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Mitteilung vom 20.09.23

Presse-Infos | Psychiatrie

"Mit der Diagnose Alzheimer ist das Leben nicht vorbei"

Leiter der LWL-Memory Clinic spricht zum Welt-Alzheimertag über Demenz, deren Prävention und Folgen

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Münster (lwl). Im Jahr 2021 wurden in Deutschland rund 1,8 Millionen Demenzkranke gezählt. Etwa zwei Drittel von ihnen hatten eine Alzheimer-Diagnose. Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft prognostiziert bis 2050 einen bundesweiten Anstieg der Demenzerkrankungen auf rund 2,4 Millionen.

Grund dafür sei die immer älter werdende Gesellschaft, so Dr. Tilman Fey, Leiter der 2002 gegründeten Memory Clinic der LWL-Klinik in Münster. Er bietet mit seinem Team des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) Gedächtnissprechstunden an, ein ambulantes Angebot zur Diagnostik von kognitiven Beeinträchtigungen. Das Team um Dr. Fey besteht aus Ärzt:innen, Psycholog:innen, Sozialarbeiter:innen, medizinischen Fachangestellten und Pflegekräften. Zweimal in der Woche kümmern sie sich um die Diagnostik und Behandlung von Gedächtnisstörungen und bieten Beratung zum Thema an.

Neben dem primären Ziel der Sprechstunde, die Ursache einer Demenz zu diagnostizieren, gehe es insbesondere auch darum, behandelbare Erkrankungen auszuschließen, so Fey. "Schilddrüsen-, Leber- oder Niereninsuffizienz, eine Schlafmittelabhängigkeit oder auch ein übermäßiger Alkoholkonsum können ähnliche Symptome verursachen wie die Alzheimer-Demenz", so der Spezialist für Gerontopsychiatrie. Etwa 20 Prozent der Personen, die in seine Sprechstunde kommen, seien nicht demenziell erkrankt. Bei einem Großteil von ihnen werde eine Depression diagnostiziert. Verursacht werde diese oftmals durch gravierende Veränderungen der Lebensumstände, wie etwa der Verlust des/der Partner:in, durch eine verringerte Mobilität oder Vereinsamung. Wie eine Demenz könne auch eine Depression zu Konzentrationsverlust und einer verminderten Merkfähigkeit führen. "Eine Depression können wir aber behandeln. Untersuchungen von Gedächtnisstörungen sind deshalb so wichtig, damit wir die kleine Menge an behandelbaren Krankheiten erkennen können", betont Fey.

Ein Arzt sollte immer dann konsultiert werden, wenn die Gedächtnisstörungen einen Leidensdruck auslösten oder die Person im Alltag nicht mehr gut zurechtkomme. Es sei normal, dass im Alter das zeitgleiche Ausführen mehrerer Aufgaben (das sogenannte "Multitasking") oder bestimmte andere kognitive Fähigkeiten schlechter werden. Falle einem dann mal ein Name nicht mehr ein, müsse man sich keine Sorgen machen. Auch dass das Gedächtnis nicht mehr so schnell funktioniere wie früher, sei unbedenklich. Angehörige sollten jedoch hellhörig werden, wenn das episodische Gedächtnis nachlasse. "Eine klassische Frage, die ich zum Test stellen kann, wäre: Was hast du vor zwei Tagen mittags gegessen?"

In seiner Sprechstunde führt Tilman Fey diverse neuropsychologische Testungen durch. Eine Bildgebung vom Kopf und Blutwerte gehören zudem zur Diagnostik. An einem zweiten Tag wird dann abschließend die Diagnose besprochen. Manche wollten diese aus Angst vor den Konsequenzen gar nicht so genau hören, weiß Fey aus Erfahrung. Sein Ziel sei es jedoch, die Angst vor der Diagnose zu nehmen. "Mit der Diagnose Demenz ist das Leben nicht vorbei. Sie wollten schon immer eine Weltreise machen? Ja dann, auf gehtâ¿¿s! Machen Sie sich eine gute Zeit. Erfüllen Sie sich Träume. All das geht auch zu Beginn der Krankheit noch."

