LWL-Newsroom

Mitteilung vom 16.06.05

Presse-Infos | Der LWL

AltersRuheStörung. Was tun?

Alte Menschen mit psychischen Störungen, da sind viele, weithin verborgene Gesichter: eine Million Demenzkranke in Deutschland, 300.000 allein in NRW; verzweifelnde, mit Pflege überlastete Angehörige; die depressiv gestörten Älteren; Seniorinnen und Senioren mit Wahnideen oder einem Suchtproblem. Tabus, Scham, mangelnde Aufklärung behindern häufig Hilfe. Es hapert am Austausch zwischen Betroffenen und ¿ihrem¿ Arzt. Erst recht am Austausch mit den Fachleuten. Gerade die Experten/-innen in der Gerontopsychiatrie (Alterspsychiatrie) machen aber differenzierte Beratungs- und Behandlungsangebote für die an der Seele krank gewordenen Menschen jenseits der 60.

Betroffene finden Hilfe rund um die 24 gerontopsychiatrischen Einrichtungen im PsychiatrieVerbund des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) ¿ in Bochum, Dortmund, Gütersloh, Iserlohn, Hemer, Herten, Lengerich, Lippstadt, Marsberg, Münster, Paderborn und Warstein.

Das Thema heute:

Depressiv seit 20 Jahren:
Beinahe wäre Schluss gewesen


Seit fast 20 Jahren leidet Charlotte N. (67) an Depressionen:

Westfalen (lwl).
¿Ich wollte nur nicht mehr denken.¿ Es war kurz vor Weihnachten. Charlotte N. hatte sich von ihrem Freund getrennt, war zur Tochter gezogen. ¿Ich wollte nicht Schluss machen¿, beteuert sie, drückt die Hände um den Zeigefinger ineinander. Trotzdem hatte sie Tabletten genommen, zu viele. Die 67-Jährige wurde gerettet. Das ist jetzt ein halbes Jahr her.

Seit fast 20 Jahren lebt Charlotte N. mit der Gefahr so abzustürzen. Sie ist krank, hat immer wieder schwere Depressionen. Aber die Frau auf der anderen Seite des Tisches passt nicht zu dem Klischee, das viele Menschen von Depressiven in ihren Köpfen haben. Niedergedrückt wirkt die modisch gekleidete, selbstbewusste Frau mit den kurz geschnittenen und eingefärbten Haaren nicht. Die Schicksalsschläge, von denen sie erzählt, passen da schon eher ins gängige Bild.

Beinahe wäre nämlich Schluss gewesen ¿ für immer. Das Leben war mal wieder zu viel für Charlotte N. geworden: ¿Da war ich wieder im Eimer.¿

Sie wird rechtzeitig gefunden, in die Westfälische Klinik eingeliefert, über fünf Wochen behandelt und ¿neu eingestellt¿, bekommt ein anderes Antidepressivum. Diese Tabletten, die den Stoffwechsel bestimmter Botenstoffe im Gehirn steuern, erlösen sie von ihren Depressionen.

Was genau dieses Mal wieder zu ihrem Absturz geführt hat, ist nicht zu ergründen. Depressionen können aus einer Vielzahl von Gründen entstehen. Bei manchen sind es Unfall oder Tod, andere erben die Neigung.

Bei Charlotte N. ist es vermutlich beides. Ihr Bruder ist nach Lebenskrisen depressiv geworden. Die Großmutter hat ebenfalls Depressionen erleiden müssen. Dann die selbst erlebten Schicksalsschläge: Nach dem plötzlichen Tod ihres Ehemanns kurz vor der Silberhochzeit kommt Charlotte N. nicht mehr aus ihrer Trauer hoch. Die beiden Kinder sind halbwegs erwachsen. Aber es ist wenig Geld da, sie muss den ungeliebten Job ihres Mannes übernehmen. ¿Es musste ja weitergehen.¿ Sie dreht die Goldringe an ihren Fingern. ¿Ich hab¿ mich da reingezwungen.¿

Aus einer Kur kommt sie weinend zurück, hatte so gehofft, zuhause alles wie früher vorzufinden. Wie damals, als ihr Mann noch lebte. War aber nicht. Die ¿ganz dolle Depression¿, die in der Kur erstmals festgestellt worden war, brach sich Bahn. ¿Damals sollte ich schon in die Stationäre.¿ Die Tochter habe das ¿total verhindert¿. Ihre Mutter in der ¿Psychiatrischen¿, das wollte und konnte die Tochter nicht ertragen. Also gab es über Monate eine ambulante Behandlung der Depression der Mutter in einem spezialisierten Krankenhaus. Kurze Zeit später der nächste Schlag: Sie bekommt eine Gehirnblutung.

