Mitteilung vom 04.02.03
Presse-Infos | Der LWL
Vom Krummstab zum Adler
Säkularisation in Westfalen 1803-2003
Reichsdeputationshauptschluss und Säkularisation sind Wörter, die selbst in der an sperrigen Begriffen reichen deutschen Sprache ihresgleichen suchen. Ist das der Grund dafür, dass sich kaum jemand nach Ende der Schulzeit noch an die Auswirkungen des Gesetzes vom 25. Februar 1803 erinnern kann, durch das 3,2 Millionen Einwohner, fast ein Siebtel der reichsdeutschen Bevölkerung, den Landesherrn wechselten mussten und 10.000 Quadratkilometer rechtsrheinisches Gebiet umverteilt wurden? Würde man die wichtigsten Daten in der deutschen ¿ und westfälischen! - Geschichte auflisten, so gehörte die Säkularisation von 1803 mit Sicherheit dazu. Im Unterschied zur Reformation oder zum Westfälischen Frieden hat dieses (kirchen)historische Ereignis jedoch keinen Eingang in das kollektive Gedächtnis der Bevölkerung gefunden. Dabei haben Reichsdeputationshauptschluss und Säkularisation den Verlauf der Geschichte entscheidend verändert: Sie brachten das über tausendjährige Heilige Römische Reich Deutscher Nation zu Fall.
¿Am Anfang war Napoleon¿
In den Kriegen gegen das napoleonische Frankreich hatten mehrere Reichsfürsten und Könige linksrheinische Territorien an Frankreich verloren. Deshalb stimmten bereits vor Abschluss des Friedens von Lunéville 1801 einige deutsche Staaten der Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich zu und handelten dafür die Zusage von Gebietsentschädigungen auf der rechten Rheinseite aus. Um diese Zusagen einzulösen, setzte der Reichstag 1802 die so genannte Reichsdeputation ein. Dieses Gremium, das sich aus acht Reichsständen zusammensetzte, hat in 89 Paragraphen die juristischen Grundlagen für das Entschädigungsgesetz ausgearbeitet. Preußen sicherte sich hierbei u. a. die Bistümer Hildesheim und Paderborn sowie das halbe Münsterland, Essen und Werden. Der Prinz von Nassau-Oranien, ein Verwandter der Hohenzollern, erhielt Dortmund und die Reichsabtei Corvey (Höxter), während der spätere Herzog Ludwig X. von Hessen-Darmstadt das Herzogtum Westfalen und das dazugehörende Vest Recklinghausen in Besitz nahm. Darüber hinaus profitierte noch eine Anzahl Adliger von der Umverteilung, so z. B. der Herzog von Croy, die Fürsten von Salm-Salm und Salm-Kyrburg, der Herzog von Arenberg.
Die Opfer der Annexionspläne waren die geistlichen Staaten in Westfalen, die eine Besonderheit in der Verfassung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation darstellten: Als Landesherr regierte ein Erzbischof, Bischof oder einzelner Abt mit Krummstab, Schwert und Szepter, denn er besaß nicht nur die kirchliche, sondern auch die weltliche Herrschaft. Der am 25. Februar 1803 ratifzierte Reichsdeputationshauptschluss ermöglichte die ¿Herrschaftssäkularisation¿, d. h. die Aufteilung der geistlichen Territorien. Darüber hinaus gestattete er den neuen Landesherren, sich des Vermögens der Klöster, Abteien und Stifte zu bemächtigen, und zwar sowohl der neu hinzugewonnen, als auch der in den alten Territorien vorhandenen Institutionen beider Konfessionen. Grundlage
der ¿Vermögenssäkularisation¿, d. h. des Einzugs von Kirchenbesitz war Paragraph 35 des Reichsdeputationshauptschlusses, der ¿alle Güter der fundirten Stifter, Abteyen und Klöster...der freien und vollen Disposition der respectiven Landesherrn, sowohl zum Behuf des Aufwandes für Gottesdienst, Unterrichts und andere gemeinnützige Anstalten, als zur Erleichterung ihrer Finanzen¿ überließ.
Das Unwetter, das 1803 über die geistlichen Staaten hereinbrach, kam nicht aus heiterem Himmel. Die Ära der geistlichen Territorien war Ende des 18. Jahrhunderts vorüber, hinweggefegt von dem Sturm, den Aufklärung und Französische Revolution entfacht hatten. ¿Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit¿ lautete das Credo der Zeit und ersetzte bisherige Werte und Normen.
