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Mitteilung vom 28.03.01
Presse-Infos | Der LWL
"Mit und ohne Ketten" im LWL-Naturkundemuseum
Rund zehn Millionen Afrikaner sind bis ins späte 19. Jahrhundert hinein nach Amerika verkauft worden, um dort als Sklaven zu arbeiten. Schon auf der Überfahrt starb jeder Fünfte, eingepfercht in Sklavenschiffen, wie der Besucher der neuen Ausstellung im Westfälischen Museum für Naturkunde des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) nachfühlen kann: das originalgetreue Modell eines Zwischendecks gehört zu den 200 Exponaten, die vom 30. März bis zum 23. September in Münster zu sehen sind ("Mit und ohne Ketten. Sklaverei und Abhängigkeit in zwei Jahrtausenden").
Sklaverei gibt es mindestens seit 5.000 Jahren. Das belegt das älteste Stück der Ausstellung, eine Keilschrifttafel aus Mesopotamien als Urkunde über den Verkauf einer Sklavin. Andere Ausstellungsstücke wie Brenneisen zum Brandmarken von Sklaven lassen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen zum Beispiel auf den Baumwollfeldern in Nordamerika und die grausamen Strafen für Flucht oder angebliche Faulheit erahnen. Erst 1865 schafften die USA die Sklaverei ab, die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" der Vereinten Nationen verbietet sie seit 1948 weltweit.
"Auch wenn Deutsche am transatlantischen Sklavenhandel so gut wie nicht beteiligt waren, gab es auch in Deutschland während des Zweiten Weltkrieges zehn Millionen Zwangsarbeiter, die wie Sklaven gehalten wurden", erinnert Dr. Alfred Hendricks, Direktor im LWL-Museum, an einen aktuellen Bezug der Ausstellung. Im Verborgenen blüht in Afrika heute noch Sklavenhandel: allein die Hilfsorganisation "Christian Solidarity International" hat im Südsudan in den letzten fünf Jahren über 40.000 Menschen freigekauft
Den zweiten Teil der Ausstellung haben die Wissenschaftlerinnen Kerstin Brünenberg, Britta Horstmann und Josephine Kronfli der Sklaverei und den sklavenähnlichen Arbeitsverhältnissen in der Gegenwart gewidmet. Davon sind nach Schätzungen rund 100 Millionen Menschen betroffen.
Die Werkzeuge dieser modernen Sklaven sind in der Ausstellung zu sehen. "Ausbeuterische Kinderarbeit, Frauenhandel oder Schuldknechtschaft sind heute diskreter aber auch effektiver als die historische Sklaverei", sagt Josephine Kronfli. Konsumgüter würden unter zum Teil menschen-unwürdigen Verhältnissen für den Weltmarkt produziert. Kronfli: "Etwa die Hälfte der Kinder, die in pakistanischen Teppichmanufakturen als Schuldknechte arbeiten, sterben bevor sie zwölf Jahre alt sind."
In einer deutschen Zeitungsanzeige aus den 70-er Jahren über eine Arbeiterin auf Haiti klingt das so: "Für nur einen US-Dollar arbeitet sie gerne für Sie acht Stunden, und viele, viele hundert ihrer geschickten Freundinnen warten auf Sie." Oder das Beispiel Kinderprostitution: In der Ausstellung wird durch Ausschnitte aus dem ARD-Krimi "Tatort Manila" auch anschaulich gemacht, wie ganze Familien von der "Ware Kind" abhängig sind, die sie so genannten Touristen aus Europa anbieten.
Durchaus zum Widerspruch will Museumschef Hendricks im dritten Teil der Schau einladen: "Mancher wird überrascht sein, auch Themen wie Drogensucht und das menschliche Genom präsentiert zu sehen." Vom Alkohol sind 1,6 Millionen Deutsche abhängig, vom Tabak 6,8 Millionen. An einem qualmenden "Rauchertorso"(einem anatomischen Modell aus dem Dresdner Hygiene-Museum) soll aber nicht nur klar werden, was jeder Raucher so wie so weiß, dass Rauchen der Gesundheit schadet. Die Ausstellungsmacherinnen interessieren die Mechanismen, wie Abhängigkeiten entstehen und wie das Konsumverhalten in der westlichen Welt auch mit der modernen Sklaverei zu tun hat.
Auch dass sich der menschliche Wille bei der Wahl der Partner oder der oft fanatischen Folge eines bestimmten Schönheitsideals nicht als frei erweist, gehört nach Auffassung von Alfred Hendricks zum Thema Abhängigkeit. Vieles sei in der jeweiligen Kultur oder sogar im menschlichen Erbgut festgelegt. Dennoch wolle die Ausstellung nicht der "Macht der Gene" das Wort reden: "Unsere Biologie bestimmt auch unsere Handlungen, legitimiert sie aber nicht."Die Ausstellung möchte den Besucher anregen, bei der Frage nach dem Handel mit menschlichem Erbgut Stellung zu beziehen.
Zur Ausstellung erscheint ein Begleitbuch, 192 Seiten, 38,90 Mark. Das LWL-Naturkundemuseum (neben dem Zoo in Münster ) hat täglich außer montags von 09.00 bis 18.00 Uhr geöffnet,
Eintritt 6,-/3,- Mark, Internet: https://www.lwl.org/naturkundemuseum.
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Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.
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