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Mitteilung vom 17.04.13

Presse-Infos | Psychiatrie

Glückshormon für Menschenaffen

LWL-Experte: Was wir von psychisch gestörten Primaten lernen können

Bewertung:

Die Psychiatrie hilft Schimpansen. Helfen Schimpansen der Psychiatrie? Kann gut sein, meint Prof. Dr. Martin Brüne. Neben seinem Haupt-Job mit Patienten am Universitätsklinikum Bochum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) behandelt Brüne seit vier Jahren schwer traumatisierte Menschenaffen in einer niederländischen Rettungsstation. Dort werden die ehemaligen Versuchstiere nun vor körperlichen und seelischen Verwundungen bewahrt, die sie bei mitunter jahrelangen Experimenten und Einzelkäfighaltung in biomedizinischen Forschungslaboratorien erlitten haben. Depressive, posttraumatische oder Angst-Störungen der Affen wie auch die Behandlungsmethoden ähneln denen bei Menschen.

Herr Brüne, woran erkennen Sie als Experte aus einer doch eher ¿sprechenden` Medizin-Disziplin, dass ein Affe psychisch krank ist?
Brüne: Die Schimpansen verhalten sich atypisch zum Verhalten gesunder Artgenossen in freier Wildbahn oder in artgerechter Haltung. Sie erbrechen ihre Nahrung und fressen das Erbrochene, sie verletzen sich selbst oder schaukeln mit ihren Körpern hin und her. Viele dieser Tiere haben eine frühe Traumatisierung erlebt, sei es weil sie als Forschungsexemplare früh aus ihrer natürlichen sozialen Umgebung gerissen oder sei es, weil sie wider ihrem Naturell in Labor-Einzelkäfigen gehalten und regelmäßig mit Betäubungsspritzen traktiert wurden. Jetzt leiden sie an etwas Vergleichbarem zu posttraumatischen Belastungsstörungen.

Wie können Sie den Affen helfen?
Brüne: Unter Leitung der niederländischen Biologin Dr. Godelieve Krankendonk versuchen wir in der Rettungsstation, mit Hilfe einer Kombination aus einer spielerisch interessanten Umgebung und einer vorsichtig dosierten Psychopharmaka-Behandlung das abnorme Verhalten zu reduzieren. Das klappt erstaunlich gut. Viele der Tiere haben wieder Kontakt zu Artgenossen aufgenommen und zeigen soziales Spielverhalten. An Grenzen stößt die Hilfe, weil viele der Ex-Laboraffen zu Forschungszwecken mit HIV- oder Hepatitis-Viren infiziert worden sind. Darum kann man sich ihnen nur mit einem Zaun dazwischen nähern. Und darum müssen sie unter sich bleiben, sind nicht mehr in andere Schimpansen-Gruppen integrierbar.

Welche Wirkung zeigen Ihre Behandlungsmaßnahmen?
Brüne: Ziemlich einfache Interventionen wie zum Beispiel Ernährungsumstellungen, die spieltherapeutische Anreicherung der Gehege-Möblierung und wohlüberlegte Medikamentengabe zeigen gute Wirkung. Erbrechen, Körperschaukeln und andere Symptome gingen zurück, auch im Vergleich mit einer Kontrollgruppe aus Artgenossen.

Und welche Medikamente bekommen die Affen?
Brüne: Sie bekommen serotoninhaltige Präparate. Der Botenstoff Serotonin ist bei Menschen auch als ¿Glückshormon` bekannt. Serotoninmangel im Gehirn kann sich unter anderem in depressiver Verstimmung und Angst äußern, Symptome, die auch unsere Affen zeigten.

Lassen sich Beobachtungen und Befunde über seelisch gestörte Primaten auch auf den Menschen übertragen?
Brüne: Zum Teil vielleicht schon. Auch wenn unsere begrenzte Verhaltensstudie wissenschaftlichen Standards noch nicht genügen kann: Es gibt Parallelen bei den Krankheitsbildern Depression und Posttraumatische Belastungsstörung hinsichtlich Ursachen, Symptomen und Verläufen. Andererseits werden Behandlungskonzepte beim Menschen stets sehr viel komplexer sein als diejenigen, die wir bei unserer Schimpansen-Gruppe angewandt haben.

Seit wann gibt es überhaupt psychische Störungen?
Brüne: Psychische Krankheiten hat es sicher schon immer gegeben, seitdem es Menschen gibt. Mit der Zunahme an Stressoren im Alltag ist es aber wahrscheinlicher geworden, dass immer mehr Menschen an Depressionen oder Ängsten erkranken.

Warum sind psychische Störungen nicht ausgestorben im Laufe der Evolution?
Brüne: Das ist die entscheidende Frage. Im Laufe der menschlichen Evolution ist unser Verhaltensrepertoire immer flexibler geworden, weil unsere Gehirne auf unterschiedliche Umweltbedingungen flexibel reagieren können. Mit zunehmender Flexibilität ist aber möglicherweise eine erhöhte Störanfälligkeit entstanden. So sind wir sicher nicht gut an das Leben in Massengesellschaften angepasst. Psychische Störungen waren bei indigenen Völkern vermutlich seltener, weil die Menschen viel weniger Stressoren im Alltag ausgesetzt waren und frühkindliche Traumatisierungen durch Vernachlässigung oder gar Missbrauch vermutlich kaum vorkamen. Insofern gibt es keinen evolutionsgeschichtlich entstandenen Mechanismus, der uns heutzutage unempfindlich gegen Stress und traumatische Erfahrungen machen würde.

Was können wir Menschen aus der Beobachtung psychisch gestörter Affen konkret lernen?
Brüne: Die Gesellschaft muss, so glaube ich, lernen, dass Depressionen, Ängste und andere psychische Störungen zur Natur des Menschen gehören. Viele leben in einem ständigen Konkurrenzkampf, haben Sorge um ihren Arbeitsplatz, schaffen sich nicht genügend Ausgleich usw.. Das sind Faktoren, die die Entstehung von Depressionen begünstigen. Wir sollten daher versuchen, unsere aktive Stressregulation zu verbessern und auf eine gesunde Work-Life-Balance mit Entspannung und Gegenwelten zum Beruf zu achten, wenn wir die stetige Zunahme von psychischen Störungen aufhalten wollen.

Hintergrund:
Die mentalen Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Affe interessieren den Bochumer LWL-Psychiater Prof. Dr. Martin Brüne, Leiter der dortigen Forschungsabteilung für Kognitive Neuropsychiatrie und psychiatrische Präventivmedizin, schon lange. Verstärkt in sein Blickfeld gerieten Schimpansen seit etwa Mitte des vorigen Jahrzehnts, als weltweit Hinweise auf psychisch schwer geschädigte Versuchstiere in Forschungslabors zunahmen, wie Brüne nach der kürzlichen Bostoner Jahrestagung der Amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften der renommierten Zeitschrift Scientific American schilderte. Nachdem Menschenaffen rund 80 Jahre lang für die biomedizinische Forschung hatten herhalten müssen, verbot die EU 2010 deren Einsatz dafür. Ein Großteil der 500 bis 700 Versuchstiere weltweit sollen aus der Laborgefangenschaft in Rettungsgehege nach dem niederländischen Beispiel kommen, fordert auch Brüne.



Pressekontakt:
Karl G. Donath, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235 und Kristin Woltering, Telefon: 0251 591-235, presse@lwl.org
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