiter spielt. Das Geld verleiht dem Glücksspiel seine eigentliche Bedeutung, es verkörpert das Maß aller Dinge in unserer Gesellschaft und ermöglicht Befriedigung vielfältiger Bedürfnisse, kann Träume wahr werden lassen. Das Spielen bekommt eine Eigendynamik, Entzugserscheinungen und Kontrollverlust entstehen. Spieler wissen, dass sie ihr letztes Geld verspielen, gehen dennoch irrationalen Gedanken nach und entscheiden sich gegen ihre Vernunft für den Kick und am Automaten.
LWL: Was sind die Folgen der Spielsucht?
Dr. Bachmann: Aufgrund des stetig hohen Einsatzes und des Gefühls ¿bald kommt der große Gewinn¿, gibt es Beschaffungskriminalität ähnlich wie bei Drogenabhängigen. 22 Prozent der Spielsüchtigen haben mehr als 25.000 Euro Schulden. Spieler sind in großen finanziellen Nöten, häufig depressiv und selbstmordgefährdet. Sie kommen schneller in ausweglose Situationen, bestehlen ihre eigene Familie, plündern sogar die Sparschweine der Kinder, oder pumpen Arbeitskollegen an. Manchmal verlagern sich Süchte: Der Spieler beginnt zu trinken oder der Drogenabhängige zu spielen. Auch Herz- und Kreislaufprobleme können auftreten.
LWL: Hat sich die Zahl der Spielsüchtigen in letzter Zeit verändert?
Dr. Bachmann: Vor eineinhalb Jahren kam der erste Internet-Glücksspieler zu uns in die Klinik. Diese Art von Spielern ruiniert sich vom Wohnzimmer aus. Im Internet wird es den Betroffenen sehr leicht gemacht: Sie erhalten Gratis-Jetons für den Start, können bequem per Kreditkartennummer und damit später ¿bezahlen¿, brauchen kein Kleingeld und es geht direkt von zu Hause los. In Gütersloh behandeln wir Spielsucht seit zwanzig Jahren, über 90 Prozent der Patienten sind Männer. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass mit größeren Zahlen betroffener Frauen zu rechnen ist. Patienten berichten ebenfalls, dass nun vermehrt auch Frauen an Automaten spielen. Von unseren derzeit 120 Patienten in Gütersloh, sind 15 bis 20 Spieler. Vergangenes Jahr waren es insgesamt 72. Bundesweit gibt es rund zehn Kliniken mit einem Spielsucht-Schwerpunkt. 1985 fingen wir mit einem Spieler an. Der Bedarf wächst.
LWL: Die Einsparungen im Gesundheitsbereich steigen, Therapiezeiten werden verkürzt, wie gehen Sie damit in Gütersloh um, wie sieht ihre Therapie aus?
Dr. Bachmann: In den 80er und 90er Jahre waren Therapien rund sechs Monate lang, jetzt oft nur acht bis zwölf Wochen. Die Spieler bekommen zunächst eine Ausgangssperre, damit sie nicht an Internetspiele oder Automaten gelangen und Rückfälle vermieden werden. Besonders schwer ist es für die Therapeuten, das Loch zu füllen, das das Spielen hinterlässt. Die Spieler empfinden schnell Langeweile, drängen zu extremer Aktivität. Unser Ziel ist es, dass die Patienten vielfältiger werden, neue Interessen entwickeln und so innere Leere überwinden. Gestaltungstherapie, Gartenarbeit oder auch Sport helfen. Konkrete Pläne, Interessensschwerpunkte und Anregungen für das Leben nach der Entwöhnung werden ausgearbeitet. Die normale Alltagskompetenz muss ebenso neu erlernt werden wie die Erkenntnis, dass auch fünf Euro einen Wert besitzen. Dabei wird auch das soziale Umfeld mit einbezogen. Bei der Schuldenregulierung helfen Experten den Patienten, indem sie mit ihnen Pläne ausarbeiten. Der Arbeitsplatz ist dann wichtige Motivation, die nächsten Jahre trotz finanzieller Probleme zu überstehen. Er ergänzt eine geordnete Tagesstruktur und soziale Kontakte. Aufgrund der verkürzten Therapiezeiten haben wir in der zweiten Auflage des Spielsucht-Buches auch konkretere Arbeitsblätter und Anleitungen zu einer systematischen und stärker strukturierten Therapieplanung beigefügt. Insgesamt dürfen die Patienten nicht das Gefühl eines Verzichts haben, sondern müssen die Abstinenz als bereichernden Vorteil erleben.
Achtung Redaktionen: Während des Festaktes mit Symposium der Bernhard-Salzmann-Klinik am kommenden Donnerstag, 1. September, im Gütersloher Kreishaus, Herzebrocker Straße 140, stehen Ihnen als Ansprechpartner Ulrike Dickenhorst (Therapeutische) und Dr. Ulrich Kemper (Chefarzt), Telefon: 05241 502-551, zur Verfügung.
Pressekontakt:
Anne Reploh, Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org
Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.
Der LWL auf Facebook:
https://www.facebook.com/LWL2.0
zur Druckansicht dieser Seite
zu den aktuellen Presse-Infos