Mitteilung vom 03.06.04
Presse-Infos | Der LWL
LWL-Wanderausstellung "Kunst im Brennpunkt des 20. Jahrhunderts" zeigt Zeichnungen und Plastiken von Tisa von der Schulenburg
Soest (lwl). Keinesfalls harmonisch-schön sind die Zeichnungen von Tisa von der Schulenburg. Vielmehr wollen die harten Federstriche Täter anklagen und sich zugleich mit Kriegs- und Holocaust-Opfern, mit Vertriebenen, Verfolgten, Kranken und Ausgebeuteten solidarisieren. Unter dem Titel "Tisa von der Schulenburg ¿ Kunst im Brennpunkt des Zwanzigsten Jahrhunderts" schicken der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), die Tisa-von-der-Schulenburg-Stiftung und das Ursulinenkloster Dorsten rund 100 ihrer Zeichnungen und einige Plastiken auf eine acht Stationen umfassende Wanderausstellung durch Westfalen. Die Ausstellung zeigt nicht nur einen repräsentativen Querschnitt durch das Gesamtwerk Tisa von der Schulenburgs, sondern am Beispiel ihrer wechselvollen Biografie auch ein wichtiges Kapitel
deutscher Geschichte.
Tisa von der Schulenburg wurde 1903 als Tochter eines preußischen Generals geboren und erhielt eine traditionelle Erziehung an einer kaiserlich-preußischen Eliteschule. Ermutigt von Max Liebermann reifte in ihr bereits nach dem Ersten Weltkrieg (1914 ¿ 1918) der Wunsch Künstlerin zu werden, ab 1926 besuchte sie die Berliner Kunstakademie. Sie verkehrte im deutsch-jüdischen Milieu um den Bankier Hugo Simon, in dessen Haus damals viele berühmte Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler ein und aus gingen und heiratete 1928 den jüdischen Textilmillionär Fritz Hess.
Nach der so genannten Machtergreifung emigrierte sie mit ihrem Mann nach England. Hier unterstützte sie 1936/37 mit anderen linksgerichteten Künstlern den Arbeitskampf der streikenden englischen Bergarbeiter. In dieser Zeit scheiterte nicht nur ihre Ehe: Als 1939 ihr Vater starb, kam sie zur Beerdigung nach Deutschland zurück. Diese hatte die SS organisiert, weshalb sie bei der Rückkehr nach England unter dem Verdacht stand, eine nationalsozialistische Spionin zu sein und nicht mehr einreisen durfte. In Hitlerdeutschland festgesetzt, heiratete sie ihren Jugendfreund C. U. von Barner, der in Mecklenburg ein Landgut besaß. Während des Krieges "überwinterte" sie dort. Über ihren Bruder Fritz Dietloff Graf von der Schulenburg kam sie mit dem deutschen Widerstand um Stauffenberg in Kontakt.
Bei Kriegsende floh Tisa von Schulenburg in die britische Besatzungszone. Hier schaffte sie als Journalistin einen Neuanfang. Dabei kam sie erneut mit dem Bergarbeitermileu in Kontakt. Nachdem auch ihre zweite Ehe gescheitert war, wagte sie eine komplette Neuorientierung: Die Künstlerin, die immer in "besseren Kreisen" verkehrte und vor allem während der Weimarer Republik ein ausschweifendes Leben geführt hatte, die durch den Krieg und die Nazidiktatur nicht nur ihre Familie verlor, sondern auch persönlich eine "Stunde Null" erlebte, konvertierte zum katholischen Glauben und trat 1950 in das Dorstener Ursulinenkloster ein, wo sie 2001 starb.