Das Alte Reich hatte sich seit dem Mittelalter nur unwesentlich verändert. Besitz - vor allem Landbesitz ¿ bildete die Grundlage für Ansehen, Macht und Einfluss in der Gesellschaft und teilte sie auf in jene, die über alle herrschten ¿ den Adel, - jene, die für alle beteten ¿ Kleriker und Mönche ¿ und schließlich in die, die für alle arbeiteten, die Bauern und Handwerker, immerhin 80 % der Bevölkerung. Der Stand, in dem ein Mensch hineingeboren wurde, bestimmte für den Rest seines Lebens wo er stand. Somit war die Gesellschaft gegen Ende des 18. Jahrhunderts statisch und kannte nur wenige gesellschaftlichen Aufstiegschancen; zwar konnte man wirtschaftliche Erfolge verbuchen und Reichtum erringen, blieb aber in rechtlicher und sozialer Hinsicht immer da, wo man hergekommen war. Entgegen unserer heutigen Sichtweise besaßen die Festlegungen der Ständegesellschaft für die Menschen aber auch durchaus ihre Vorteile. Sich anständig benehmen, d. h. so, wie es dem eigenen Stand entsprach, garantierte Sicherheit und Geborgenheit.
Geriet die scheinbar von Gott gewollte Ordnung in Gefahr ¿ beispielsweise durch Kriegsgräuel, Krankheiten oder Missernten ¿ war es ein probates Mittel, sich des Schutzes von Religion und Kirche zu versichern.
Gegen ein entsprechendes Entgeld war es sogar möglich, dass ein Mönch der örtlichen Bettelorden ¿ Franziskaner, Kapuziner, Dominikaner, Augustiner-Eremiten u. a - die Kuh segnete, damit sie mehr Milch gäbe. Beim einfachen Volk waren die Bettelorden mit ihren volksfrömmigen Traditionen, Wallfahrten und Prozessionen, Segnungen und Exorzismen über Mensch und Vieh deshalb beliebt. Wallfahrten und Heiligenfeste fanden großen Zuspruch und trugen durch die Spendenfreudigkeit ihrer Besucher dazu bei, Orten wie Werl oder Telgte zu Wohlstand zu verhelfen.
Nicht nur ¿aufgeklärten¿ Kritikern war der weitverbreitete Wunderglaube ein Dorn im Auge. Auch die Kirche selbst beobachte die gängige Praxis mit zunehmendem Unbehagen, zog das ausufernde Mönchswesen doch die gesamte Institution in Misskredit. ¿Es war eine Zeit¿, so schrieb der kurkölnische Hofkammerpräsident Franz Wilhelm von Spiegel in seinen ¿Gedanken über die Aufhebung der Klöster und geistlichen Stifter im Herzogthum Westfalen¿, ¿wo sie
lässt, so bald der Zweck ihres Daseins nicht mehr vorhanden ist.¿
Zweck und Vernunft waren Schlüsselbegriffe der neuen Zeit. Die Aufklärung propagierte das Nützlichkeitprinzip, und nach diesem suchte man in den Klöstern, Stiften und Abteien vergeblich. Seit dem Mittelalter waren sie als Keimzellen von Kunst und Kultur, Unterricht und Forschung, Seelsorge und Caritas bedeutend gewesen. Nicht zuletzt waren sie auch wichtige Wirtschafts- und Beschäftigungsfaktoren für die Region. Im ausgehenden 18. Jahrhundert waren die Klöster in den Augen ihrer Kritiker jedoch zu reinen Versorgungsanstalten für Adelssprösslinge degeneriert.
Eine Flut antikirchlicher, vor allem antimonastischer Literatur, Spottgedichte und Karikaturen überschwemmte die angeschlagene Institution Kirche. Aber auch seriöse Geister wie der erwähnte Franz Wilhelm von Spiegel, seines Zeichens Domherr zu Hildesheim und Münster, verurteilten die Zustände in den Klöstern: ¿Die Mönche leben nur, um immer stupider zu werden. Wer den höchsten Grad der Verstandsverleugnung unter ihnen erreicht, ist der vollkommenste¿ .
Unter¿m Krummstab war¿s gut leben?
