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Mitteilung vom 01.07.05

Presse-Infos | Der LWL

AltersRuheStörung. Was tun?

Bewertung:

Alte Menschen mit psychischen Störungen, da sind viele, weithin verborgene Gesichter: eine Million Demenzkranke in Deutschland, 300.000 allein in NRW; verzweifelnde, mit Pflege überlastete Angehörige; die depressiv gestörten Älteren; Seniorinnen und Senioren mit Wahnideen oder einem Suchtproblem. Tabus, Scham, mangelnde Aufklärung behindern häufig Hilfe. Es hapert am Austausch zwischen Betroffenen und ¿ihrem¿ Arzt. Erst recht am Austausch mit den Fachleuten. Gerade die Experten/-innen in der Gerontopsychiatrie (Alterspsychiatrie) machen aber differenzierte Beratungs- und Behandlungsangebote für die an der Seele krank gewordenen Menschen jenseits der 60.

Betroffene finden Hilfe rund um die 24 gerontopsychiatrischen Einrichtungen im PsychiatrieVerbund des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) ¿ in Bochum, Dortmund, Gütersloh, Iserlohn, Hemer, Herten, Lengerich, Lippstadt, Marsberg, Münster, Paderborn und Warstein.

Das Thema heute:


¿Das Verständnis wächst ungemein¿
Beispiel gebende Projekte: Schüler treffen psychisch kranke alte Menschen

Gütersloh (lwl).
Am Anfang stehen erstmal Vorbehalte, Scheu und Angst. Welcher junge Mensch geht schon von sich aus in eine psychiatrische Klinik, um dort fremde, seelisch kranke Patientinnen und Patienten zu treffen und zu betreuen? Zumal Patienten, die im fortgeschrittenen Alter ein psychisches Leiden dorthin gebracht hat. Ein solches Vorhaben erscheint auf den ersten Blick realitätsfern, die Idee zu dieser Art Begegnung fast sogar ein wenig verrückt.

¿Es war schon ein bisschen komisch¿, erzählt die Hauptschülerin Elisabeth Dag (18). Als sie im November vergangenen Jahres gemeinsam mit ihrer 17-jährigen Freundin Felicitas Schmidt das erste Mal die gerontopsychiatrische Station in der Westfälischen Klinik Gütersloh des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) betrat, da verspürte sie ¿Angst und ein sehr mulmiges Gefühl im Bauch¿. Die hier untergebrachten psychotischen, unter Wahnvorstellungen leidenden Menschen waren ihr suspekt. ¿Sie taten mir leid¿, sagt Felicitas Schmidt. Wenn ein Patient plötzlich anfing zu weinen oder zu schreien, dann jagte ihr das Angst und Schrecken ein. ¿Wir konnten damit zunächst gar nichts anfangen¿, gibt Elisabeth Dag zu.

Inzwischen haben die beiden Hauptschülerinnen erfahren, dass die Patienten ihnen ¿nichts antun¿. Sie gehen mit ihnen spazieren, unterhalten sich mit ihnen, lesen aus der Zeitung vor und leisten kleine Hilfestellungen beim Waschen sowie beim Austeilen der Mahlzeiten.

Nicht nur Felicitas Schmidt und Elisabeth Dag hätten ¿wertvolle Erfahrungen¿ gemacht, meint die Lehrerin Ingrid Engler. Sie leitet dieses Projekt, das im Rahmen des so genannten Wahlpflichtunterrichtes stattfindet. Insgesamt zehn Schülerinnen und Schüler der Gütersloher Hauptschule Nord nehmen daran teil. Ein ganzes Schuljahr lang sind sie jeden Montagnachmittag in der gerontopsychiatrischen Abteilung der Westfälischen Klinik anwesend. Auf den Schwerpunktstationen für alte Menschen mit Demenzerkrankungen, Psychosen, Depressions- und Suchterkrankungen sowie in der Tagesklinik und in der Tagespflege sammeln sie ganz unterschiedliche Eindrücke. Diese werden dann später im Schulunterricht aufgearbeitet.