Während all dieser Jahre schuf sie eine Fülle von Zeichnungen und Plastiken. In vielen ihrer Werke beschäftigte sie sich mit der Arbeitswelt der Bergleute, deren anstrengende Tätigkeiten sie unter Tage skizzierte und in beeindruckenden Zeichnungen festhielt. In anderen Arbeiten war Tisa von der Schulenburg bemüht, als Künstlerin Leid, Unrecht und Elend aufzudecken und anzuklagen. "In den Arbeitslosen der Weimarer Republik, den englischen Bergarbeitern der Dreißiger Jahre, in den Flüchtlingen des Nachkriegsdeutschland, in den grausamen Judenvernichtungen des Dritten Reiches und der Verfolgung rassischer Minderheiten der Dritten Welt, in den Kranken, den Ausgestoßenen und Verlassenen fand sie ihre Brüder und Schwestern, deren Leidensweg sie mit harter, spitzer Feder skizzierte. Ihre Zeichnungen entlarven schonungslos Ungerechtigkeit, Brutalität und Unterdrückung. Holocaust und Naziterror, Chile, Biafra, Vietnam sind nur einige Stationen eines unermüdlichen Ringens gegen Hass und Gewalt. Die harten Federzeichnungen klagen die Täter an und nehmen zugleich Anteil", so LWL-Ausstellungsmacher Klaus Kösters. Sie seien von tiefer Humanität erfüllt, solidarisierten sich mit den Opfern der Kriege, den Ausgestoßenen und Verfolgten dieser Welt, den Flüchtlingen und Kranken, den Mühseligen und Ausgebeuteten, so Kösters weiter.
Leitmotiv der Ausstellung ist es, anhand des wechselvollen Schicksals von Tisa von der Schulenburg, das sich in ihren Zeichnungen und Plastiken manifestiert, deutsche Geschichte darzustellen. "Die Kunst ist Teil ihrer Biographie, mit der sie mit wachen Augen das 20. Jahrhundert erlebte und in ihrer Kunst kommentierte. So wird diese Ausstellung im Spiegel der Kunst und der Biografie der Künstlerin ein wichtiges Kapitel deutscher und internationaler Geschichte aufzeigen und gleichzeitig die Frage nach dem gesellschaftlichen und moralischen Engagement von Künstlern und Kunst aufwerfen", so Kösters.
Zur Ausstellung erscheint im Aschendorff-Verlag Münster ein umfangreicher Katalog, der Tisa von der Schulenburgs Lebensweg beschreibt und einen Querschnitt durch ihr Schaffen gibt. Viele Zeitzeugen kommen mit kurzen Erinnerungen an diese ungewöhnliche Frau zu Wort: Klaus Kösters: "Tisa von der Schulenburg ¿ Kunst im Brennpunkt des Zwanzigsten Jahrhunderts", 263 Seiten mit 218 farbigen Abbildungen ihrer Werke, 19,80 ¿. Ausstellung und Katalog sind in Zusammenarbeit mit der Tisa-von-der-Schulenburg-Stiftung und dem Ursulinenkloster in Dorsten entstanden. Der Katalog wurde von der RAG, der THS Treuhandstelle und der IGBCE gefördert.
Tisa von der Schulenburg
Kunst im Brennpunkt des Zwanzigsten Jahrhunderts
Eine Wanderausstellung des LWL-Museumsamtes
Wilhelm-Morgner-Haus, Thomästraße 2, Soest
6. Juni bis 11. Juli 2004
Geöffnet: dienstags bis samstags 10 bis 12 Uh, 15 bis 17 Uhr, sonntags 10.30 bis 12.30 Uhr
Weitere Stationen:
Baumberger Sandstein Museum, Havixbeck
19. September bis 14. November 2004
Schieferbergbau- und Heimatmuseum
Holthausen, Schmallenberg
21. November bis 16. Januar 2005
Kreismuseum Wewelsburg, Büren
23. Januar bis 27. Februar 2005
Museum Forum der Völker, Werl
27. März bis 22. Mai 2005
Hermann-Grochtmann-Museum, Datteln
26. Mai bis 24. Juli 2005
Erzbischöfliches Diözesanmuseum und
Domschatzkammer Paderborn
31. Juli bis 25. September 2005
Akademie Franz Hitze Haus, Münster 2. Oktober bis 20. November 2005
Pressekontakt:
Markus Fischer Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org
Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.
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