LWL-Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Mitteilung vom 05.12.18

Presse-Infos | Psychiatrie

Wie Achtsamkeit in der Behandlung von suchterkrankten Jugendlichen helfen kann

Fachleute diskutieren Behandlungskonzepte in der LWL-Universitätsklinik Hamm

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Hamm (lwl). Sucht hat viele Gesichter und vor allem viele Geschichten: Neben Alkohol- und Drogenabhängigkeit kommen in neuester Zeit vor allem internetbezogene Störungen hinzu. Insbesondere Jugendliche sind gefährdet und legen schon in jungen Jahren einen Grundstein für ein jahrelanges Suchtverhalten. Die vielen Facetten von Sucht, aktuelle Aspekte der Vorbeugung sowie Behandlungsmöglichkeiten diskutieren Fachleute am 5. Dezember in der kinder- und jugendpsychiatrischen Universitätsklinik Hamm des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL).

"In unserem Symposium 'Jugend und Sucht' möchten wir diese verschiedenen Aspekte der Suchterkrankungen, ihrer Vorbeugung und Behandlung im Kindes- und Jugendalter in den Blick nehmen", sagt Prof. Dr. Tanja Legenbauer, Leiterin der Forschungsabteilung und Testdiagnostik der Universitätsklinik. "Dabei spannen wir den Bogen von der Arbeit mit Kindern suchtkranker Eltern über psychotherapeutische Ansätze bei Mediensucht bis hin zu achtsamkeitsbasierten Verfahren als neue therapeutische Methode in der Suchtbehandlung."

Die achtsamkeitsbasierte Therapie wird auch in der Behandlung mit suchterkrankten Jugendlichen in der Universitätsklinik Hamm eingesetzt. Im Rahmen einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Studie wird die Verbesserung der psychischen Gesundheit und Verringerung von Suchtgefahr im Kindes- und Jugendalter durch Achtsamkeit untersucht. Schätzungen zufolge leiden bis 15% der 14- bis 24 -Jährigen an einer Alkohol- und ca. 5% an einer Cannabisgebrauchsstörung mit gravierenden Folgekosten und langfristigen psychosozialen Auswirkungen. Die Erfolge derzeit angebotener Therapien sind aufgrund hoher Rückfallquoten (bis 80%) unzureichend. Neuere Studien weisen auf den Erfolg von achtsamkeitsbasierten Verfahren in der Behandlung von Suchterkrankungen hin. Wie achtsamkeitsbasierte Therapie in der Klinik umgesetzt werden kann erklärt Prof. Dr. Tanja Legenbauer.

Frage: Das Thema Achtsamkeit erscheint immer wieder in Zusammenhang mit Burn-out und anderen psychischen Erkrankungen. Wie kann Achtsamkeit suchterkrankten Jugendlichen helfen?
Tanja Legenbauer: Wir wissen aus früheren Studien, dass Patienten, die Schwierigkeiten haben, sich selbst zu steuern und sehr impulsiv handeln, häufig auch zur Entwicklung und Aufrechterhaltung von Suchterkrankungen beitragen. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass achtsamkeitsbasierte Verfahren dabei helfen können, diese Schwierigkeiten besser zu meistern.
Bei Achtsamkeit geht es vor allem darum, innezuhalten und zu verstehen, was gerade mit einem los ist. Sich besser zu spüren und zu erkennen, was im eigenen Körper passiert, soll den Jugendlichen helfen, sich selbst besser zu steuern, Risikosituationen besser zu bewältigen und Rückfälle in Suchtverhalten reduzieren. Wir wissen aus dem Erwachsenenbereich, dass Achtsamkeit beispielsweise die Rückfallhäufigkeit bei Menschen mit einer Alkoholabhängigkeit reduziert. Auch erste Hinweise aus Studien mit Jugendlichen zeigen, dass achtsamkeitsbasierte Verfahren hilfreich sein können, um beispielsweise Stress besser zu regulieren und emotionale Belastung und Ängste zu reduzieren.

Frage: Wie sieht das ganz praktisch aus und wie kann man erreichen, dass Jugendliche die Achtsamkeit gegenüber sich selbst steigern können?
Tanja Legenbauer
: Im Rahmen unseres Therapieangebots wollen wir den Jugendlichen helfen, ihrem Verlangen nach Drogenkonsum nicht automatisch nachgeben zu müssen, sondern zu einer Wahlmöglichkeit zu kommen. Eine Übung, die wir beispielsweise mit den Jugendlichen dazu machen, ist die Welle des Verlangens zu begleiten. Den Anstieg und das Absinken der Welle zu beobachten, ohne gleich in eine Handlung kommen zu müssen. Um letztendlich eine achtsame Haltung in den Alltag übertragen zu können, bedarf es viel Übung. Hilfreich kann dabei sein, auch im Alltag immer wieder inne zu halten und sich auf den Moment zu konzentrieren, was gerade in einem selbst passiert, dies anzunehmen, ohne es zu werten. Dies kann man tun, indem man zum Beispiel die Aufmerksamkeit auf die Umgebung, auf Geräusche oder Gerüche lenkt oder auf die eigenen Schritte achtet.