Nicht nur die hohe Zeit der Klöster war vorüber, sondern auch die Zeit, in der geistliche Staaten den ¿zeitgemäßen¿ Anforderungen entsprachen. Doch so wenig ein negatives Pauschalurteil über ¿die¿ Klöster gefällt werden konnte, so wenig Gültigkeit besaß die einseitige Verurteilung der Verhältnisse in den Fürstbistümern. Würde man unkritisch den Beschreibungen pro-preußischer Quellen wie dem Reisebericht Justus Gruners aus dem Jahre 1802 Glauben schenken, so tat sich in den geistlichen Staaten ein Abgrund von Indolenz, Dekadenz, Bigotterie und Rückständigkeit auf. Unbestritten waren die westfälischen Fürstbistümer in vielerlei Hinsicht reformbedürftig.
Wirtschaftlich rückständig, mit einer veralteten Landwirtschaft und Infrastruktur, mit einem Erzbischof, der sich weder um die religiösen Verhältnisse noch um die weltliche Herrschaft kümmerte, war z. B. das Fürstbistum Paderborn in der Tat ein Staat, der den Anforderungen der Moderne nicht genügte.
Doch gab es auch Gegenbeispiele. Die beiden letzten amtierenden Münsteraner Fürstbischöfe waren aufklärerischen Gedanken durchaus aufgeschlossen und darum bemüht, ihr Land zu modernisieren. Die Schulreform des Jahres 1793, Medizinal-, Eigentums- und Feiertagsverordnungen sowie die Gründung der Münsteraner Universität 1780 unter dem Minister und Domherrn Franz von Fürstenberg gehen auf ihre Initiativen zurück. Bezeichnenderweise wurde zur Finanzierung der Universitätsgründung bereits 1774 das Überwasserkloster, ein adliges Damenstift, aufgelöst ¿ mit ausdrücklicher Genehmigung Papst Clemens XIV.. So gut gemeint sie waren und so sehr sie den Anforderungen der Zeit auch entsprachen, kamen solche Maßnahmen letztendlich zu vereinzelt und zu spät.
In Westfalen wurden nicht alle geistlichen Institutionen auf einen Schlag säkularisiert, der Prozess zog sich bis in die 30er-Jahre des 19. Jahrhunderts hin. Die erste Aufhebungswelle 1802/03 erfasste vergleichsweise nur wenige Klöster; die Mehrzahl der Einrichtungen wurde erst in der Franzosenzeit säkularisiert. Die Öffentlichkeit nahm diesen Prozess weitgehend unbeteiligt auf. Militärischer Widerstand war auf Grund der geringen Truppenstärke in den geistlichen Territorien sinnlos, und den Bauern war es letzlich gleichgültig, an wen sie ihre Abgaben zu zahlen hatten. Reiche Klöster der Augustiner, Benediktiner, Zisterzienser und Prämonstratenser (z. B. Dalheim/Kreis Paderborn, Marienfeld/Kreis Gütersloh, Grafschaft/Hochsauerlandkreis, Liesborn/Kreis Warendorf, Hardehausen/Kreis Höxter und Cappenberg/Kreis Unna) wurden zügig aufgelöst, die Gebäude u. a. in Gutsbetriebe oder Kasernen umgewandelt, das dazu gehörende Land enteignet, verpachtet und verkauft. Den armen, aber populären Bettelordensklöstern war meist eine vorübergehende Gnadenfrist gewährt; sie waren auch die einzigen, bei deren Auflösung sich vereinzelter lokaler Unmut regte.
Die betroffenen Mönche und Nonnen reagierten lethargisch auf die Vernichtung ihrer bisherigen Existenz. Viele Ordensleute begrüßten die Auflösung ihres Klosters sogar. ¿Jetzt erst, nachdem ich den Umgang mit den Menschen genieße, und ohne es gesucht zu haben, dem Klosterzwange entbunden bin, kann ich viel ruhiger über meinen vorigen Stand nachdenken; ich würde ihn nie wieder antreten, und obschon ich eigentlich nicht sagen kann, daß ich ganz unzufrieden lebte, so liebte ich ihn doch nicht¿ schrieb ein ungenanntes ¿Klosterfräulein¿ im Westfälischen Anzeiger des Jahres 1804.
