LWL-Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Mitteilung vom 23.11.22

Presse-Infos | Psychiatrie

Vorträge beleuchteten die 50er Jahre in der Lengericher Psychiatrie

LWL-Klinik Lengerich: Neue Broschüre "Ein Pfleger erinnert sich" erhältlich

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Lengerich (lwl). Mit zwei eindrucksvollen Fachvorträgen im Festsaal stellte sich die LWL-Klinik Lengerich ihrer frühen Nachkriegsgeschichte. Während Prof. Dr. Franz-Werner Kersting über das Wirken des Lengericher Anstaltsleiters Hans Merguet (Dienstzeit 1949-1957) berichtete, stellte Leonie Vinkelau Auszüge ihrer Masterarbeit vor: Sie hatte den handschriftlichen Erfahrungsbericht des ehemaligen Pflegers Walter Wiegand über den Stationsalltag Anfang der 1950er Jahre in der damaligen Provinzial-Heilanstalt Lengerich ausgewertet und mit Schilderungen anderer Zeitzeugen verglichen.

Ein großes Publikum, darunter zahlreiche Mitarbeitende und Pensionäre der LWL-Klinik Lengerich, folgte den Vorträgen höchst interessiert. Im Anschluss ergaben sich lebhafte Gespräche und Diskussionen, die auch verdeutlichten, dass die Wirklichkeit nicht völlig authentisch widergespiegelt wird, sondern immer auch subjektiv eingefärbt ist.

Kersting zeigte in seinem Vortrag auf, dass die verbrecherische NS-Psychiatrie- und Kriegspolitik nicht nur zu einem inhumanen Absturz im Zeichen von massenhaften Zwangssterilisierungen und "Euthanasie"-Morden geführt hatte. Gleichzeitig hatte sie in den Anstalten ein noch weit über 1945 hinaus fortbestehendes materielles und therapeutisches 'Brachland' hinterlassen - verbunden mit einem tiefgreifenden Ansehens- und Vertrauensverlust der deutschen Psychiatrie. Wie der Psychiater Hans Merguet mit den 'braunen Erblasten' des eigenen Faches umging und wie er in Lengerich vergleichsweise früh erste Schritte zu einer Verbesserung der Klinik- und Krankensituation unternahm, war der Schwerpunkt von Kerstings Vortrag. Merguet habe einerseits bewusst an Reformtraditionen aus der Zeit vor 1933 angeknüpft (Stichwort: "aktivere Krankenbehandlung" nach Hermann Simon). Andererseits habe er auch eigene fortschrittliche Positionen und Therapieansätze eingebracht, die schon etwas von dem Geist des Reformaufbruchs der '68er'-Jahre vorwegnahmen, so der Historiker. Kersting zeigte jedoch auch Widersprüche auf: Zum Beispiel bestehe eine Diskrepanz zwischen Merguets Selbst- und Außendarstellung der Lengericher Psychiatrie und der tatsächlichen Alltagswirklichkeit in den 1950er Jahren. Denn für das Gros der Lengericher Patientinnen und Patienten (und durchaus auch für Teile des Personals) habe das Leben unter Anstaltsbedingungen weiterhin jene Qualität gehabt, die dann im psychiatriekritischen Fach- und Reformdiskurs der '68er'-Jahre als "brutale Realität" gebrandmarkt wurde.

Das bestätigen die Aufzeichnungen von Walter Wiegand über seine Zeit als Lernpfleger ab 1953. Die Situation zu der Zeit erinnere eher an eine Strafanstalt als ein Krankenhaus, so Leonie Vinkelau. Für Individualität der Patient:innen habe es keinen Platz gegeben. Es sei primär um ihre möglichst effiziente Verwahrung gewesen: Die Beaufsichtigung der Kranken machte den Kern der Arbeit des Pflegepersonals aus. Die Pflegekräfte wurden bis weit ins 20. Jahrhundert hinein sogar als "Wärter" bezeichnet. Die Pflegenden mussten die Stationen aber nicht nur sichern, sondern auch sauber halten. Trotzdem sei auch die Fürsorge ein entscheidender Bestandteil von Wiegands Arbeit gewesen, so Leonie Vinkelau. Doch die Fürsorge sei damals vor allem auf Zweckmäßigkeit ausgelegt gewesen. Das Verhalten des Pflegepersonals gegenüber den Kranken sowie auch das Verhältnis zwischen Pflegepersonal und Ärzteschaft und die Behandlungsmethoden Anfang der 1950er Jahre waren weitere Themen ihres Vortrags. Der Bericht von Wiegand sei insgesamt weder beschönigend noch besonders kritisch, so Vinkelau.

"Die Veröffentlichung der Studie ordnet sich in unser Bemühen um eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der eigenen Klinik ein", betont die Betriebsleitung der LWL-Klinik Lengerich im Vorwort einer gerade erschienen Broschüre: Wiegands gesamte Aufzeichnungen sowie Auszüge aus Leonie Vinkelaus Masterarbeit hat die LWL-Klinik Lengerich jetzt unter dem Titel "Ein Pfleger erinnert sich" veröffentlicht. Die Publikation kann für 5 Euro erworben werden, Tel. 05 481 /12 1011.



Pressekontakt:
Jutta Westerkamp, LWL-Klinik Lengerich, Tel.: 05481 12-6450, E-Mail: jutta.westerkamp@lwl.org und Thorsten Fechtner, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org



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