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Mitteilung vom 29.11.13

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In der LWL-Restaurierungswerkstatt

Glas für Trinkspiele zeugt vom Alltag auf der Werburg

Bewertung:

Spenge (lwl). Gut gehen ließen es sich die Bewohner der Werburg in Spenge (Kreis Herford). Die Räume waren von hübschen Kachelöfen geheizt, und Austern kamen aus der Ferne direkt auf die ostwestfälische Tafel der Adligen. Ein Glas, das die Fachleute in der Restaurierungswerkstatt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) aus unzähligen Scherben wieder zusammengesetzt haben, verrät noch mehr über den Alltag auf der Burg: Trinkspiele stand hier offenbar ebenfalls hoch im Kurs.


Als die Scherben unter den Händen der LWL-Archäologen wieder ans Tageslicht kam, war die Hoffnung auf eine vollständige Restaurierung nicht groß. ¿Wir gingen davon aus, dass wir weniger als zwei Drittel des ursprünglichen Gefäßes vor uns hatten¿, schildert Grabungsleiter Dr. Werner Best. Es kam jedoch anders.

Tage hat Florian Westphal damit verbracht, jedes der vielen Fragmente aus Glas wieder an ihren Platz zu bringen, den es im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert hatte. In der Restaurierungswerkstatt der LWL-Archäologie für Westfalen absolviert der 24-Jährige aktuell ein Praktikum im Rahmen seines Studiums an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin

Zunächst legte Florian Westphal unter Anleitung von Werkstattleiter Sebastian Pechtold die zerbrochenen Einzelteile aus und überprüfte den Erhaltungszustand. ¿Der war nicht besonders gut¿, erinnert er sich. ¿Die Glassubstanz war bereits korrodiert und löste sich in Schichten auf.¿ Der Verwitterungsprozess löste einzelne Elemente aus dem Glas heraus. Dadurch entstand eine Gelschicht auf der Oberfläche. Deshalb war es zunächst erforderlich, das Glas mit einer kunststoffähnlichen Substanz zu festigen.

Dann streifte sich der angehende Restaurator Handschuhe über und suchte für jede Glasscherbe ihren ursprünglichen Platz. Wie ein großes Puzzle baute er akribisch das Glas von unten nach oben wieder auf. ¿Dabei hält zunächst ein spezielles Klebeband alle Teile an ihren Bruchstellen zusammen¿, erläutert er. Erst als alle Teile zusammengesetzt waren, sorgte eine Infiltrationsklebung für den nötigen Halt. Sie dringt auch in die kleinste Lücke ein. Zwei Tage brauchte die fragile Rekonstruktion um auszuhärten. Zum Schluss wird alles noch einmal mit einem Lösungsmittel gereinigt. Für all diese Arbeiten mussten die Luftfeuchtigkeit und die Temperatur stabil bleiben, auch Licht und Staub durften nicht an das Material gelangen.

¿Anstelle der ursprünglich gedachten zwei Drittel konnten 80 bis 90 Prozent des Glases wieder rekonstruiert werden¿, schildert Dr. Birgit Münz-Vierboom. Die Leiterin der Zentralen Dienste der LWL-Archäologie für Westfalen weiß, wie wichtig diese Arbeiten für die archäologische Gesamtdokumentation von Fundplätzen sind. ¿Wenn die Archäologen ihre Ausgrabungen beendet und die Funde dokumentiert haben, beginnt oft erst die eigentliche Arbeit¿, schildert sie. ¿Während der Restaurierung ergibt sich oft ein völlig neuer Eindruck von den Funden und Befunden und damit auch für die wissenschaftlichen Ergebnisse.¿

So auch in diesem Fall. Glas als Werkstoff war im 16. und 17. Jahrhundert kein Gebrauchsgut für jedermann ¿ für Adel und Bürgertum dagegen durchaus Alltag. Was als gewöhnliches Trinkglas vermutet wurde, zeigte während der Restaurierung mit bislang unter der Verwitterung verborgenen Details seine wahre Bestimmung. Dezente Ringe, in so genannten Päßen und damit bestimmten Abständen auf dem Glas angeordnet ¿ waren für den Trinker wichtige Markierungen: Bei heiteren Trinkspielen waren die Päße Maßstäbe für das eigene Leistungsvermögen im feuchtfröhlichen Wettstreit. Schon damals gab es öffentliche Diskussionen über Alkohol, der sich zu einem gesellschaftlichen Problem entwickelte. Streitschriften bezogen deutlich Stellung ¿ auch gegen Trinkspiele.

Für die Stadt Spenge ist die Arbeit, die sich nach der eigentlichen Ausgrabung in der Werkstatt anschließt, bereichernd. ¿Jetzt wissen wir wieder ein wenig mehr darüber, wie die Menschen auf dieser Anlage gelebt haben, die heute den Besuchern ein Stück unserer lokalen Geschichte vermittelt¿, betont Spenges Bürgermeister Bernd Dumcke. Das Glas kehrt jetzt zunächst in das Zentrale Fundarchiv der LWL-Archäologie für Westfalen in Münster zurück. ¿Wir studieren das Glas jetzt noch einmal ausführlich und ergänzen die bisherige wissenschaftliche Dokumentation der Ausgrabungsergebnisse¿, schildert LWL-Archäologe Best.



Pressekontakt:
Frank Tafertshofer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235 und Katja Burgemeister, LWL-Archäologie für Westfalen, Telefon: 0251 591-8921.
presse@lwl.org




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