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Mitteilung vom 03.07.09

Presse-Infos | Psychiatrie

Eine Lehre aus den Amokläufen

LWL und Unfallkasse NRW unterzeichnen Vertrag zur psychotherapeutischen Notfallversorgung

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Westfalen-Lippe (lwl). Der 20. November 2006: Es ist kurz vor halb zehn am Morgen, als in der Geschwister-Scholl-Realschule in Emsdetten ein Notruf abgesetzt wird. Scheinbar wahllos schießt ein 18-jähriger Schüler währenddessen um sich. Nach über einer Stunde sind etwa 30 Menschen verletzt, dann nimmt sich der Amokläufer das Leben. Viele der knapp 700 Schüler und ihrer Lehrer stehen unter Schock. Schulpsychologen kümmern sich um sie in den Stunden und Tagen nach der Tat.

Oft treten aber erst nach Wochen oder Monaten seelische Probleme auf, wenn die Ersthelfer ihren Einsatz längst beendet haben. Doch wer behält im Blick, ob die betroffenen Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen das Geschehene dauerhaft verarbeiten? ¿Die Amokläufe in Emsdetten und Winnenden haben uns vor Augen geführt, dass wir eine nachhaltige psychotherapeutische Versorgung brauchen¿, sagt Josef Micha, Sprecher der Geschäftsführung der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen. Daher hat die Unfallkasse NRW Versorgungsstrukturen aufgebaut, die Spätfolgen möglichst vermeiden soll. ¿Dafür brauchen wir in Zukunft starke Partner wie den LWL mit seinem westfalenweiten Krankenhausnetz¿, so Micha.

Die Zusammenarbeit der Unfallkasse NRW mit qualifizierten Psychotherapeuten des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) ist in einem Vertrag verankert, der am Donnerstag (2.7.) im LWL-Landeshaus unterzeichnet wurde. ¿Nach Anschlägen, Amokläufen, Betriebsunfällen und anderen Katastrophen mit vielen Betroffenen können wir den Versicherten der Unfallkasse NRW in Westfalen gewährleisten, dass sie psychotherapeutisch optimal versorgt werden und das auch noch Jahre nach einem sogenannten Großschadenereignis¿, betonte LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch.

Verbund als Vorteil
Ein spezielles Rehakonzept, das die Unfallkasse NRW nach dem Amoklauf in Emsdetten entwickelt hat, ist Grundlage für die Kooperation mit dem LWL. Vom 1. Oktober an stehen 60 für die Behandlung von Traumata qualifizierte Therapeuten der LWL-Kliniken im Katastrophenfall bereit, um langfristige seelische Schäden betroffener Menschen zu vermeiden. Der LWL verfügt mit seinem Kliniknetz über die Möglichkeit, in Notsituationen schnell Fachkräfte abzustellen, wenn nötig auch von mehreren Standorten aus. ¿Einzelne Krankenhäuser könnten das nicht leisten¿, ist Wolfgang Heiler überzeugt. Der Diplom-Psychologe aus der LWL-Klinik Marsberg wird der erste Zentrale Notfallpsychotherapeut des LWL-Psychiatrieverbundes Westfalen. Ihn alarmiert der Unfallversicherer im Ernstfall.

¿Dann muss es schnell gehen¿, sagt Dr. Alexandra Dittmann-Balcar, Psychotherapeutin und Heilers Stellvertreterin. Als ehrenamtliche Rettungshelferin beim Technischen Hilfswerk weiß sie, wie unübersichtlich die Lage nach einem Unglück sein kann. Spätestens 72 Stunden nach einem Ereignis müsse der verantwortliche Therapeut ein Hilfesystem aufgebaut haben, das direkt an die Erstversorgung durch Schulpsychologen oder Notfallhelfer anknüpft, erläutert Dittmann-Balcar. Neben der Organisation eines Einsatzteams aus Therapeuten sei es nötig, die richtigen Strukturen zu schaffen, um möglichst in Ruhe mit den Betroffenen arbeiten zu können. Bei Bedarf sorgt der verantwortliche Psychotherapeut für die Einrichtung einer Krisen-Hotline, die bis zu einem Jahr freigeschaltet sein kann.

¿Wechsler¿ beobachten
In der ersten Woche nach dem Ereignis ermitteln die Psychologen, wie die Leidtragenden das Erlebte verarbeiten. Sie unterscheiden dabei zwischen ¿Risikopersonen¿, ¿Wechslern¿ und ¿Selbsterholern¿. Letztere verkraften das Geschehene gut. ¿Wechsler¿ zeigen zunächst keine Anzeichen einer psychischen Verletzung, entwickeln aber nach einigen Wochen Symptome. Bei Menschen der Risikogruppe ist die Gefahr einer schweren Traumatisierung groß. Für die besonders Belasteten vermittelt der Notfallpsychologe kurzfristig Betreuungsangebote bei niedergelassenen Therapeuten oder den Traumaambulanzen.

¿Gerade die Wechsler gingen bisher häufiger verloren¿, sagt Wolfgang Heiler. Durch das neue Hilfesystem sollen sie im Auge behalten werden. ¿Wir versuchen, Kontakt mit ihnen zu halten und beraten sie, was sie bei Problemen tun können¿, erläutert der künftige Zentrale Notfallpsychotherapeut Westfalens.

Für den Ernstfall geschult
Auf die schwierige Situation nach einer Katastrophe soll eine viertägige Schulung die 60 Therapeuten aus den LWL-Traumaambulanzen vorbereiten. Darin lernen die Teilnehmer, wie eine Notfallplanung organisiert wird und wie sie sich selbst in die bereits bestehenden Strukturen der ersten Stunden einbinden können. In einer Notfallübung fühlen sich die Psychologen dann erstmals in den Ernstfall ein. ¿Da gibt es einiges zu beachten¿, weiß Alexandra Dittmann-Balcar. So sei beispielsweise eine Anweisung des Einsatzleiters keine Diskussionsgrundlage, auch wenn das für einen zumeist selbstständig arbeitenden Psychologen gewöhnungsbedürftig sei. Außerdem müsse es gelingen, trotz eines großen Medienauflaufes wie zuletzt im baden-württembergischen Winnenden die Betroffenen zu schützen und mit ihnen gut zu arbeiten. ¿Eine Katastrophe wie in Emsdetten können wir nicht verhindern¿, so die Psychologin, ¿doch können wir künftig die betroffenen Menschen besser vor seelischen Schäden bewahren.¿



Pressekontakt:
Karl G. Donath, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org




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Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


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