Andere erbitterte es, mitansehen zu müssen, wie die neuen Besitzer mit den geweihten Kultgegenständen umgingen ¿Es sah recht heidnisch aus, und man sollte geglaubt haben, es wäre Nebukadnezar, welcher den Tempel zu Jerusalem ausplündern ließ¿, heißt es in einem Augenzeugenbericht über die Aufhebung des Klosters Bödekken im Kreis Paderborn. Während sich in Männerklöstern allenfalls passiver Widerstand regte und die Mönche eher darauf bedacht waren, für die eigene Zukunft zu sorgen, indem sie Klostergut widerrechtlich verkauften (z. B. in den Klöstern Liesborn/Kreis Warendorf, Weddern/Kreis Coesfeld oder Marienfeld/Kreis Gütersloh), setzten Nonnen sich resoluter zur Wehr. Die Bewohnerinnen des Stifts Neuenheerse/Kreis Höxter empfingen die preußischen Aufhebungskommissare mit ¿beleidigende
Die unterschiedlichen Reaktionen kamen nicht von Ungefähr. Der Reichsdeputationshauptschluss hatte Entschädigungs- bzw. Rentenzahlungen für die Klosterinsassen vorgesehen, die jedoch nach Rang, Alter, Zugehörigkeitsdauer zum Orden und Geschlecht sehr unterschiedlich ausfielen. Während Mönche eine Anstellung als Pfarrer oder Lehrer finden konnten, hatten Nonnen es ungleich schwerer. In den seltensten Fällen gelang es ihnen, sich nach dem Ende des Klosterlebens eine neue Perspektive zu schaffen. Viele mussten in ihre Familien zurückkehren, die sie oft freiwillig verlassen hatten, andere fanden als Hausangestellte in den Pfarrhäusern eine Anstellung. Kaum eine schaffte eine Ausnahmekarriere wie die Klosterfrau Maria Clementine Martin aus dem Annunziatenkloster St. Anna zu Coesfeld. Ihre Kenntnisse auf dem Gebiet der Naturheilkunde nutzte sie nach der Aufhebung des Klosters und einigen Zwischenstationen u. a. in Gronau und Münster, um ab 1825 in Köln selbstgefertigtes ¿Kölnisch Wasser¿ sowie das später als ¿Klosterfrau Melissengeist¿ berühmt gewordene Produkt zu verkaufen.
Auch die ihrer weltlichen Macht beraubten Fürstbischöfe fügten sich je nach Temperament und Intellekt unterschiedlich in ihr Schicksal. Der Fürstbischof von Hildesheim und Paderborn versuchte mit den Preußen zu kooperieren, indem er sie mit ¿Trüffeln und Rheinwein¿ verköstigte und den ¿munteren Tischgesprächen¿ sowie ¿dem Erzählen pikanter Anekdoten¿ lauschte. Sein Münsteraner Amtskollege Max Franz verzweifelte hingegen an der Aussichtslosigkeit der Situation: ¿In alten Zeiten raubten die Ritter von ihren Burgen nur im Kleinen, jetzt die Souveräne im Großen.¿
¿Die Münsterländer sind gute Leute, aber ein preußisches Herz kriegen sie nie¿
Im Vergleich zu der Brutalität und Rigorosität, mit dem beispielsweise das katholische Bayern den Entschädigungsparagraphen 35 des Reichsdeputationshauptschlusses zur Anwendung brachte, bemühten sich die protestantischen Fürstenhäuser ¿ u. a. Hessen-Darmstadt, Oranien-Nassau und Preußen - durch behutsames Vorgehen die Gefühle der neuen katholischen Untertanen nicht unnötig zu verletzen. In Berlin war man sich der Tatsache bewusst, dass die Westfalen nichts so sehr fürchteten, wie dem preußischen Staat einverleibt zu werden. ¿Beim Einzug der Preußen waren Fenster und Türen aller Häuser geschlossen, kein Mensch ließ sich auf den Straßen blicken. Schon am Morgen war alles in Tränen zerflossen. Leute, die einander kaum kannten, waren sich in die Arme gefallen, das allgemeine Unglück zu beweinen¿, beschreibt ein Augenzeuge den Tag, als General von Blücher mit seinen Truppen 1802 in Münster einmarschierte. Die Bewohner des Fürstbistums waren mit der milden Regierung ihres Landesherrn zufrieden gewesen.
Aus ihrer Sicht bestand ihre Zukunft aus einer rigiden Verwaltung, hohen Steuerbelastungen, wenig arbeitsfreien Feiertagen und hartem Militärdrill. Alle Bemühungen der Preußen ¿durch eine milde, gesetzliche und weise Verwaltung Bitterkeit und gehässige Gesinnungen zu ersticken¿ waren jedoch vergebens. Der Oberpräsident der nunmehr rheinisch-westfälischen Provinz, Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein, schrieb 1802 resigniert: ¿Der Münsterländer
So wundert es nicht, dass die Bevölkerung begeistert den Einzug der französischen Truppen feierte, die nach der Niederlage Preußens bei Jena und Auerstedt 1806 in Münster einrückten. Noch enthusiastischer begrüßten die Paderborner die französischen Befreier von protestantischer Zwangsherrschaft: Während die einen sich vor den Wagen des Generals spannten und ihn im Triumphzug durch die Straßen zogen, warfen andere den preußischen Beamten die Fensterscheiben ein. Die Freude währte indes nicht lang: Die Franzosen ersetzten die preußischen Steuern durch hohe Kontributionsforderungen und anstatt im preußischen Heer zu dienen, mussten die Westfalen fortan in Napoleons Truppen kämpfen.
