LWL-Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Mitteilung vom 06.02.08

Presse-Infos | Soziales

Gastfamilien betreuen Menschen mit Behinderung

Behindertenbeauftragte: ¿Eine Zukunftsidee¿

Bewertung:

Kreis Coesfeld (lwl). Monika ist aufgeregt. Ihr Pferdeschwanz wippt, die unruhigen Blicke der jungen Frau hüpfen durch die Wohnküche. Die vorige Nacht habe Monika schlecht geschlafen, sagt ihre Pflegemutter Marita ¿ wegen des hohen Besuchs, der sich angekündigt hat. Angelika Gemkow, die Landesbehindertenbeauftragte will gleich in das Einfamilienhaus am Rande einer kleinen münsterländischen Gemeinde kommen, um aus der Nähe zu sehen, was Marita und Gustav für die 31jährige Monika sind, eine Gastfamilie nämlich.

¿Gast¿ hört sich vorübergehend an, aber die behinderte Frau lebt mit ihrer Familie zusammen, seitdem sie vier Jahre alt war. ¿Monika ist die Älteste¿, sagt Marita (51), zwei jüngere Kinder seien aus dem Haus. Damals hätten sie und ihr Mann sich überlegt ein Pflegekind aufzunehmen. Dass es behindert gewesen sei, geistig und leicht spastisch gelähmt, habe keine Rolle gespielt. ¿Meine Schwester war auch halbseitig gelähmt, da war Behinderung für mich normal¿ erklärt der 54jährige Gustav, der in seiner Rolle als Gastvater nichts Besonderes erkennen kann. ¿Wir sind keine Vorzeigefamilie, wir leben unseren Alltag wie alle anderen.¿

Monika steht jeden Morgen um 6.30 Uhr auf und fährt nach dem Frühstück zur Arbeit in die Werk-statt für Menschen mit Behinderung nach Lüdinghausen (Kreis Coesfeld), wo sie Fahrradluftpumpen zusammensetzt. Heute nicht, denn die Beauftragte des Landes NRW ist zu Kaffee und Keksen gekommen.

Angelika Gemkow bedankt sich, dass sie zu Besuch sein darf und lobt Gastfamilien als ¿Zukunftsidee¿. 270 Menschen leben westfalenweit in einer Gastfamilie, rund 450 in ganz NRW. Aus Düsseldorf sei sie, erklärt die Politikerin, ob Monika die Stadt kenne. Die schüttelt stumm den Kopf.

Ihre Pflegetochter lebe gern in der fast dörflichen Umgebung, denn sie habe hier Bekannte, die einfach an der Tür klingelten, so Marita. Auch durch den Behindertensport habe Monika Freunde gefunden. Dem Fernsehen gehöre ihre Freizeit, und der Musik vom deutschen Schlager bis zu Herbert Grönemeyer. Im örtlichen Spielmannszug sei ihre Tochter sogar aktives Mitglied und spiele die Rassel. Monika winkt ab, aber dann holt sie doch ihre Spielmannsuniform: Stolz zeigt sie gemeinsam mit ¿Mama¿ den Hut mit der langen gelben Feder und zupft daran herum. ¿Ich bin pingelig¿, sagt sie über sich selbst.

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) organisiert und finanziert dieses Zusammenleben von behinderten und nichtbehinderten Menschen in Gastfamilien. Damit die Familien bei Problemen nicht allein bleiben, schauen professionelle Betreuer regelmäßig vorbei. Karin Mans vom LWL-Wohnverbund Dortmund betreut sieben Menschen mit Behinderung, sie kennt Monika seit langem ¿ und die freut sich, dass sie bei den Visiten mit dem Hund der Betreuerin herumtollen darf.

Die Nähe, wie sie in dieser Familie gewachsen sei, finde man nicht überall, erklärt Mans der Landesbeauftragten. Denn oft seien die Klienten schon älter und müssten sich nach jahrelangem Leben im Heim erst daran gewöhnen, dass Familie anders funktioniere als der ¿Rundum-sorglos-Service¿ eines Heims. Da helfe manchmal ein 14tägiges Probewohnen in der zukünftigen Gastfamilie. Bis sich alles eingespielt habe, dauere es aber wesentlich länger, denn gerade behinderte Menschen schätzten die Regelmäßigkeit und feste Tagesabläufe.

Als der Gast aus der Landeshauptstadt wieder fährt, fällt Monikas Anspannung von ihr ab, denn jetzt darf sie mit dem Hund auf der Dorfstraße vor dem Haus spielen, ihrem Zuhause. Wer wohnt schon in Düsseldorf...

Hintergrund:
In 220 Gastfamilien in Westfalen-Lippe leben zur Zeit rund 270 behinderte Erwachsene, fünf Mal so viel wie vor fünf Jahren. Nach den Vorstellungen des LWL sollen jährlich weitere 50 Menschen mit Behinderung dazukommen. Im Rheinland bestehen rund 180 Betreuungsverhältnisse.

"Für behinderte Menschen bedeutet das Betreute Wohnen in Gastfamilien ein Stück mehr Integration", begründet LWL-Sozialdezernent Matthias Münning die Anstrengungen. Er schätzt, dass langfristig mehrere hundert Gastfamilien zu einem neuen Zuhause werden könnten. In Westfalen-Lippe leben über 20.000 behinderte Menschen in Heimen (NRW: 44.000).

Die bisherigen Erfahrungen zeigten, dass sowohl die behinderten Menschen als auch die aufnehmenden Familien das "neue Familienmitglied" als Gewinn betrachteten, so Münning weiter. Wichtig sei eine kontinuierliche Begleitung durch ein Team von professionellen Betreuern, die auch bei Problemen oder Krisen sofort helfen könnten. Westfalenweit gebe es heute 42 solcher Teams. Bei den Klienten handele es sich um geistig, körperlich und psychisch behinderte oder suchtkranke Menschen.

Die Betreuung in der Familie statt im Heim hat auch einen finanziellen Aspekt: Nach Berechnungen des Landschaftsverbandes kostet das Betreute Wohnen in einer Gastfamilie den LWL weniger als die Unterbringung im Heim. So schlage die Versorgung eines Menschen, der tagsüber arbeite und abends in seine Gastfamilie zurückkehre, mit rund 50 Euro pro Tag zu Buche. Darin sind Leistungen an die Gastfamilie von 24 bis 28 Euro pro Tag enthalten.

80 Euro pro Tag dagegen wären im Vergleich für den selben Menschen als Heimbewohner zu zahlen. Der Landschaftsverband finanziert die so genannte Eingliederungshilfe für behinderte Menschen und ist damit einer der größten Sozialhilfezahler Deutschlands.



Pressekontakt:
Frank Tafertshofer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org




Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


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