LWL-Newsroom

Mitteilung vom 22.04.04

Presse-Infos | Der LWL

Der Neandertaler aus Warendorf
Radwanderführer zur Regionale erscheint am 1. Mai

Bewertung:

Warendorf (lwl). Rechtzeitig zur Eröffnung des neuen Emsauenweges zwischen Rheine und Warendorf am 1. Mai bringt der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) einen kulturhistorischen Führer im Taschenbuchformat heraus, der sich besonders für Radwanderungen eignet (12,80 Euro, Tecklenborg-Verlag Steinfurt, ISBN 3-934427-43-x). Ein Kapitel im "Emsauenweg-Radwanderführer" zur Regionale 2004 beschäftigt sich mit den Kottruper Seen bei Warendorf.

In den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde im Bereich der Kottruper Seen eines der größten Gräberfelder der Bronze- und Eisenzeit in ganz Nordwesteuropa ausgegraben. Entdeckt hat man am so genannten Zweiten See 350 Bestattungen und 140 Grabanlagen. Die Toten waren verbrannt und in organischen, heute vergangenen Behältnissen oder in tönernen Urnen beigesetzt worden. Ein großer Teil davon war beschädigt oder sogar zertrümmert, da das Areal seit Jahrhunderten bewirtschaftet und gepflügt wurde. Aus der gleichen Zeit stammt das Skelett eines 30 bis 40 Jahre alten Mannes, der etwa 100 Meter entfernt am Ufer des ersten Sees gefunden wurde. Er ist nicht, wie in dieser Zeit bei Bestattungen üblich, verbrannt worden, so dass sein Schicksal (Unfall oder sogar Mord?) ein Rätsel bleibt.

Am nördlichen Rand des Gräberfeldes konnte man unter der Wasseroberfläche Reste eines etwa 14.000 Jahre alten eiszeitlichen Waldes bergen. Baumstämme von Kiefern, die teilweise noch annähernd 5 Meter lang sind, sowie von Birken und Weiden haben hier fast 12.000 Jahre überdauert.

Die Abfallhalden der Hartsteinwerke sind seit Jahrzehnten von Sammlern nach Fundstücken durchsucht worden. Sie bargen Feuersteinartefakte, vor allem aus der Altsteinzeit, sowie eine große Menge an Knochen, die aus den tieferen Schichten der Sandabgrabung mit dem Saugbagger an die Oberfläche geholt wurden. Zahllose Knochen gehören zu eiszeitlichen Tieren wie Mammut, Fellnashorn, Moschusochse, Wildpferd, Rentier, Wildesel, Riesenhirsch und Löwe.

Bei der wissenschaftlichen Durchsicht entdeckte man dann eine kleine Sensation: Zwischen den Knochen lag das Fragment eines menschlichen Schädels. Es wurde nach intensiver anthropologischer Untersuchung als das eines Neandertalers identifiziert, der irgendwann in dem Zeitraum von 125.000 bis 30.000 Jahre vor heute hier sein Ende gefunden hat.

Die archäologischen Funde von den Kottruper Seen gehören zu den bedeutendsten Relikten der Vergangenheit in Westfalen und stellen deshalb einen großen Teil der Ausstellungsobjekte, mit denen das neue Westfälische Museum für Archäologie in Herne eingerichtet wurde

Die Kottruper Seen sind keine natürlichen Gewässer. 1899 gründeten der Mühlenbesitzer Christoph Kottrup und der Textilkaufmann Hugo Schräder die Warendorfer Hartsteinwerke. Anfang des Jahres 1900 begann man mit der Produktion von gepressten Steinen aus dem in den Sandgruben gewonnen Kalksandsteinmaterial. Schon damals wurden urgeschichtliche Funde bekannt. Sand wurde zunächst auf einfachste Weise mit Schaufel abgebaut und mit Pferdetransport wegtransportiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Sandgewinnung umgestellt: Ein Saugbagger förderte den Sand bis zu 16 Meter unter der Oberfläche. Dadurch entstanden im Laufe der Zeit zwei große Seen mit einer Wasserfläche, die inzwischen als Biotop unter Naturschutz stehen.

Der Sandabbau machte umfangreiche archäologische Ausgrabungen notwendig. Nachdem Arbeiter der Hartsteinwerke im Sommer 1951 Knochen- und Aschenreste, Tonscherben und Bodenverfärbungen beobachtet hatten, untersuchte Prof. Wilhelm Winkelmann von 1951 bis 1959 eine Fläche im Bereich des nördlichen Sees und legte eine frühmittelalterliche Siedlung frei. Insgesamt wurden etwa 190 Bauten vollständig erfasst, die zu vier oder fünf Hofanlagen mit ihren verschiedenen Bauphasen gehört haben. Jeder Hof bestand aus mehreren Gebäuden mit unterschiedlichen Funktionen: Wohnhäuser, Speicher, Ställe und Scheunen. Große Gruben gehörten zu Grubenhäusern, in denen vorwiegend Textilhandwerk betrieben wurde, wie Funde von Spinnwirteln und Webgewichten belegen.

Der Rest eines Eisenverhüttungsofens und Schmiedeschlacke innerhalb eines kleinen rechteckigen Gebäudes zeugen darüber hinaus von der Herstellung eiserner Gerätschaften. Unter den zahlreichen Keramikfunden befinden sich wenige Scherben importierter Gefäße, die auf Handel schließen lassen. Gebrauchsgegenstände wie Messer, eine eiserne Bügelschere und längliche Wetzsteine, Knochenfunde von Pferden, Rindern, Schweinen und Schafen sowie Zeugnisse für Ackerbau wie eine Pflugschar, Getreidereste und Mahlsteinbruchstücke runden das Bild einer ländlichen Siedlung des frühen Mittelalters ab.




Pressekontakt:
Frank Tafertshofer, Telefon 0251 591-235
presse@lwl.org




Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


Der LWL auf Facebook:
https://www.facebook.com/LWL2.0






Ihr Kommentar




zur Druckansicht dieser Seite

zu den aktuellen Presse-Infos