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Mitteilung vom 01.09.05

Presse-Infos | Der LWL

Die Sucht im Alter bricht sich schleichend Bahn
Alkohol bei Männern ¿ ¿Valium & Co¿ bei Frauen: schmaler Grat zur Abhängigkeit

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Münster (lwl). ¿Nicht jeder ist ein Goethe oder ein Sartre.¿ Beide haben bis ins hohe Alter viel Alkohol getrunken. Täglich. Der alte Geheimrat Goethe habe sich sogar damit gebrüstet, zwei Flaschen Rotwein pro Tag zu trinken, erzählt Dr. Dirk Wolter, Chefarzt der Gerontopsychiatrie in der Westfälischen Klinik Münster des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Ob der deutsche Dichter und der französische Philosoph ihr tägliches Quantum Alkohol zwingend brauchten, ist nicht überliefert.

¿Sucht im Alter¿ jedenfalls war bis vor wenigen Jahren noch kein Thema ¿ auch nicht fürs Gesundheitswesen. Süchtig waren eher die jungen Menschen. Nach Alkohol, nach Heroin oder Kokain. Aber alte Menschen, süchtig nach Alkohol, Medikamenten, gar nach illegalen Drogen? Darauf sind die Mediziner erst vor gut zwei Jahrzehnten gestoßen worden, berichtet Wolter. Alt gewordene Junkies sind für sie noch ein ziemlich neues Phänomen. Bislang galt: Alte Menschen hören irgendwann einfach auf Alkohol zu trinken. Oder sie sterben, bevor die Sucht zum Problem für sie oder ihre Mitmenschen wird.

Um zu viel Alkohol geht es meist bei Männern. Frauen werden im Alter häufiger süchtig nach ¿Valium und Co.¿, nach Tabletten. Bei Frauen wie Männern bricht sich die Sucht meist versteckt und schleichend Bahn.

Ursache zugedeckt

¿Einen Schnaps am Abend - und man wird 100 Jahre alt.¿ Diese oft zu hörende Lebensweisheit von alten Jubilaren will auch Dr. Wolter nicht per se in Frage stellen: ¿Wenn es dabei bleibt, geht das in Ordnung.¿ Nur bleibt es immer dabei? Da ist es mit den Tabletten ähnlich wie mit dem Alkohol: Viele Menschen neigen dazu, die Menge langsam zu steigern. ¿Aber im Alter verträgt man halt weniger¿, warnt Wolter.

Etwa jeder zehnte Mensch über 60 Jahre hat ein ¿problematisches Trinkverhalten¿, besagen neue Studien. ¿Die Menschen leben länger und trinken mehr¿, haben Wolter und seine Kollegin Ulrike Kordt festgestellt. Veränderte Lebensstile, veränderte Konsummuster führen dazu, dass die Senioren heute und ¿in noch stärkerem Ausmaß künftige Seniorengenerationen mehr Alkohol konsumieren als früher¿. Kordt ist Sozialarbeiterin und betreut in der münsterischen LWL-Klinikabteilung suchtkranke Menschen.

Gleichwohl: In der Öffentlichkeit ist ¿Sucht im Alter¿ immer noch ein kaum diskutiertes Thema. Häufige Stürze, blaue Flecken, ungenügende Ernährung oder gar der späte Führerscheinentzug werden oft als Alterserscheinung an sich abgetan. Die Sucht als Ursache dahinter bleibt zugedeckt, hat Kordt häufig bei ihrer Arbeit mit 60- bis 75-Jährigen bemerkt.

Arme Schlucker

Die Sucht nach ¿Valium und Co.¿, nach Benzodiazepinen und ähnlichen Stoffen etwa in den oft verschriebenen Schlaftabletten, entsteht sogar nicht selten unter den Augen von Hausärzten oder beginnt während eines Krankenhausaufenthaltes, beklagt Wolter: ¿In Studien wird immer wieder ein hoher Anteil nicht sachgerechter Verordnungen festgestellt.¿

Sogar Fachleute unterschätzen laut Wolter oft die Langzeitwirkung solcher Medikamente. Bei älteren Menschen baut die Leber diese Stoffe vergleichsweise langsam ab. Es dauert drei bis fünf Mal so lang wie in jungen Jahren, bis die Wirkung verschwunden ist. Aber dann ist oft bereits die nächste Tablette genommen. Überdosierung, mangelnde Abbauprozesse und die tendenzielle Wirkungslosigkeit der in immer kürzeren Abständen eingenommenen Pillen schaukeln sich aneinander hoch. Irgendwann kommen die armen Tabletten-Schlucker buchstäblich ins Trudeln, sind phasenweise benommen, stürzen oder sind etwa in Verkehrsunfälle verstrickt. Und was dann vielleicht als Verwirrtheit, als ¿normales¿ Altersgebrechen mißverstanden wird, das hat in Wahrheit die Tablettenabhängigkeit zum Hintergrund. ¿Doch die Alarmlampen bleiben allzu oft aus¿, resümiert Kordt ihre Erfahrungen.

Andererseits: Wann aus dem bloßen Alkoholgenuss eine veritable Sucht wird, hängt auch davon ab, wo man lebt, wie alt man ist und was man in seinem Leben vorher schon an Alkoholika heruntergespült hat. Kordts Erfahrung aus ihren Gesprächskreisen mit suchtkranken alten Menschen ist: ¿Es gibt einen extrem schmalen Grat zwischen Gewohnheit und Abhängigkeit.¿

Mit Hausarzt sprechen

Wenn es schließlich bei Rentnern keine Arbeitskollegen mehr gibt, die auf zu viel Alkohol hinweisen, oder wenn alte Freunde und Bekannte sterben, dann fällt vielleicht erst recht niemandem mehr auf, wenn ein vereinsamter älterer Mensch süchtig nach legalen Drogen wird. Da schauen selbst Kinder verschämt weg, wenn die alten Eltern plötzlich mehr als ein Schnäpschen trinken, sich in ihrer Wohnung Tabletten-Depots häufen, kein Abend mehr ohne Alkohol abgeht und der Tag immer mit zitternden Händen beginnt.

Der Ausweg aus dem Sucht-Teufelskreis beginnt zumeist beim Hausarzt, betont Wolter. Mit ihm sollten Menschen sprechen, schon wenn sie spüren, dass sie selbst oder ihre Angehörigen ein Suchtproblem haben ¿ auch wenn sie eine körperliche oder mentale Abhängigkeit noch nicht recht eingestehen wollen. Über den Hausarzt kann auch die Sucht im Alter behandelt werden. Sie mündet nach der meist nur wenige Tage dauernden körperlichen Entzugs-/Entgiftungsphase in eine längere Entwöhnungstherapie.



Pressekontakt:
Karl G. Donath, Tel. 0251 591-235
presse@lwl.org




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