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Mitteilung vom 08.10.04

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¿Der Kampf für den gesunden Nachwuchs¿ - LWL-Buch untersucht die Anfänge der medizinischen Geburtshilfe vor 100 Jahren

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Münster/Dortmund/Bochum (lwl). Kurpfuscherei, gefährliche Empfängnisverhütung und die Rohheit der Hebammen galten um 1900 im Deutschen Reich als Gründe für die alarmierend hohe Zahl von Säuglingen und Müttern, die bei oder kurz nach der Geburt starben und damit auch als Gründe für den deutlichen Geburtenrückgang. Deshalb riefen Ärzte und Sozialpolitikerinnen zum ¿Kampf für den gesunden Nachwuchs¿ auf. Unter diesem Titel skizziert ein Buch, das der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) jetzt herausgebracht hat, die Entwicklung der Gesundheitsvorsorge an der Wende zum 20. Jahrhundert.

Die Lebensbedingungen der Kinder zu verbessern, ist bis heute ein Dauerthema geblieben: ¿Aus dem ursprünglich individuell-medizinischen Problem, bei dem es vor allem darum ging, dass das einzelne Kind überlebte, ist innerhalb von 100 Jahren ein sozialpolitisches geworden, bei dem es darum geht, die demografische Entwicklung zu beeinflussen. Das wollte man zwar auch schon im Kaiserreich, doch heute geht es nicht um nationale Stärke, sondern darum, die Alterspyramide nicht noch weiter aus dem Gleichgewicht zu bringen. Aus medizinischer Sicht ging die Reform des Hebammenwesens jedenfalls in die richtige Richtung: Die Sterblichkeit der Neugeborenen sank in der Zeit von 1900 bis 1920 von 25 auf zehn Prozent¿, bilanzieren die Autorinnen.


Entscheidend war, dass die Säuglingssterblichkeit nicht mehr als unabwendbares Schicksal hingenommen wurde, sondern als Problem gesehen wurde, das bekämpft werden konnte. Für diese Einsicht gab es mehrere Gründe: Zum Einen entwickelte sich die Medizin und die Hygiene in dieser Zeit rasant, und die Städte bemühten sich, die Gesundheit ihrer Einwohner zu verbessern. ¿Andererseits machte sich die Sorge breit, dass Deutschlands Stärke mit dem mangelnden Nachwuchs schrumpfen könnte¿, schreiben die Autorinnen Silke Butke und Astrid Kleine, die bei ihren Archivforschungen auch ¿patriotische Gründe¿ für die Anfänge der medizinischen Geburtshilfe ausgemacht haben.

Eng verbunden mit der Säuglingsfürsorge waren die Versuche, das Hebammenwesen zu reformieren. Denn im Deutschen Reich war die Ansicht weit verbreitet, dass die Hebammen für alle Missstände bei der Geburtshilfe verantwortlich seien. Um den neuen Anforderungen zu genügen, sollten die Ausbildung verbessert, das Fachwissen der Geburtshelferinnen vergrößert und gebildete junge Frauen für den bisher nur wenig angesehenen Beruf gewonnen werden. Denn man bezweifelte, ¿dass sich aus dem bisher üblichen Rohmaterial jemals werden Hebammen zurechtstutzen lassen, die den jetzt höheren an sie zu stellenden Anforderungen gerecht werden können. Die moderne Geburtshilfe passt nicht für die rohen und schmutzigen Hände und für die rohe Denkweise der niederen Volksschichten, wir verlangen Frauen der gebildeten Stände als Geburtshelferinnen¿, wie es in einem 1883 vor dem Ärzte-Verein gehaltenen Vortrag hieß.

Doch verschiedene Probleme wie die schlechte Bezahlung oder die Reglementierung durch die Behörden beeinträchtigten die Arbeit der Hebammen, die ihrerseits begannen, ihre Rechte zu vertreten.

Silke Butke und Astrid Kleine beschreiben in dem Buch, das in der Reihe ¿Forum Regionalgeschichte¿ des LWL-Institutes für Regionalgeschichte erschienen ist, nicht nur die allgemeinde Entwicklung und Ausweitung der Gesundheitsfürsorge an der Wende zum 20. Jahrhundert, sie berücksichtigen auch die demographische Entwicklung, den Ausbau der medizinischen Infrastruktur und die bevölkerungspolitischen Debatten jener Zeit. Am Beispiel des damaligen Landkreises Bochum beleuchten die Autorinnen die Entwicklung des Hebammenwesens und den Wandel der Geburtshilfe unter dem Einfluss des medizinischen Fortschritts. Für Münster und Dortmund zeigen sie außerdem, mit welchen zusätzlichen Anforderungen die noch junge Säuglingsfürsorge während des Ersten Weltkrieges konfrontiert wurde. Dazu zählt zum Beispiel die schwierige Ernährungslage.

Silke Butke/Astrid Kleine: Der Kampf für den gesunden Nachwuchs
Geburtshilfe und Säuglingsfürsorge im Deutschen Kaiserreich
(Forum Regionalgeschichte 11), Ardey-Verlag Münster 2004.
224 Seiten, brosch., 12,90 ¿, ISBN 3-87023-210-2



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Markus Fischer, Tel. 0251 591-235
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