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Mitteilung vom 01.10.02

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Harkemai und Stoppelhahn: Erntefeste haben in Westfalen Tradition

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Westfalen (lwl). Am 6. Oktober ist Erntedank - ein Fest, das heute vor allem Kirchengemeinden begehen. Das war nicht immer so: "Früher feierte jeder größere Hof und jedes Gut sein eigenes Fest zum Abschluss der Ernte", erläutert Christiane Cantauw von der Volkskundlichen Kommission des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Wenn das letzte Fuder Getreide eingebracht war, gab der Bauer seinen Erntearbeitern ein Fest - oder zumindest eine Flasche Schnaps.
In Westfalen und Lippe geht dieses Brauchtum ins 18. Jahrhundert zurück.

Ursprünglich wurde das Erntedankfest auf Michaelis (29. September) gefeiert. Später wurde das Fest auf den darauf folgenden Sonntag verschoben. Seit 1773 war dieser Termin in den preußischen Staaten verbindlich.

Im Süden hieß das traditionelle Erntefest "Harkemai", im Münsterland "Stoppelhahn" und im Mindener Raum "Erntebier". Je nach Region schmückten die Schnitter die Erntewagen mit unterschiedlichen Symbolen: Weit verbreitet war der Erntehahn, der meist auf einem aus Ähren geflochtenen Kranz oder einer Krone thronte (Nord- und Ostwestfalen). In der Hellweg-Region und im südöstlichen Münsterland diente ein grüner Busch, im westlichen Münsterland ein Nussstrauch als Festzeichen. Oft wurden diese Symbole zum Ende der Schnitterarbeit auf dem Feld aufgestellt und dann mit dem letzten Getreidefuder durch den Ort zum Hof oder Gut gefahren. Auf dem Hof angekommen, befestigten die Erntehelfer Kränze, Kronen oder Sträucher am Giebel des Haupthauses. Gutes Essen, geistige Getränke, Musik und Tanz begleiteten den Festabend. Manchmal geriet schon die Fahrt mit dem letzten Erntewagen zum feucht-fröhlichen Vergnügen. Aus der Soester Börde wird von "bösen Nachbarn" berichtet, die mit Wassereimern und Handspritzen vor ihren Häusern standen, um den Wagen mit den letzten Getreidegarben nass zu spritzen.

Am Michaelistag wurde früher aber nicht nur gefeiert: An diesem Tag endete das Wirtschaftsjahr, Zahlungen wurden fällig, das Gesinde erhielt seinen Lohn und konnte seinen Dienstherrn wechseln.
In der Gegend von Plettenberg (Märkischer Kreis) erhielten die Hirten an diesem Tag ihren Lohn. Zur Feier des Tages backten die Hütejungen an diesem Tag Reibekuchen.

In einigen Gegenden Westfalens begannen am Michaelitag auch die Schulferien. In Brilon (Hochsauerlandkreis) wurde an diesem Tag die "Schule ausgeklopft". Nachdem der Lehrer seine Abschiedsrede gehalten hatte, versetzten die Schulkinder ihren Schulbänken mit Holzhämmern "unbarmherzige Schläge".

In der Gegend von Sassenberg (Kreis Warendorf), Gütersloh und Rheda (Kreis Gütersloh) veranstalteten die Kinder Heischeumzüge. "Dabei sangen sie Lieder, die große Ähnlichkeit mit den Martinsliedern aufwiesen. Bei den Umzügen baten die Kinder um Obst, da zu diesem Zeitpunkt die Obsternte einsetzte", erzählt LWL-Volkskundlerin Cantauw.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Feste in einigen Regionen größer. Nicht mehr nur Bauern, Gesinde und Erntearbeiter, sondern auch die Nachbarn oder der ganze Ort feierten mit.
Zu dieser Zeit entstanden auch immer mehr Festumzüge zu Erntedank. Besonders farbenprächtige Festumzüge veranstalteten die Dorfbewohner im Mindener Raum in den 1920er-Jahren. Zu den Höhepunkten zählte dabei die Wahl des Erntekönigs oder der Erntekönigin.

Mit dem aufkommenden Vereinswesen bürgerten sich zudem auch Erntedankbälle ein. Dabei beging man immer weniger den eigentlichen Ernteabschluss, sondern nahm ihn lediglich als Anlass zum Feiern. "Landwirtschaftlich geprägte Bräuche wie das ¿letzte Fuder' oder der ¿Stoppelhahn' verstehen die Menschen heute nicht mehr, deshalb sind diese Bräuche eingeschlafen. Die kirchlichen Feiern sind Relikte eines Brauchkomplexes, der in unserer industriell geprägten Gesellschaft nicht mehr als lebensbestimmend empfunden wird", so Cantauw.









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