Charlotte N. liegt im Koma, ist anschließend verwirrt. Über ein Vierteljahr lernt sie wieder leben, sprechen, essen, reden. Nach der Hirnblutung wurde sie ¿kaputt geschrieben¿. Die Rentnerin trauert der zunächst ungeliebten Arbeit doch nach. ¿Ich hab¿ da viel vorm Fenster gesessen.¿

Kaum aus der Rehabilitation daheim, erfährt sie von einer schweren Darmerkrankung ihrer Tochter. Über zwei Jahr hat sie dann das ¿Häufchen Elend gepflegt und gepflegt.¿ Ihre Augen röten sich. ¿Wenn man da drin ist¿, sagt Charlotte N. und atmet tief gegen die Tränen an, ¿da schafft man einiges.¿

Sie nimmt weiter über Jahre hinweg ihre Anti-Depressiva, die ihr ein Leben ohne Abstürze ermöglichen. Der elegante Lebensgefährte, den sie kennen gelernt hat, entpuppt sich als egoistischer Trinker. Doch ganz getrennt hat sie sich bis heute nicht von ihm. ¿Ich hab nicht die Kraft, damit Schluss zu machen.¿ Er hilft ihr beim Betreuen der Tochter, die mit den Folgen ihrer Krankheit nicht fertig und schnell zur starken Alkoholikerin wird.

Die Tochter ¿berappelt sich¿ in einer Therapie, ist heute über den Berg. Charlotte N. schöpft Hoffnung. Über drei Jahre ¿lief das alles so toll ¿ und dann kam das dazwischen.¿

Das ¿das¿ ist die Weihnachtszeit vorm halben Jahr. Schon früher hat sie dieses gefühlsbeladene ¿das¿ nicht gemocht. Nur als die Kinder kleiner waren, da fand sie das Fest schön.

Diesmal geht an der ¿Stationären¿ kein Weg vorbei. Charlotte N. wacht erst dort wieder auf. Jetzt lacht sie über ihre eigenen Vorurteile gegenüber der Klinik und scherzt über Mitmenschen, die nicht mit seelischen Erkrankungen umgehen können. Nach den fünf Wochen stationärer Behandlung hat Charlotte N. die Senioren-Tagesklinik in der Klinik drei Wochen lang besucht: Gymnastik, Therapien, Gespräche von morgens 8 bis 16.30 Uhr. Abends und am Wochenende lebt sie sich langsam zuhause wieder ein. Einmal pro Woche besucht sie einen Treff ehemaliger Patienten des Krankenhauses ¿zum Klönen¿. Und die Krankenkasse bezahlt ihr jetzt eine Einzeltherapie. ¿Das tut mir auch gut¿, meint Charlotte N. Sie blickt nach draußen in den sonnigen Park, schaut auf die Uhr und hat es plötzlich eilig. ¿Ich will noch in den Garten. Da wächst es jetzt so gut.¿

Info
Fünf Prozent der über 65-Jährigen in Deutschland haben eine behandlungsbedürftige Depression, schätzen Fachleute. Sie geht oft mit einem hohen Selbsttötungsrisiko einher. Etwa 40 Prozent der bundesweit rd. 12.000 Suizide verüben Menschen über 60, Männer sehr viel häufiger als Frauen.

Älteren Menschen nahe Stehende sollten scheinbar beiläufige Suizid-Äußerungen genauso als Warnsignale ernst nehmen wie sie die Anzeichen einer Depression nicht als lediglich altersbedingte Verschleißerscheinung abtun sollten. Wer sich nicht mehr freuen, nicht mehr hoffen kann, wer innere Leere, anhaltende Traurigkeit, Niedergeschlagenheit und Resignation fühlt und bei wem Zweifeln und Grübeln das Nachdenken ablösen ¿ der braucht vielleicht fachärztliche Abklärung und Hilfe. Oftmals bleiben Depressionen auch hinter vermeintlich rein körperlichen Beschwerden oder hinter einem Suchtproblem verborgen.

In 80 Prozent der Fälle ist eine Depression gut behandelbar. Medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung braucht vor allem Zeit und Geduld, sonst drohen Rückfälle. Und neben vielfältigen therapeutischen Angeboten bis hin zur Lichttherapie oder dem ärztlich kontrollierten Schlafentzug können auch Laien die Selbstheilungskräfte stärken helfen: Indem sie depressiv Erkrankten nämlich zu aktiven und abwechslungsreichen Alltagsgestaltungen verhelfen mit viel Bewegung und Beschäftigung, mit Ermunterung und Unterstützung. Merke: Depressive wollen, aber sie können nicht ¿ nicht umgekehrt.



Pressekontakt:
Karl G. Donath, Tel. 0251 591-235
presse@lwl.org




Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


Der LWL auf Facebook:
https://www.facebook.com/LWL2.0




zur Druckansicht dieser Seite

zu den aktuellen Presse-Infos