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Mitteilung vom 22.03.05

Presse-Infos | Der LWL

LWL-Jugenddezernent:
¿Patentrezepte der Super-Nanny-Shows helfen nur wenig¿

Das Reality-TV ist im Kinderzimmer angekommen. Neuerdings machen Privatsender mit Er-ziehungsproblemen Quote. Zunächst zeichnen sie mit einem Zusammenschnitt aus Geschrei, Tränen und Wut ein Bild der erzieherisch überforderten Familie. Dann zieht eine ¿Super-Nanny¿ oder ¿Super-Mama¿ ein, bringt allen Familienmitgliedern ein paar Regel bei und zwei Wochen später verlässt sie eine Musterfamilie. Im Interview beurteilt Hans Meyer, Jugendde-zernent des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), die Erziehungsshows aus Sicht der Jugendhilfe.

Frage:
Wenn die ¿Super Nanny¿ oder die ¿Supermamas¿ im Fernsehen mit einfachen Rezepten aus dem quengelnden Nachwuchs in zwei Wochen brave Kinder macht, sitzen Woche für Woche fünf Millionen Zuschauer vor dem Fernseher. Macht das die überlaufenen und für die Träger teuren Bera-tungsstellen überflüssig?

Hans Meyer: Das sicher nicht. Die Fernsehpädagoginnen bringen den Eltern zwar immer wieder wichtige Grundsätze ins Gedächtnis: Dass sie ihren Kindern Grenzen setzen und diese konsequent durchsetzen müssen, dass sie sich Zeit für gemeinsame Unternehmungen nehmen und Botschaften an ihre Kinder klar formulieren. Doch das alleine reicht nicht aus.
In der Erziehung gibt es nun einmal keine einfachen
Patentrezepte, da Kinder und Eltern verschieden sind. Deshalb
sollten Eltern, die mit ihren Kindern ernsthafte Probleme haben, auf jeden Fall frühzeitig professionel-le Hilfe in Beratungsstellen suchen.

Frage: Was bedeuten solche Fernsehsendungen für die Familien, die gezeigt werden?

Hans Meyer: Für die gezeigten Familien halte ich das für respektlos und entwürdigend. Nachbarn und Klassenkameraden fällt es künftig sicher schwer, die Kinder unvoreingenommen zu akzeptieren. Ernsthafte Erziehungsprobleme dürfen nicht dazu herhalten, um voyeuristische Interessen zu befrie-digen und Quote zu machen.

Frage: In der TV-Nanny-Welt werden Kinder, die sich nicht an die vorgegebenen Regeln halten, so-lange auf einem ¿stillen Stuhl¿ verbannt, bis sie die Vorgaben akzeptieren. Funktioniert Erziehung wirklich so einfach?

Hans Meyer: Leider nein. Einerseits helfen klare Regeln und Rituale den Kindern dabei, die Welt zu verstehen. Denn auch zu viel Freiheit kann sie verunsichern und im Endeffekt aggressiv machen. Andererseits ist eine allzu rezepthafte und autoritäre Erziehung zu Gehorsam noch schädlicher. Erziehung braucht Zeit, Eltern müssen ihre Kinder mit all ihren bisweilen anstrengenden Facetten annehmen und ihnen die Chance geben, aus eigenen Fehlern zu lernen. Kinder dürfen nicht zu lange klein gehalten werden, sondern müssen rechtzeitig lernen, Verantwortung zu übernehmen. Ganz wichtig ist, dass Eltern ihnen Werte wie Rücksichtnahme, Gewaltlosigkeit und Wahrheitsliebe vorleben. Ein ¿stiller Stuhl¿ mag in einigen Fällen helfen, ein Allheilmittel ist er sicherlich nicht.

Frage: Der große Erfolg der TV-Erzieherinnen zeigt den Bedarf an Erziehungshilfe. Wie kann die Jugendhilfe darauf reagieren?

Hans Meyer: Die Jugendhilfe muss noch mehr auf die Eltern zugehen ¿ zum Beispiel indem sie zu Erziehungsfragen Elternabende in Kindergärten oder Schulen anbietet. Wenn Eltern die Berater persönlich kennen, trauen sie sich eher bei Problemen in die Beratungsstellen. Außerdem müssen wir den Eltern noch deutlicher machen, dass wir ihnen die Kinder nicht wegnehmen wollen, sondern ihnen viele Hilfen von der Beratung bis zur Betreuung in den eigenen vier Wänden anbieten.

Frage: Warum kommen denn nicht alle Eltern mit Erziehungsproblemen in die Beratungsstellen?

Hans Meyer: Für viele Eltern ist der Gang in die Beratungsstelle mit dem Gedanken verbunden ¿Ich habe bei der Erziehung meiner Kinder versagt¿. Das ist natürlich falsch.

Frage: Wie kann man dem entgegenwirken?

Hans Meyer: Die Zielrichtung muss stärker darauf ausgerichtet sein, nicht allein die Kinder und Jugendlichen und deren Probleme zu bearbeiten. In erster Linie muss es darum gehen, die Eltern zu stärken und ihnen dabei zu helfen, ihre Elternrolle besser wahrnehmen zu können. Die Eltern müssen die Fachkräfte im Hilfeprozess stärker als Partner verstehen.

Frage: Unter Bezeichnungen wie ¿Starke Eltern ¿ Starke Kinder¿, STEP (Systematic Training for Effective Parenting) oder ¿Triple P¿ (Positive Parenting Programm) drängen zahlreiche mehr oder weniger kommerzielle Elternkurse auf den Markt. Was halten Sie davon?

Hans Meyer: Ich freue mich, dass zur Zeit viele neue Ideen entwickelt werden, die den Eltern bei Erziehungsproblemen helfen. Es sind bei weitem nicht nur kommerzielle Programme, die auf den Markt drängen. Sicherlich muss man die neuen Ansätze differenziert betrachten, eine voreilige und pauschale Kritik ist aber auch falsch.

Frage: Was muss jetzt geschehen?

Hans Meyer: Wichtig ist, dass die Wirksamkeit der neuen Angebote möglichst schnell untersucht wird. Hier sind neben den Trainingsanbietern vor allem die Jugendämter und das Land als Kostenträger gefordert. Bei diesen Prüfungen muss man im Auge behalten, wie neue Angebote in die Arbeit von bestehenden Institutionen wie Erziehungsberatung und Familienbildung eingebunden werden können. Denn es ist wichtig, dass Eltern sich vor einem Training informieren lassen, damit sie das passende Training oder eine andere Lösung für ihr konkretes Problem finden. Schließlich kann auch ein noch so gutes Elterntraining nicht jedes Erziehungsproblem lösen.


Interessierte können Adressen von Beratungsstellen/Trainingskursen bei ihrem zuständigen Jugendmt erfragen. Die Adressen der Jugendämter finden Sie im Internet unter https://www.lwl.org/LWL/Jugend/Landesjugendamt/Jugendhilfe/javerz/index2_html



Pressekontakt:
Markus Fischer, Tel. 0251 591-235
presse@lwl.org



Links:
http://www.lwl.org/LWL/Jugend/
Landesjugendamt/Jugendhilfe/javerz/index2_html



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Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


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