Frage: Seit wann und in welchem Rahmen bietet die Klinik diese Therapieform an?
Tanja Legenbauer
: Im Rahmen einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten großangelegten Verbundstudie mit dem Namen "IMAC - Mind*" führen wir ein Teilprojekt in Kooperation mit dem Universitätsklinikum in Hamburg durch. Dabei bieten wir zusätzlich zu den herkömmlichen Therapieangeboten eine achtsamkeitsbasierte Gruppentherapie bei Jugendlichen mit Suchthintergrund in der stationären Behandlung an. Die Therapiegruppe findet über vier Wochen zweimal wöchentlich statt und beinhaltet neben Achtsamkeitsübungen wie Meditationen auch Übungen an, die helfen sollen, Achtsamkeit in den Alltag zu übertragen. Diese Studie läuft seit dem Sommer in unserer Klinik.

*IMAC-Mind: Improving Mental Health and Reducing Addiction in Childhood and Adolescence through Mindfulness: Mechanisms, Prevention and Treatment; auf Deutsch: Verbesserung der psychischen Gesundheit und Verringerung von Suchtgefahr im Kindes- und Jugendalter durch Achtsamkeit: Mechanismen, Prävention und Behandlung.

Frage: Kann Achtsamkeit bei allen Formen von Suchterkrankungen eingesetzt werden?
Tanja Legenbauer
: Generell ja, allerdings bedarf es hier im Kinder- und Jugendbereich noch weiterer Forschung. Das hat sich der IMAC-Mind-Verbund mit Forschungsprojekten in neun Einrichtungen zum Ziel gemacht. Hier wird die Wirksamkeit achtsamkeitsbasierter Verfahren in unterschiedlichen Gruppen wie beispielsweise Jugendliche mit Suchterkrankung und Lernbehinderung, Kinder mit suchterkrankten Eltern oder mit frühen Verhaltensauffälligkeiten untersucht. Eine weitere Studie zielt auf die Reduzierung von Tabak und Alkohol in der Schwangerschaft zur Verbesserung der Gesundheit von Kindern.

Frage: Welche Faktoren müssen bei der Suchtbehandlung von Jugendlichen noch berücksichtigt werden?
Tanja Legenbauer
: Suchtbehandlung betrifft das ganze Individuum mitsamt seiner familiären und sozialen Umwelt. Kinder suchterkrankter Eltern stellen eine besondere Risikogruppe für eine spätere eigene Suchterkrankung dar. Sowohl Suchtprävention als auch die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Abhängigkeits- und Suchterkrankungen ist in Deutschland aber noch unzureichend. Es mangelt beispielsweise vielerorts noch an jugendspezifischen Versorgungseinrichtungen und an generationenübergreifenden Behandlungsangeboten.


Hintergrund:
Die LWL-Universitätsklinik Hamm bietet ein mehrstufiges Behandlungsangebot für Jugendliche und junge Erwachsene mit Suchtstörungen an. Neben legalen und illegalen Drogen spielen auch Verhaltenssüchte wie Medienkonsum zunehmend eine Rolle in der Behandlung. Das gesamte Therapieprogramm kann auf dem Klinikgelände durchgeführt werden. Hier wird neben einem stationären Entzug auch eine oft begleitende psychische Erkrankung mitbehandelt. Im Anschluss folgt die medizinische Rehabilitation, bei der die Patienten nach jahrelangen Suchtverläufen lernen, ihr Leben wieder eigenständig zu führen. Übergreifende Angebote wie der Besuch von Klinikschule und Fachtherapien auf dem Gelände ergänzen das umfassende Therapieangebot. Informationen und Kontaktaufnahme über http://www.drug-out.de und http://www.lwl-jugendpsychiatrie-hamm.de sowie über die Suchtambulanz der Klinik, Telefon: 02381/893-5014.

Forschungsverbund IMAC-Mind
Der Forschungsverbund IMAC-Mind bündelt acht Forschungsprojekte in neun Einrichtungen in sieben deutschen Städten zum Thema Suchtprävention und Suchttherapie im Kindes- und Jugendalter. Der Verbund wird im Rahmen der Förderinitiative "Gesund - ein Leben lang" insgesamt vier Jahre lang durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert.
Weitere Informationen unter: http://www.imac-mind.de



Pressekontakt:
Thorsten Fechtner, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235 und Klaudia Suilmann, LWL-Universitätsklinik Hamm, Telefon: 02381 893-5018, klaudia.suilmann@lwl.org
presse@lwl.org



LWL-Einrichtung:
LWL-Universitätsklinik für Kinder und Jugendliche Hamm
Heithofer Allee 64
59071 Hamm
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Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


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