Zu Beginn des Projektes erhalten die Schülerinnen und Schüler stets eine Einführung von Michael Löhr. Der Assistent der Pflegedirektorin steht den Schülerinnen und Schülern als ständiger Ansprechpartner zur Verfügung. ¿Die Verbindung von Alt und Jung funktioniert¿, sagt Löhr. Die Westfälische Klinik habe in all den Jahren, in denen dieses wohl einmalige Projekt existiert, ¿so gut wie keine Probleme¿ gehabt. Gleiches gelte im Übrigen auch für Gymnasiasten, die regelmäßig ein viertägiges Praktikum auf den Klinik-Stationen absolvieren. Nach Ansicht von Löhr ist es sinnvoll, junge Menschen an möglichst viele Dinge des psychiatrischen Alltags heranzuführen. Dazu gehöre auch die ¿Konfrontation mit dem seelischen Leid im Alter¿.

Löhr und die zuständigen Krankenpfleger achten jedoch darauf, dass die Schülerinnen und Schüler vor ¿extremen Erlebnissen geschützt¿ werden. So bleibt für sie der Umgang mit sterbenden Menschen zum Beispiel außen vor. Auch wenn Patienten aus Gründen der Selbst- und Fremdgefährdung ausnahmsweise fixiert werden müssen, dürfen sie nicht zugegen sein.

Manchmal, sagt Löhr, könne aber sogar das Fachpersonal von den Kids noch etwas lernen. So habe eine Schülerin beispielsweise herausgefunden, dass eine demenzkranke und körperlich schwer gehandicapte alte Frau beim Spiel noch den Würfel rollen konnte. ¿Daraus haben sich für unsere Ergotherapeuten neue Therapieansätze ergeben¿, erinnert sich Löhr.

Die Lehrerin Ingrid Engler erzählt, wie die Anwesenheit und Arbeit in der Gerontopsychiatrie den Blick ihrer Schülerinnen und Schüler allmählich verändert habe. ¿Plötzlich sehen sie Dinge, die ihnen vorher gar nicht aufgefallen waren¿, sagt Engler. So habe kürzlich eine Schülerin in der Stadt einer alten Frau helfen können, die längere Zeit orientierungslos umhergeirrt war, ohne dass es jemand bemerkt hatte. ¿Das Verständnis für solche Vorgänge wächst ungemein¿, sagt Michael
Löhr.

Er ist stolz darauf, dass die meisten Schülerinnen und Schüler am Ende des Projektes ¿mit einem positiven Gefühl hier herausgehen¿. Einige kommen sogar freiwillig zurück und gehen mit dem einen oder der anderen Erkrankten am Nachmittag spazieren. Sie haben dann begriffen, dass psychiatrische Erkrankungen ¿normal¿ sind. Dass sie zu unserem Leben gehören. Einerlei, ob dieses Leben noch jung und unbeschwert ist oder schon alt und gebrechlich.


INFO
In der LWL-Klinik Gütersloh gibt es regelmäßige Begegnungen zwischen jungen Menschen von ¿draußen¿ und seelisch erkrankten Senioren/innen ¿drinnen¿ seit mehr als zehn Jahren. Im Rahmen von Projekten nehmen Gymnasiasten und Hauptschüler dort immer wieder Einblick in den Alltag von Patientinnen und Patienten. Jedes Schüler-Projekt diene dazu, ¿Vorurteile abzubauen¿, sagt die Klinik-Pflegedirektorin Rita Elpers. Die jungen Menschen könnten im direkten Kontakt mit den Medizinern, Pflegern und Betroffenen ¿am besten die Grundregeln der Psychiatrie erlernen¿ und verstehen, warum die Menschen hier Hilfe brauchen.



Pressekontakt:
Karl G. Donath, Tel. 0251 591-235
presse@lwl.org




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Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


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