Mitteilung vom 05.04.04
Presse-Infos | Der LWL
Wenn die Kirchenglocken schweigen...
In der Karwochen riefen früher Ratschen zum Gottesdienst
Westfalen (lwl). Obwohl am Gründonnerstag (in diesem Jahr am 8. April) bis zum Zweiten Weltkrieg in vielen Gegenden Westfalens tatsächlich grüne Gerichte auf den Tisch kamen, hat der Name Gründonnerstag nichts mit dem ersten sprießenden Frühjahrsgrün zu tun. "Die Bezeichnung, die es schon im 13. Jahrhundert gab, stammt wahrscheinlich von "greinen', das so viel wie jammern, klagen oder weinen bedeutet", erklärt Christiane Cantauw, Volkskundlerin beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL).
Am Gründonnerstag beginnt nach dem "Gloria" die so genannte "stille Zeit", in der auch die Kirchenglocken schweigen. Die Aufgabe der Glocken übernahmen in vielen westfälischen Orten die "Rappeljungs", das waren Messdiener oder andere junge Burschen, die mit Lärminstrumenten zur Messe riefen. Die Kinder, die während der "stillen Tage" mit Klappern und Ratschen zum Gottesdienst gerufen hatten, gingen am Karsamstag von Tür zu Tür und sammelten Eier als Belohnung für diesen Dienst.
Auch in der Messe kamen bei der Wandlung statt der üblichen Schellen Ratschen zum Einsatz. Das Klappern und Rappeln, das bis zum Zweiten Weltkrieg in Westfalen die Stille der Kar-Tage durchbrochen hatte, wird heute vielfach wiederbelebt wie zum Beispiel in Beverungen (Kreis Höxter). Nachdem die Gläubigen in der Messe am Gründonnerstag das letzte Abendmahl Christi mit seinen Jüngern gefeiert haben, wird als Zeichen der Trauer jeglicher Kerzen- oder Blumenschmuck aus der Kirche entfernt.
Seit dem Mittelalter ist der Gründonnerstag ein beliebter Termin für Armenspeisungen. Mancherorts haben sich noch Relikte dieses Brauches erhalten: So wurden bis zum Ersten Weltkrieg in Ahaus (Kreis Borken) in der Kirche kleine Weizenbrötchen geweiht und nach der Messe an die Schulkinder verteilt. Die zu Zwieback gehärteten länglichen Brötchen wurden als "Ordensbrötchen" bezeichnet.
In vielen Orten Westfalens aß man am Gründonnerstag traditionell etwas Grünes: "In Versmold im Kreis Gütersloh war es der "grüne Pfannkuchen': ein gewöhnlicher Eierpfannkuchen, in den man aber das erste Grün aus dem Küchengarten gebacken hatte. In Brockhagen im Kreis Gütersloh kam ein Gericht mit grünen Bohnen auf den Tisch. Gelegentlich hört man auch von eingekochtem Spinat. Hauptsache war, dass in allen Fällen etwas "Grünes' dabei war", so Cantauw.
Gern seien auch die ausgeschlagenen Triebe des Grünkohls, die so genannten "Kohlspruten", frischer Melde, junge Brennnesseln oder Giersch zubereitet worden. Im Kreis Siegen-Wittgenstein verwendete man auch Wiesenknöterich, Süßdolde, Sauerampfer oder Löwenzahn, so die Mitarbeiterin der Volkskundlichen Kommission für Westfalen weiter.
Die Westfalen bezeichneten den Karfreitag auch als "stillen Freitag". Sie vermieden möglichst jeglichen Lärm. Zimmerleute und Schmiede arbeiteten an diesem Tag nicht oder räumten allenfalls die Werkstatt auf. Da der Karfreitag für Protestanten der höchste Feiertag im Jahr ist, galt für sie strikte Arbeitsruhe. Man zog sonntägliche Kleidung an (teilweise auch Trauerkleidung) und ging zum Abendmahl. Die Katholiken besuchten die Messe und nutzten den Rest des Tages für verschiedene ruhigere Arbeiten in Haus und Hof. Eine noch heute verbreitete Fastenspeise am Karfreitag ist der "Struwen", ein Ölgebäck aus Mehl, Milch, Eiern und Rosinen. Andere Karfreitagsspeisen waren Milchreis, Stockfisch, eingelegter Hering, Biersuppe oder Krapfen. Teilweise verzichtete man auf zwei oder drei der täglichen fünf Mahlzeiten.
"Die Bezeichnung Karfreitag geht übrigens auf den althochdeutschen Begriff "chara" zurück, was soviel wie Klage oder Trauer bedeutet", so Cantauw. In vielen katholischen Orten besuchten die Gläubigen am Karfreitag Kreuzwegandachten oder Karfreitagsprozessionen. Dort, wo es keine gesonderten Andachten oder Prozessionen gab, wurde abends der Rosenkranz gebetet. In Pömbsen (Kreis Höxter), Menden (Märkischer Kreis) oder Delbrück (Kreis Paderborn) finden auch heute noch die sogenannten "Kreuztrachten" statt. "Das sind Prozessionen, in denen ein Christusdarsteller ein Holzkreuz trägt. In der Barockzeit war diese Form von Prozessionen wesentlich weiter verbreitet. Zahlreiche Darsteller führten dabei die biblischen Schilderungen von der Verurteilung und Kreuzigung Jesu den Menschen bildlich vor Augen. Durch die Ausartung zu regelrechten Jahrmarktsveranstaltungen wurden viele Kreuztrachten von den Pfarrern verboten. Auch die Aufklärung trug zum Wegfall dieses Brauches bei", erläutert Cantauw, warum die heutigen Kreuztrachten nur eine stark reduzierte Form des alten Brauches darstellen.
Der Karsamstag war für die katholische Bevölkerung wegen der Feuer- und Wasserweihe von besonderer Bedeutung: Am Abend des Karsamstags wird auch heute noch vor vielen Kirchen das Osterfeuer entfacht. An ihm entzündet der Priester die Osterkerze und trägt sie in die dunkle Kirche. Die Gottesdienstbesucher entzünden dann ihre Kerzen an der Osterkerze. Mit diesem Licht wurde früher das heimische Herdfeuer neu entfacht. In vielen Kirchen stand Weihwasser in großen Holzfässern zum Abholen bereit. "Die Leute kamen mit großen und kleinen Flaschen, die sie hineintauchten und vollaufen ließen", so Cantauw.
In Attendorn (Kreis Olpe) ist es immer noch üblich am Karsamstag vor der Kirche ein Osterbrot zu weihen. Es ist mit Kümmel gebacken und an jedem Ende mit zwei Zipfeln versehen.
Pressekontakt:
Markus Fischer Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org
Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.
Der LWL auf Facebook:
https://www.facebook.com/LWL2.0
zur Druckansicht dieser Seite
zu den aktuellen Presse-Infos