Auch wenn Preußens erste Herrschaft in Westfalen nur von kurzer Dauer war, hatte der preußische Adler aus der Aufteilung der geistlichen Staaten langfristig den größten Gewinn gezogen. Der Zugewinn überstieg die ursprünglichen Verluste um ein Vielfaches und legte den Grundstein für die spätere wirtschaftliche und politische Vormachtstellung Preußens in Westfalen und im Deutschen Reich. Hinsichtlich der Bauernbefreiung, Gewerbefreiheit, der Modernisierung von Verwaltung, Steuern und Justiz oder der beginnenden Industrialisierung profitierte Westfalen erheblich von dem Reformeifer und der Aufbruchstimmung, die mit den Namen des Fürsten Hardenberg und des Freiherrn vom und zum Stein verbunden sind.
Ein Grund zum Feiern?
Die Säkularisation hatte die Landkarte bereinigt. Um 1800 gab es in Westfalen noch rund dreißig eigenständige Herrschaftsgebiete, von denen die geistlichen Territorien knapp zwei Drittel der Fläche ausmachten. 1817, nach Ende der napoleonischen Kriege, dem Wiener Kongress und diversen Gebietsauf- und Umverteilungen war die preußische Provinz Westfalen in ihrem heutigen Grenzverlauf entstanden.
Indem der Staat vieles nahm, nahm er auch einiges auf sich. An einigem haben wir bis in die heutige Zeit zu tragen. Die vermeintlich fetten Kirchenpfründe, die 1803 als Beute lockten, stellten sich bei näherer Betrachtung als Chimäre heraus. Zwar gab es in Westfalen durchaus wohlhabende Klöster, die kurzfristig das magere Staatssäckel füllten. Doch überstiegen die hierdurch eingegangenen finanziellen Verpflichtungen sowie die Kosten für Seelsorge, Baulasten, Bildung und Wohlfahrtseinrichtungen den Zuwachs an Besitz und Einkünften in erheblichem Maße.
Auch der kulturelle Kahlschlag ist bis heute sichtbar. Die in Klosterbesitz befindlichen Archivalien und Bücher wurden zerstört, verkauft und auseinandergerissen, sakrale Kunstschätze, sofern man sie nicht Pfarrgemeinden übergab, allein nach ihrem materiellen Wert taxiert.
Was anfänglich in Barbarei auszuufern drohte, legte jedoch den Grundstein für heutige Kunstsammlungen von Weltruhm. Liebhaber bibliophiler und kunstgeschichtlicher Kostbarkeiten suchten systematisch nach Preziosen, die ihres ursprünglichen Sinns beraubt vor der Zerstörung gerettet wurden und Eingang in die heutigen Museen, Bibliotheken und Archive fanden. Auch die moderne Denkmalpflege hat ihre Geburtsstunde in den Tagen der Säkularisation.
Die Ereignisse des Jahres 1803 setzten einen Modernisierungsprozess in Gang, von dem letztendlich auch die beiden Konfessionen profitierten. Für die katholische Kirche war die Säkularisation zweifellos mit vielen schmerzhaften Einschnitten verbunden und bedeutete die wohl markanteste Zäsur in ihrer neueren Geschichte. Der Verlust der weltlichen Macht und die Verbürgerlichung nach dem Ende der Adelskirche ermöglichten ihr jedoch eine Neudefinierung und die Konzentration auf seelsorgerische Aufgaben: Die Stärke des ¿katholischen Milieus¿ und des politischen Katholizismus im 19. Jahrhundert haben ihre Wurzeln in der Säkularisation. Der verstorbene Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Höffner bewertete die Folgen von Reichsdeputationshauptschluss und Säkularisation deshalb mit den Worten: ¿Aus der heutigen Sicht war es kein Unglück, dass ... dem Kölner Erzbischof das Schwert aus der Hand genommen wurde und dieser sich fortan mit dem Krummtab begnügen musste.¿
Christiane Todrowski
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