Mitteilung vom 23.12.02
Presse-Infos | Der LWL
Liebesglück in Blei
LWL-Volkskundlerin erklärt Bräuche zum Jahreswechsel
Westfalen (lwl). In ganz Westfalen ist der Brauch verbreitet, in der Silvesternacht die Zukunft zu befragen. "Der Glaube an den magischen Übergangs- und Jahresanfangszauber schlägt sich in Glücksbringern wie Schornsteinfegern, Kleeblätter und Bleigießen und anderen Orakelsprüchen nieder. Dabei soll der Zauber zu Anfang des Jahres immer die Zukunft des Beglückwünschten positiv beeinflussen", so Christiane Cantauw, Volkskundlerin beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL).
Dem weit verbreiteten Bleigießen werden dabei nicht nur zu Aussagen über Glück, Reichtum und Leid zugeschrieben, es gilt gleichzeitig auch als Liebesorakel: Dabei werden aus der Form des erkalteten Bleis, das zuvor geschmolzen und in kaltes Wasser gegossen wird, Charaktereigenschaften und Namenszüge des künftigen Partners gedeutet.
Früher gab es noch andere Liebesorakel. So stellten sich die Töchter einer Familie mit dem Rücken zueinander im Kreis auf und warfen über ihren Kopf einen Pantoffel. Zeigte der Pantoffel mit seiner Spitze zur Tür, so deutete das daraufhin, dass diese Tochter zuerst das Haus verließ und heiratete. Aber auch Apfel- und Kartoffelschalen mussten als Liebesorakel herhalten: Die jungen Frauen warfen sie sich über den Kopf, aus den Verschlingungen der Schalen schlossen sie dann auf die Anfangsbuchstaben ihres Zukünftigen.
Bisweilen wurden die Orakel auch mit christlichen Elementen verquickt. Dabei spielte für die evangelische Bevölkerung Westfalens die Bibel und das Gesangbuch eine große Rolle: Beim Erwachen am Neujahrstag schlugen die Gläubigen eine beliebige Seite in den Büchern auf, die sie dann als Fingerzeig für ihr persönliches Schicksal im neuen Jahr deuteten.
Seinen Namen hat der letzte Tag des Jahres von Papst Silvester, der die Kirche in seiner Amtszeit von 314 bis 335 in eine Periode des Friedens führte. Für das Christentum war diese Zeit eine entscheidende Epoche: Während der Herrschaft des römischen Kaisers Konstantin entwickelte sie sich von einer verfolgten Sekte zu einer staatlich tolerierten und geförderten Religion. Silvester starb am 31. Dezember 335. Er wird als Patron für ein gutes neues Jahr angerufen. Bisweilen wird er als Sieger über einen Drachen dargestellt, was den Sieg des Christentums über das Heidentum symbolisiert.
Silvester wird heute ausgiebig gefeiert, nur die Wenigsten müssen arbeiten. Im 19. Jahrhundert war der Tag für die Männer im Norden Westfalens alles andere als ein Feiertag, denn dann übernahmen die Frauen für kurze Zeit das Regiment: "Die Männer mussten sich an diesem Tag um den Haushalt und um die Kinder kümmern, sie mussten tun, was ihnen die Frauen auftrugen", berichtet Cantauw.
Das neue Jahr wurde früher mit Schüssen aus Gewehren, Pistolen oder selbstgemachten Böllern begrüßt. "Man böllerte gerne mit Karbid in Milchkannen. Weil aber durch die selbstgemachten Böller viele Unfälle passierten, wurde das Neujahrschießen bereits im 17. und 18. Jahrhundert verboten. Daran hat sich aber kaum jemand gehalten", so die Expertin von der Volkskundlichen Kommission für Westfalen des LWL.
In Nienberge bei Münster gab es früher das Neujahrshämmern. Dabei versammelten sich der Schmied und seine Gesellen um den Amboss. Mit einem Ping-Pong-Takt hämmerten sie zunächst das alte Jahr aus. Um Mitternacht gab der Schmied mit zwölf lauten Schlägen das neue Jahr bekannt.
"Wie Neujahr, so das ganze Jahr", aus diesem Spruch resultierte die schon bei den Römern bekannte Sitte, sich Neujahr zu beschenken. Das war noch in den 1930er Jahren in einigen Teilen Westfalens üblich. Am Neujahrsmorgen versuchte jedes Familienmitglied als erster dem anderen ein frohes Neues Jahr zu wünschen. Der Beglückwünschte antwortete dann: "Dat hestu wunnen." Der Schnellere erhielt zur Belohnung einen Neujahrskuchen, Äpfel oder Ähnliches. "Dieser Brauch wurde das "Abgewinnen des Neuen Jahres" genannt. Ihm lag die Vorstellung zu Grunde, dass der erste Glückwunsch, den man im Neuen Jahr erhält oder ausspricht, besonderes Glück bringen sollte", erklärt LWL-Volkskundlerin Christiane Cantauw.
Am Neujahrstag gab es ein spezielles Gebäck: In Westfalen waren das die Waffeln, wobei es jedoch zwei unterschiedliche "Waffelgebiete" gab. Im Süden gab es weiche Waffeln, im Nordwesten die knusprigen, die auch Rölleken, Piep- oder Eiserkuchen genannt werden.
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