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Mitteilung vom 27.11.02

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Jugendkriminalität: 'Lösungen jenseits der Strafreflexe gesucht'
Zweiter westfälisch-lippischer Jugendgerichtstag beim LWL in Münster

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Münster (lwl). Vor der "Kriminalisierung einer ganzen Generation" hat heute (27.11.02) in Münster Hans Meyer, Jugenddezernent des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), gewarnt. Ob bei Gewaltbereitschaft oder Graffiti -die Forderung nach härteren Sanktionen in der öffentlichen Diskussion ignoriere zumeist, dass 95 Prozent der Jugendlichen ohne jeglichen Konflikt mit Polizei oder Justiz heranwachsen, sagte Meyer beim 2. westfälisch-lippischen Jugendgerichtstag, den das LWL-Landesjugendamt und die westfälische Regionalgruppe der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen (DVJJ) ausrichteten.

Ein geringer Prozentsatz von so genannten ¿Intensivtätern' - laut Meyer lediglich sieben bis neun Prozent des polizeibekannten Rest-Zwanzigstels - lasse die Debatte über geschlossene Unterbringung, Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters und die Behandlung Heranwachsender nach Erwachsenenstrafrecht immer wieder neu entbrennen. "Davon halte ich nicht viel," so Meyer.

Statt dessen sollten vor allem auf lokaler Ebene in Kommunen und Kreisen "Vorbeugungs- und Frühwarnnetzwerke aus Jugendämtern, Schulen, Kindergärten, Polizei, Ordnungsämtern, Justiz und freien Jugendhilfeträgern gestärkt werden". Über das gemeinsame Wissen, eine gemeinsame Sprache und aufeinander abgestimmte Angebote an gefährdete Jugendliche bis hin zum Täter-Opfer-Ausgleich und schnellere Sanktionsmaßnahmen könne am meisten erreicht werden, sagte Meyer.

Wenn man den seit einiger Zeit geführten kriminalpolitischen Debatten zum Umgang mit Jugendlichen zuhört, glaubt man oft seinen Ohren nicht trauen zu können, hieß es bei der Tagung weiter: Es geht um geschlossene Heime, das Erwachsenenstrafrecht soll auch für für Heranwachsende gelten und sogar Zwölfjährige sollen strafmündig werden. "Diese in der Regel von Wegschließimpulsen initiierten Vorschläge offenbaren vor allem eines: Die Hilflosigkeit Erwachsener gegenüber jugendlichen Problemen, Provokationen und Eigenwilligkeiten. Sicherlich, in der Sanktionspolitik drohen hierzulande keine "amerikanischen Verhältnisse". Anders als in manchen Bundesstaaten der USA wird es eine generelle Anwendung des Erwachsenenstrafrechts bei jugendlichen Straftätern nicht geben, und in Meinungsumfragen wird eine solche Kriegserklärung der Gesellschaft an ihre Zukunft nicht von zwei Dritteln der Bevölkerung unterstützt", umriss Prof. Dr. Klaus Boers, Direktor des Instituts für Kriminalwissenschaften der Universität Münster und Vorsitzender der Regionalgruppe Westfalen-Lippe der Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen (DVJJ) die Probleme bei der anstehenden Reform des Jugendstrafrechts.

Beruhigenderweise seien auch die jüngsten Beschlüsse des 64. Deutschen Juristentages, dem über hundertjährigen "Standesparlament der Juristen", zum Jugendstrafrecht in Berlin in diese Richtung gegangen. Dort seien Versuche einer Hardliner-Profilierung in der Jugendkriminalpolitik einstweilen chancenlos geblieben, so Boers weiter.

"Es ist zu hoffen, dass die Gesetzgebung dem mehrheitlich folgen wird und sich die öffentliche Diskussion jenseits aller Strafreflexe differenziert mit den Hintergründen und achtsam mit praktischen Lösungsmöglichkeiten auseinandersetzt", blickt Boers auf die anstehende Reform des Jugendstrafrechts.

Zu den Referenten vor rund 200 Richtern, Staatsanwälten, Bewährungshelfern, Jugendpsychiatern, Vertretern der Jugendämter, der Jugendhaftanstalten, der Polizei und der Wissenschaft gehörten namhafte Juristen wie Prof. Dr. Heribert Ostendorf, ehemaliger schleswig-holsteinischer Generalstaatsanwalt und Professor für Jugendrecht an der Universität Kiel. Der bedeutende juristischer Kommentator stellte die Vorschläge zur Reform des Jugendstrafrechts vor, an denen er in einer Kommission der DVJJ mitgearbeitet hat. Dabei ging es zum Beispiel darum, dass Jugendliche für leichte Delikte wie den ersten Ladendiebstahl nicht mehr bestraft werden, sondern den Schaden wieder gut machen sollen. 14- und 15-jährige Straftäter, die mehr auf dem Kerbholz haben, sollen in Tageszentren intensiv betreut werden, statt im Heim oder gar im Gefängnis weggeschlossen zu werden. Prof. Horst Viehmann, Ministerialdirigent a. D., war langjähriger Referent für das Jugendstrafrecht im Bundesministerium der Justiz und hat die Entwicklung des Jugendstrafrechts in den letzten zwanzig Jahren wesentlich mitgeprägt. Er kommentierte gemeinsam mit Bernd Schulte Eversum, Jugendrichter am Amtsgericht Dortmund, Klaus Schmitz, Rechtsanwalt aus Dortmund, und Jürgen Kußerow, Diplom Sozialarbeiter aus Waltrop, die Reformvorschläge mit Blick auf die Situation in der Alltagspraxis kritisch.






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Karl G. Donath und Markus Fischer, Telefon 0251 591-235
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