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Mitteilung vom 16.10.01

Presse-Infos | Der LWL

Gebärden sagen soviel wie tausend Worte
Aus dem Alltag eines gehörlosen Auszubildenden

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Münster/Gelsenkirchen (lwl). Selbst bei dem Wort ¿Ionisationsflammenüberwachung¿ bekommt Friedel Lechtleitner keine feuchten Hände. Während er übersetzt, schaut er seinem Zuhörer in die Augen und formt mit den Lippen die Buchstaben nach, die seine Finger blitzschnell bilden. Der angehende Heizungs- und Sanitärinstallateur Ercan Özcan versteht, ohne zu hören, was sein Dolmetscher Lechtleitner ihm sagen möchte. Und trotzdem schaut er fragend drein. Aber damit geht es dem gehörlosen Auszubildenden nicht anders als den weiteren elf Azubis, die an diesem Morgen das komplizierte Innenleben von Gas-Warmwasserthermen kennen lernen.

Friedel Lechtleitner begleitet den 20jährigen Heizungs- und Sanitärauszubildenden nun schon seit gut zwei Jahren im Auftrag des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Damit gehört Ercan Özcan zu den 102.500 berufstätigen schwerbehinderten Menschen in Westfalen, für die das LWL-Integrationsamt Arbeitsplätze schafft und sichert.

Der Gebärdensprachdolmetscher steht dem jungen Auszubildenden immer dann zur Seite, wenn es Verständigungsprobleme gibt. Dazu gehören der Blockunterricht in der Kreishandwerkerschaft Gelsenkirchen und die Vorbereitungskurse für die Gesellenprüfung Ende des Jahres. Dazu
gehört aber nicht der Arbeitsalltag in seinem Ausbildungsbetrieb: ¿Dort gibt es keine Probleme¿, berichtet Özcan und erzählt, wie er sich in seiner Firma mit Gebärden, Symbolen und einem speziellen Funkgerät verständigen kann.
Seit 20 Jahren dolmetscht Friedel Lechtleitner für hörgeschädigte Menschen. Sein Erfahrungsschatz ist groß. Gelassen geht er in den Fachunterricht zum Thema Heizung und Sanitär und übersetzt für Ercan Özcan, was Ausbildungsleiter Frank Wortmann den Schülern erklärt. ¿Ein gewisses Grundwissen muss ich mitbringen. Sonst kann ich nicht so schnell dolmetschen, wie der Lehrer spricht¿, erklärt Lechtleitner.


Eine Fremdsprache wie Englisch

Die Unterhaltung mit Ercan Özcan können Laien nicht verstehen. ¿Ist es schwer, die Gebärdensprache zu lernen?¿ möchte ein Schüler des Lehrgangs wissen. ¿So wie Englisch oder Französisch.¿ Der Dolmetscher wählt diesen Vergleich, um deutlich zu machen, was das wortlose Reden mit Mimik und Gestik eigentlich ist: eine vollwertige Sprache mit eigenem Wortschatz, Satzbau und einer eigenen Grammatik.

¿Ab der Gürtellinie aufwärts¿ ist der ganze Körper im Einsatz, wenn Lechtleitner die Gebärdensprache benutzt. Eine rein pantomische Arbeit, bei der auch Platz ist für die Zwischentöne der Kommunikation. ¿Es lassen sich Stimmungen wiedergeben, Witze machen, Kommentare abgeben. Selbst Ironie ist kein Problem.¿

Seit 25 Jahren Fachdienst

1986 hat das LWL-Integrationsamt den Fachdienst für Hörbehinderte ins Leben gerufen. Die drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beraten im Jahr mehr als 300 betroffene Menschen mit dem Ziel, die Kommunikation am Arbeitsplatz zu verbessern. Dazu gehört, technische Arbeitshilfen wie zum Beispiel spezielle Telefonanlagen oder Lichtsignalgeber an Maschinen bereitzustellen.¿ Das wichtigste Instrument der begleitenden Hilfe im Berufsleben für gehörlose Menschen sind jedoch die Einsätze von Gebärdensprachdolmetschern¿, erklärt LWL-Mitarbeiterin Steffi Pöllmann. Im Jahr 2000 hat der Fachdienst für Hörbehinderte knapp 6000 Einsatzstunden von Gebärdensprachdolmetschern für circa 230 gehörlose Arbeitnehmer organisiert und finanziert.

Neues Gesetz

Mit dem neuen Gesetz zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, das am 1. Juli 2001 in Kraft getreten ist, haben hörbehinderte Menschen einen Sieg errungen: Für den ¿Sozialbereich¿ darf jetzt offiziell die Gebärdensprache verwendet werden, sei es beim Besuch des Arbeits- oder des Sozialamtes. Die Kosten, die dabei durch einen Dolmetscher entstehen, muss der zuständige Träger bezahlen. Und der Entwurf des Gleichstellungsgesetzes für behinderte Menschen, das noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden soll, stellt die Rechte der Betroffenen auf eine noch höhere Stufe: Die Gebärdensprache wird gesetzlich als Sprache anerkannt. Hörbehinderte haben dann bei allen Behördengängen das Recht, in der Gebärdensprache zu kommunizieren.

Das LWL-Integrationsamt schätzt die Zahl der ausgebildeten Gebärdensprachdolmetscher in Nordrhein-Westfalen auf rund 80. Demgegenüber stehen 17.000 gehörlose und 39.000 sprachbehinderte Menschen. ¿Es gibt eindeutig zu wenig Dolmetscher, wenn alle Betroffenen künftig die neuen gesetzlichen Ansprüche einfordern¿, erklärt Friedel Lechtleitner.

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Pressekontakt:
Claudia Miklis, Telefon: 0251/591-235
presse@lwl.org




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Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


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