Mitteilung vom 30.10.03
Presse-Infos | Der LWL
'Hart und zart': LWL-Wanderausstellung schlägt mit seltenen Trachtenpuppen ein widersprüchliches Kapitel der Weimarer Republik auf
Bielefeld (lwl). Sie wirken mit ihren winzigen Lederschuhen, filigran bestickten Kleidern und den zerbrechlichen Köpfen außerordentlich zart: Und doch stehen die Trachtenpuppen, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in Zusammenarbeit mit dem Historischen Museum Bielefeld in der Wanderausstellung ¿Hart und zart. Die Trachtenpuppen des Jungdeutschen Ordens¿ zeigt, für ganz harte Zeiten: Denn sie dienten dem Jungdeutschen Orden, der zunächst in der Weimarer Republik nicht gerade zimperlich mit seinen politischen Gegnern umging, als Propagandamittel für seine deutschnationalen Ideen.
Die Ausstellung zeigt daher nicht nur die Trachtenpuppen, sondern beschäftigt sich auch mit der bisher kaum beachteten Geschichte des vor allem in Westfalen aktiven Jungdeutschen Ordens, der mit etwa 200.000 Mitgliedern zu den großen nationalen Verbänden zählte.
Der Berufsoffizier Artur Mahraun hatte die Organisation 1920 gegründet und nach dem Vorbild des mittelalterlichen Deutschen Ordens
aufgebaut. Neben dem mittelalterlichen Vorbild hatte auch die Gedankenwelt der Jugendbewegung auf den Orden einen großen Einfluss. Als nationaler Wehrverband erreichte Mahrauns Organisation 1925 im Deutschen Reich rund 200.000 Mitglieder.
¿Als Mahraun die Annäherung zu Frankreich suchte, scherte der Orden aus dem rechten Lager aus. In den letzten Jahren der Weimarer Republik rückte er vom rechten Rand in die politische Mitte und versuchte gar die wankende Demokratie zu stützen. Damit zog sich der Orden die Missgunst der Nationalsozialisten zu, die ihn 1933 nach nur 13 Jahren verboten¿, beschreibt LWL-Ausstellungsmacherin Verena Burhenne die kurze und widersprüchliche Geschichte des Jungdeutschen Ordens.
1921 gründeten weibliche Angehörige von Ordensmitgliedern die ¿Schwesternschaften¿ als Frauenorganisation, die auf sozialem und vor allem kulturellem Gebiet aktiv waren. Dazu gehörte es auch, dass sie mit Trachtenpuppen die Volkstrachten Deutschlands dokumentierten. ¿Um 1900 hatte die städtische Kleidung in fast allen Gegenden Deutschlands die typischen ländlichen, regional sehr unterschiedlichen Kleidungsweisen verdrängt. Das Bürgertum sah in der Tracht ein Vermächtnis einer angeblich heilen bäuerlichen Welt, das als Gegenpol zur kritisch betrachteten Industriegesellschaft unbedingt erhalten werden sollte. Ausgehend von der Heimatschutzbewegung breitete sich eine Trachtenbegeisterung aus, die bis in den Hochadel drang¿, erklärt Burhenne, warum die Trachtenpuppen für den Jungdeutschen Orden eine so große Bedeutung hatten.
In mühevoller Kleinarbeit stellten die Schwesternschaften die Kleidungsstücke und Accessoires der Trachtenpuppen her. Damit statteten sie Puppen aus, die sie von in Sammlerkreisen geschätzten Herstellern wie der Thüringer Firma Kämmer & Reinhardt, Johann Daniel Kestner oder Heubach gekauft hatten. ¿Bis 1933 entstanden so etwa 400 Puppen, die der Orden in regionalen Wanderausstellungen zeigte. Diese Ausstellungen zielten aber nicht nur darauf
ab, das Heimatgefühl der Betrachter anzusprechen und auf das Verschwinden der Volkstrachten hinzuweisen, sie sollten auch für die politischen Ideen des Ordens werben¿, so Dr. Gerhard Renda vom Historischen Museum Bielefeld, der die Ausstellung gemeinsam mit Burhenne konzipiert hat.
Glückliche Umstände und die Weitsicht einiger Ordensmitglieder sorgten dafür, dass 99 der Trachtenpuppen in Bielefeld erhalten blieben. Sie waren jedoch Jahrzehnte lang unter widrigen Bedingungen in engen Koffern untergebracht und mussten deshalb dringend restauriert werden. Doch dafür fehlte dem Museum das Geld. Um die Puppen zu erhalten, rief das Museum eine große Patenschaftsaktion ins Leben: ¿Wir haben die Heimatvereine gebeten, eine Patenschaft für die Puppe zu übernehmen, die ihre jeweilige Regionaltracht dokumentiert. Indem sie für ¿ihre¿ Puppe die Restaurierungskosten übernommen haben, haben 31 Institutionen und Privatleute es ermöglicht, dass wir die Puppen nach 70 Jahren wieder in ihrer farbenprächtigen Schönheit zeigen können¿, beschreibt Renda die ungewöhnliche Rettungsaktion.
Neben Büchern, Fotos, Fahnen und anderen Gegenständen, die die Geschichte des Jungdeutschen Ordens dokumentieren, zeigt die Ausstellung in Bielefeld den Gesamtbestand von rund 100 Puppen der sehr seltenen und kostbaren Puppen. Die 40 bis 50 Zentimeter großen Puppen stammen aus der ehemaligen ¿Großballei Nordwest¿ des Jungdeutschen Ordens. Sie tragen Trachten, die nicht nur aus Westfalen, sondern auch aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein stammen.
Zur Ausstellung ¿Hart und Zart¿ ist ein gleichnamiges, 180-seitiges Begleitbuch erschienen, das die Geschichte der Puppen und des Jungdeutschen Ordens vertieft. Der 180-seitige Katalog, den der LWL herausgegeben hat, enthält etwa 130 Abbildungen. Er kostet 13,50 ¿ und ist an der Museumskasse sowie beim LWL-Museumsamt, Telefon 02 51 591-4692, wma.info@lwl.org, (zuzüglich 2 Euro Porto und Versandkosten) erhältlich. ISBN 3-927204-60-9.
¿Hart und Zart. Die Trachtenpuppen des Jungdeutschen Ordens¿
Eine Wanderausstellung des LWL-Museumsamtes in Zusammenarbeit mit dem Historischen Muse-um Bielefeld
Historisches Museum Bielefeld, Ravensberger Park 2, Bielefeld
2. November 2003 bis 8. Februar 2004
Öffnungszeiten: mittwochs bis freitags 10 bis 17 Uhr, samstags bis sonntags 11 bis 18 Uhr
Weitere Stationen:
Museum Forum der Völker, Werl 7. März bis 2. Mai 2004
Museen der Stadt Gescher 9. Mai bis 4. Juli 2004
Stadtmuseum Bergkamen 11. Juli bis 5. September 2004
Museen der Stadt Lüdenscheid 12. September bis 31. Oktober 2004
Herman-Grochtmann-Museum, Datteln 11. November 2004 bis 9. Januar 2005
Mindener Museum 16. Januar bis 13. März 2005
Medizin- und Apothekenhistorisches 20. März bis 15. Mai 2005
Museum Rhede
Pressekontakt:
Markus Fischer Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org
Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.
Der LWL auf Facebook:
https://www.facebook.com/LWL2.0
zur Druckansicht dieser Seite
zu den aktuellen Presse-Infos