Die Memory Clinic des LWL in Münster stellt sicher, dass der/die Patient:in auch nach der Diagnose gut betreut wird. Könne eine adäquate ärztliche Versorgung der Patient:innen am Heimatort nicht gesichert werden oder seien die Erkrankungsbilder zu komplex, werden sie sogar in der Memory Clinic selbst weiterbehandelt. Darüber hinaus beraten Sozialarbeiter:innen, wie die häusliche Situation verbessert werden könne, wie man einen Pflegegrad beantrage und welche Vorkehrungen nun bereits getroffen werden sollten.

Heilbar sei die Krankheit nicht, so Fey. Die klinische Forschung zu einer möglichen Antikörper-Behandlung sei zwar weit fortgeschritten und teils sehr vielversprechend, derzeitig verfügbare Medikamente könnten aber lediglich den Verlauf beeinflussen. Dies könnten nichtmedikamentöse Behandlungsformen aber mindestens genauso gut, so der Leiter der Gerontopsychiatrie: "Mit Ergotherapie, Gedächtnistraining und Bewegung kann man so viel bewirken, diese Behandlungen werden im Behandlungsplan aber oftmals vergessen."

Alzheimer könne man vorbeugen: Übergewicht, hoher Blutdruck, Diabetes, wenig Bewegung, Rauchen und wenig kognitive Aktivität seien alles Risikofaktoren. "Wenn wir diese ab dem Jugendalter so niedrig wie möglich halten, senken wir die Wahrscheinlichkeit, im Alter an Alzheimer zu erkranken, um bis zu 30 Prozent", verdeutlicht Fey.

Grundsätzlich steige jedoch das Erkrankungsrisiko mit dem Alter exponentiell. Und genau hier sieht Fey ein großes Problem: "Die jetzigen Versorgungsstrukturen werden in Zukunft kaum noch ausreichen, wir müssen neue schaffen. Und damit meine ich nicht neue Heimplätze, sondern mehr ambulante Angebote." Ein Großteil der Erkrankten würde derzeit Zuhause von ihren Angehörigen betreut. Das sei weder einfach noch attraktiv - vor allem finanziell nicht. Ziel müsse es daher sein, dass die Menschen in ihrer gewohnten Umgebung gut betreut werden könnten und Angehörige tagsüber Entlastung fänden. "Wir werden Ähnliches erleben wie auch bei der Rentenkurve: Einen Anstieg an Erkrankten bei immer weniger Pflegekräften. Deswegen sollten wir jetzt Geld in die Hand nehmen, um Strukturen zu schaffen, die die ambulante Versorgung aufrechterhalten", appelliert Fey.


Hintergrund
Demenz ist der Überbegriff für Erkrankungen, die mit Gedächtnisverlust und weiteren kognitiven Beeinträchtigungen wie Orientierungslosigkeit und Sprachbeeinträchtigungen einhergehen. Unterschieden wird zwischen der primären und der sekundären Demenz. Etwa 95 Prozent der demenziellen Erkrankungen sind auf die primäre Demenz zurückzuführen. Diese wird ausgelöst durch Veränderungen im Gehirn: Zu etwa zwei Dritteln handelt es sich um die Alzheimer-Demenz, häufig bestehen auch Durchblutungsstörungen wie bei der vaskulären Demenz. Darüber hinaus gibt es noch die Lewy-Körper-Demenz sowie die Frontotemporale Demenz. Letztere wird zumeist erst recht spät diagnostiziert. Sie zeichnet sich gerade zu Beginn nicht durch Gedächtnisprobleme, sondern durch eine zunehmende Enthemmung - also durch eine radikale Verhaltensänderung - aus.

Nur etwa fünf Prozent der demenziellen Erkrankungen sind der sekundären Demenz zuzuordnen. Auslöser sind andere Erkrankungen, wie Depressionen oder Stoffwechselerkrankungen, oder aber die (falsche) Einnahme von Medikamenten.



Pressekontakt:
Maren Becker, LWL-Pressestelle, Tel.: 0251 591 5400, E-Mail: maren.becker@lwl.org und Sybille Kaufhold, LWL-Klinik Münster, Tel.: 0251 91555-1011, E-Mail: sibkaufh@lwl.org
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